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Für ein modernes Abtreibungsrecht: Warum der §218 StGB endlich abgeschafft werden muss
Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist ein unverzichtbares Fundament unserer Gesellschaft. Doch in Deutschland wird dieses Recht seit über 150 Jahren durch den §218 des Strafgesetzbuches eingeschränkt. Schwangerschaftsabbrüche sind nach wie vor rechtswidrig, auch wenn sie unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleiben. Diese gesetzliche Kriminalisierung entmündigt Frauen und gebärfähige Menschen und stellt sie unter einen Generalverdacht, der auf patriarchalen Vorstellungen beruht.
Für uns ist klar: Der §218 gehört abgeschafft – vollständig und ohne Kompromisse!
Ein Relikt patriarchaler Kontrolle
§218 stammt aus dem Jahr 1871, einer Zeit, in der Frauen keine Rechte hatten, weder politisch noch privat. Er spiegelt die moralischen Vorstellungen des Kaiserreichs wider, in dem Frauen als ihren Ehemännern oder Vätern untergeordnet betrachtet wurden und ihr Körper staatlich kontrolliert werden durfte. Auch heute, über 150 Jahre später, hat dieser Paragraf nichts von seiner repressiven Wirkung eingebüßt. Zwar wurden durch die Reformen der 1970er und 1990er Jahre kleine Fortschritte erzielt, etwa die Einführung der Beratungsregelung, doch das Grundproblem bleibt bestehen: Schwangerschaftsabbrüche werden weiterhin kriminalisiert.
Schwangere, die sich für einen Abbruch entscheiden, werden de facto dazu gezwungen, ihre Gründe dafür vor einer staatlich anerkannten Beratungsstelle offenzulegen. Diese Regelung ist nicht nur entwürdigend, sondern vermittelt die Botschaft, dass Frauen nicht in der Lage seien, selbstständig eine moralische Entscheidung zu treffen. Die Verantwortung über ihren eigenen Körper wird ihnen abgesprochen.
Eine Kriminalisierung, die mehr Schaden anrichtet als hilft
Die Anhänger*innen des §218 behaupten oft, dass die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen das „ungeborene Leben“ schützt. Doch in Wahrheit schützt dieser Paragraf niemanden- er macht die Situation für alle Beteiligten lediglich schwieriger. Frauen, die ungewollt schwanger werden, stehen unter immensem Druck: finanzielle Unsicherheiten, soziale Stigmatisierung und die oft schwierige Suche nach medizinischem Personal, das bereit ist, den Eingriff durchzuführen.
Diese strukturellen Hindernisse zwingen Betroffene häufig dazu, riskante Eingriffe im Ausland oder unter unsicheren Bedingungen vorzunehmen. Das eigentliche Ziel sollte sein, Schwangere in schwierigen Situationen zu unterstützen – sei es durch soziale Sicherheiten, bessere Aufklärung oder den Zugang zu sicheren medizinischen Dienstleistungen. Doch der §218 steht genau dem entgegen: Er kriminalisiert Betroffene und Ärzt*innen und schafft eine Atmosphäre der Angst und Scham, die für alle Beteiligten schädlich ist.
Die konservative Argumentation: Warum sie scheitert
Konservative Kreise versuchen oft, ihre Haltung mit moralischen und ethischen Argumenten zu rechtfertigen. Sie behaupten, dass die Abschaffung des §218 ungeborenes Lebens gefährden würde und warnen vor einer „Abtreibungskultur“. Diese Argumente greifen jedoch nicht.
Zum einen ignorieren sie, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch niemals leichtfertig getroffen wird. Niemand entscheidet sich aus Bequemlichkeit für diesen Eingriff. Es geht um existenzielle Fragen: Bin ich in der Lage, einem Kind ein sicheres Leben zu bieten? Wie beeinflusst diese Schwangerschaft meine Gesundheit, meine finanzielle Situation, meine Zukunft? Die Vorstellung, dass eine liberale Gesetzgebung zu einer inflationären Zunahme von Abbrüchen führen würde, ist nicht nur zynisch, sondern auch empirisch widerlegt:
Ein Blick in Länder wie Schweden oder die Niederlande zeigt, dass ein liberaler Zugang zu Abbrüchen keineswegs zu einem Anstieg der Zahlen führt. Im Gegenteil: Dort, wo es gute soziale Sicherungssysteme, eine umfassende sexuelle Aufklärung und einen einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln gibt, ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche oft niedriger als in restriktiven Staaten. Diese Länder zeigen, dass Frauen eigenverantwortlich handeln, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.
Konservative Argumente entlarven sich bei näherem Hinsehen als das, was sie wirklich sind: ein Versuch, Kontrolle über die Körper und Entscheidungen von Frauen auszuüben. Es geht nicht um den Schutz des Lebens, sondern um die Aufrechterhaltung eines patriarchalen Systems, in dem Frauen ihre Rolle ausschließlich als Mutter und Erzieherin ausfüllen sollen.
Warum die medizinische Versorgung in Gefahr ist
Neben den Betroffenen selbst trifft die Kriminalisierung auch die medizinische Versorgung. Immer weniger Ärzt*innen sind bereit oder in der Lage, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Die rechtlichen Unsicherheiten, die gesellschaftliche Stigmatisierung und die fehlende Integration des Themas in die medizinische Ausbildung schrecken viele ab.
In einigen Regionen Deutschlands gibt es keine einzige Praxis, die Abbrüche anbietet. Die wenigen Ärzt*innen, die solche Eingriffe durchführen, sind oft überlastet und stehen unter immensem gesellschaftlichem Druck. Dieser Mangel an Versorgung ist nicht nur eine Folge des §218, sondern auch ein bewusster Teil des konservativen Angriffs auf reproduktive Rechte.
Wir fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche als regulärer Bestandteil der medizinischen Ausbildung verankert werden. Alle Medizinstudent*innen sollten lernen, wie solche Eingriffe sicher durchgeführt werden können – ohne Stigma, ohne ideologische Bevormundung. Nur so können wir sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, egal wo sie leben.
Unsere Forderungen
Wir stehen für eine Gesellschaft, in der jede*r frei über den eigenen Körper entscheiden kann. Um das zu erreichen, braucht es einen radikalen Bruch mit den veralteten Strukturen, die der §218 aufrechterhält. Unsere Forderungen sind klar
1. Ersatzlose Streichung des §218 und §219 StGB. Schwangerschaftsabbrüche haben im Strafgesetzbuch nichts verloren.
2. Regulierung als Teil der Gesundheitsversorgung. Abbrüche müssen als medizinische Leistung anerkannt und von den Krankenkassen vollständig übernommen werden.
3. Flächendeckende Versorgung. Jede Person muss Zugang zu einer Ärzt*in haben, unabhängig von ihrem Wohnort.
4. Integrierte Ausbildung. Schwangerschaftsabbrüche müssen fester Bestandteil der medizinischen Lehre sein.
Zeit für Gerechtigkeit
Es geht nicht nur um irgendein Gesetz, sondern um die Frage, wie wir als Gesellschaft mit den Rechten und Freiheiten von Frauen und gebärfähigen Menschen umgehen. Der §218 symbolisiert eine patriarchale Kontrolle, die in unserer Zeit keinen Platz mehr haben darf.
Die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch ist eine zutiefst persönliche, die niemand außer der betroffenen Person selbst treffen kann. Wir kämpfen für eine Zukunft, in der Selbstbestimmung kein Privileg, sondern ein Recht ist – und wir werden nicht aufhören, bis dieses Ziel erreicht ist. Der §218 muss weg – und zwar jetzt!
