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NRW Jusos – Beitrag

16. April 2020

Bildung und Gesundheit, statt Prüfungsfetischismus und Testosteron-Duell!

Lang ersehnt verkündeten gestern die Ministerpräsident*innen der Länder und die Kanzlerin endlich, wie es nach dem Lockdown des öffentlichen Lebens weitergehen soll. Gerade Schüler*innen, denen notgedrungen seit Wochen der wichtige Zugang zur Schule verwehrt ist und erst recht all jene, die kurz vor einer Prüfung stehen, warten schon lange auf Planungssicherheit.

Den berechtigten Sorgen und Ängsten der Schüler*innen wurde gerade in NRW nicht mit umsichtigem Handeln begegnet, sondern die Schulministerin Gebauer (FDP) befeuerte sie geradezu noch. Sie widersprach nicht nur ihren eigenen Aussagen selbst, sondern auch den Aussagen ihres Ministerpräsidenten. Man fragt sich, ob Frau Gebauer und Herr Laschet eigentlich wissen, dass sie in derselben Landesregierung sind beziehungsweise wissen, dass es in einer Krise diesen Ausmaßes ungemein wichtig ist, klar und einheitlich zu kommunizieren. Und die Schüler*innen? Bleiben mit Fragezeichen, Nervosität und Sorge zurück.

Das Testosteron-Duell um die Unions-Kanzlerkandidatur

In den letzten Tagen konnten wir alle beobachten, wie wenig es eigentlich um das Wohlergehen und besonders die Bildung der Schüler*innen geht, als vielmehr darum, dass zwei Unionspolitiker mitten in der Krise und auf dem Rücken der Lernenden darum buhlen, wer der bessere Unions-Kanzlerkandidat ist. Armin Laschet hat sich verzockt, indem er auf eine möglichst frühe Öffnung der Schulen drängte und damit in den Nahkampf mit seinem Kanzlerkandidatsrivalen Markus Söder einstieg. Am Ende wurde in der gestrigen Pressekonferenz klar: Markus Söder ist der bessere Krisenmanager – jedenfalls weiß er sich besser als solcher zu inszenieren. Und Armin Laschet? Er hat das Nachsehen und kämpft nun hart dafür sein Gesicht zu wahren.

Auf der Grundlage der gestrigen Beschlüsse ist es möglich auch schon vor dem 4. Mai Prüflinge in die Schulen zu lassen und Vorbereitungen durchzuführen. Eine kleine Ausnahme, mit der sich Laschet seine Gesichtswahrung erkaufte. Er betonte deutlich, dass die Schulen in NRW auf diese Ausnahme zurückgreifen würden und die Schulen – zu seinem politischen Wohle – öffnen würden.

Doch was heißt das für Schüler*innen, die kurz vor einer Prüfung stehen? Nachdem sie wochenlang im Unklaren darüber waren, ob ihre Prüfungen überhaupt stattfinden, sollen sie nun im Gegensatz zu allen anderen in Gruppen zusammenkommen und konzentriert lernen? Viele Prüflinge haben in den letzten Wochen auf Geschwister aufgepasst, um ihren Eltern zu ermöglichen ihrer Arbeit nachzugehen. Sie haben sich genauso ängstlich und besorgt mit der aktuellen Situation beschäftigt, wie die meisten Menschen. Sie hatten, je nach finanziellem Status ihrer Eltern, schwer damit zu kämpfen mit schlechter digitaler Ausstattung oder fehlender Räumlichkeit, zeitgleich einen Berg an Aufgaben zu bewältigen, sofern die Schule und die Lehrer*innen die Möglichkeit hatten, überhaupt Homeschooling zu betreiben. Kurz gesagt: Die Prüfungsvorbereitungen haben unter extrem unterschiedlichen Bedingungen stattgefunden oder waren sogar in vielen Fällen nicht möglich. Zudem stellt sich die Frage, wie die Gesundheit der Schüler*innen und Lehrer*innen in so kurzer Zeit gewährleistet werden kann. Wie sollen Prüflinge ohne Angst vor Ansteckung ihre Prüfungsvorbereitung durchführen, wenn eine ÖPNV-Beförderung zur Schule und hygienische Schutzmaßnahmen nicht gesichert sind? Und was ist mit denen, die auch zur Risikogruppe (das sind nicht nur ältere Menschen) gehören und jetzt vor einer zentralen Prüfung stehen? Man gewinnt den Eindruck diese werden bewusst vergessen. Sollen die am besten auf die Prüfungen vorbereitet werden, die am gesündesten sind oder die größte Bereitschaft haben ihre Gesundheit zu gefährden? Mit der freiwilligen Vorbereitung, die Schulministerin Gebauer nun im Schulausschuss präsentiert hat, wird bewusst einkalkuliert, dass sich Schüler*innen aus Risikogruppen nicht an der Vorbereitung beteiligen sollen – oder können.

Abschlussprüfungen sind verzichtbar. Die Gesundheit nicht.

Es ist daher falsch, verantwortungslos und ungerecht die Prüfungen jetzt stattfinden zu lassen. Sagt sie ab! Zu Recht haben sich Elternverbände und Gewerkschaft entsprechend positioniert.

Darüber hinaus ist es aber nicht nur unfair die Prüfungen jetzt durchzuführen, es ist die völlig falsche Prioritätensetzung! Schule erfüllt in unserer Gesellschaft zwei miteinander konkurrierende, sich diametral gegenüberstehende Funktionen: Sie ist einerseits Selektionsinstanz. In Schule werden durch die Abschlüsse und Noten Lebenschancen verteilt und der berufliche Werdegang bestimmt. Gleichzeitig ist sie Bildungsinstanz. Sie soll heranwachsende Menschen dazu befähigen an unserer Gesellschaft teilzuhaben, sie als mündige und kritische Bürger*innen mitzugestalten. Die Schule soll dabei unterstützen sich die Welt, aber auch die Welt für sich zu erschließen. Es geht um Persönlichkeitsbildung, Demokratieerziehung, es geht um Bildung!

Mit der von der Laschet-Regierung so vehement vertretenen Position die Schulen so schnell es geht für Prüflinge zu öffnen und so die Prüfungen jetzt unter allen Umständen durchzuführen, wurde die Entscheidung für Selektion und gegen Bildung getroffen. Die Schule als Bildungsinstitution ist aber völlig unersetzbar. Es wäre jetzt nötig die Notbetreuung auszuweiten und die Schule vor allem für diejenigen zu öffnen, die zu Hause schwierige Bedingungen vorfinden. Es sollten die kommen, die kein eigenes Zimmer haben, die, die keinen Laptop haben, die, die Zuhause kein warmes Mittagessen bekommen. Dann sollten wir Lösungen finden, mit denen unter den notwendigen hygienischen Maßnahmen möglichst viele Schüler*innen wieder die Schule besuchen können – vielleicht nur stundenweise oder einige wenige Tage in der Woche. Entscheidend ist, dass die Grundlage unserer Planungen das Wohl der Kinder und Jugendlichen ist und kein idiotischer Prüfungsfetischismus, der nur Auswuchs einer Verwertbarkeitsideologie ist.

Schule ist mehr als Büffeln und Pauken. Als Ort der Bildung und der Begegnung, auch mit unterschiedlichen Vorstellungen und verschiedenen Meinungen, hat er unschätzbaren Wert. Gerade jetzt ist es wichtig für junge Menschen sich mit der aktuellen Situation aus verschiedenen Blickwinkeln auseinanderzusetzen, die Entscheidungen zu verstehen oder kritisch zu diskutieren, konkurrierende Werte abzuwägen. Gerade in dieser Ausnahmesituation, in der sich auch unsere freie Gesellschaft immer wieder kritisch reflektieren muss, ist Schule als Bildungsort gefragt. Warum also keine Corona-Projektwochen? Die Prioritätensetzung auf die Prüfungen, war falsch, bleibt falsch und muss korrigiert werden. Schüler*innen, NRW und das ganze Land haben zudem mehr verdient, als Prüfungsfetischismus und Testosteron-Duell. Bildung und Gesundheit ist das Gebot der Stunde.

Die Autorin dieses Artikels ist Jessica Rosenthal.


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