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NRW Jusos – Magazin

20. Dezember 2024

Prekariat ohne Betriebsrat

Das Elend in der Plattformökonomie

Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, ihren Lebensunterhalt durch sogenannte Plattformarbeit zu verdienen. Darunter versteht man entgeltliche Tätigkeiten, die über Online-Plattformen vermittelt und organisiert werden. Ein zentrales Merkmal ist dabei die Rolle der Anbieterinnen als „Vermittler“ zwischen Auftraggeberinnen und Arbeitskräften. Bekannte Beispiele in diesem Bereich sind Lieferando, UberEats oder Fiverr. Über die App der jeweiligen Anbieter*innen kann man flexibel Aufträge auswählen und entscheiden, wann man arbeiten möchte.

Plattformarbeit bietet auf den ersten Blick viele Vorteile. Einer der größten Pluspunkte ist die zeitliche Flexibilität, was besonders Personengruppen entgegenkommt, die neben ihrer Haupttätigkeit eine weitere Verdienstmöglichkeit suchen. Zudem ermöglicht die zunehmende Anonymität solcher Plattformen auch marginalisierten Gruppen – mangels vorurteilsbehafteten Bewerbungsprozessen – einen leichteren Zugang zu entgeltlichen Tätigkeiten.

Dennoch hat Plattformarbeit erhebliche Schattenseiten. Eine der bekanntesten ist das Problem der Scheinselbstständigkeit. Die meisten Beschäftigten in diesem Bereich sind nicht fest angestellt, sondern gelten offiziell als Selbstständige. Dies hat praktische Konsequenzen, etwa in Bezug auf Arbeitsschutznormen, die keine Anwendung finden. Hierbei sind insbesondere die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die Sozialversicherungspflicht, bestimmte Kündigungsschutznormen und der Mindestlohn zu nennen. In der Realität bedeutet dies, dass grundlegendster Schutz fehlt. Es gibt zahlreiche Berichte von Lieferfahrer*innen, die trotz Krankheit und Verletzung weiterarbeiten, um ihren Unterhalt nicht zu verlieren. Hinzu kommt aufgrund der hohen Flexibilität auch ein enormer Leistungsdruck, der sich nicht unerheblich auf die Gesundheit der Betroffenen auswirkt. Das ist inakzeptabel und eindeutig prekär!

Nationale Gesetzgebung

Das erkennt im Grundsatz auch der Gesetzgeber, weshalb im arbeitsrechtlichen Fachjargon der Begriff „arbeitnehmerähnliche Personen“ wiederzufinden ist (vgl. § 5 Abs. 1 ArbGG; § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG). Der Gesetzgeber hat infolgedessen arbeitnehmerähnlichen Personen auch einzelne Schutzvorschriften zugesprochen. Dazu gehört die Anwendbarkeit des Tarifvertragsrechts in §12a TVG oder der gesetzliche Mindesturlaub (vgl. § 2 BUrlG). Diese Gesetze sind in aller Klarheit deutlich zu begrüßen, allerdings bieten sie noch keine weitreichenden Lösungen für die umfangreichen Probleme, die durch solche modernen Beschäftigungsverhältnisse entstehen.

Europäische Gesetzgebung

Die EU versucht diesem Umstand mit ihrer Richtlinie zur Plattformarbeit entgegenzutreten. Die Richtlinie wurde am 14.10.2024 vom Rat angenommen. Es ist nun an den Mitgliedsstaaten, die Richtlinie in ihr nationales Recht zu implementieren. Hierfür sind zwei Jahre vorgesehen.

Einer der wichtigsten Regelungsgegenstände ist hier die Rechtsklarheit über den Beschäftigungsstatus. Denn das Beste, was den in der Plattformökonomie Tätigen passieren kann, ist nämlich die Feststellung des Arbeitnehmerinnenstatus. Deshalb sieht die EU in Art. 5 der Richtlinie eine Vermutung zugunsten eines Arbeitsverhältnisses vor, wodurch zunächst einmal widerlegt werden muss, dass es sich nicht um ein solches Vertragsverhältnis handelt. Ein großes Manko ist jedoch, dass die Einzelheiten zur konkreten Bestimmung, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, den Mitgliedsstaaten obliegen. Somit besteht auch leider weiterhin keine einheitliche Rechtslage. In Deutschland werden wir Jusos ganz genau hinschauen müssen, welche Kriterien der nationale Gesetzgeber zugrunde legen wird. Es müssen mehr Leute als Arbeitnehmerinnen in diesem Sektor gelten. Schließlich handelt es sich um sichtlich prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Rolle der Mitbestimmung

Ich will nun das Augenmerk auf die kollektivarbeitsrechtliche Perspektive setzen und dabei im Besonderen auf die betriebliche Mitbestimmung.

Es ist klar, dass Betriebe, die einen Betriebsrat haben, von besseren Arbeitsbedingungen und auch von einem grundsätzlich besseren Betriebsklima profitieren. Kein Wunder also, dass die Beschäftigten in der Plattformökonomie mit Ach und Krach Betriebsräte durchsetzen – notfalls vor Gericht.

Am Beispiel von Lieferando tragen diese Bemühungen auch Früchte. In den letzten drei Jahren ist die Zahl der Betriebsratsgremien von 3 auf 24 gestiegen. Das gelang nicht zuletzt durch den erheblichen Einsatz der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die in diesem Bereich zahlreiche Schulungen anbietet.

Häufigster Streitpunkt im Gerichtsverfahren ist, ob überhaupt ein Betrieb vorliegt. Lieferando und andere Lieferdienste argumentieren nämlich, dass sie im jeweiligen Standort keine Niederlassung und daher auch keinen Betrieb haben. Um das an einem Beispiel konkret zu machen: Sagen wir die Beschäftigten von Lieferando in Ratingen wollen einen Betriebsrat für Ratingen gründen. Lieferando behauptet aber, dass Ratingen nach ihrer internen Aufteilung in der Betriebseinheit Ruhrgebiet zusammengefasst wird. Z.B. mit Mülheim und Bochum. Obwohl in Ratingen die Kundinnen, die Auftraggeberinnen und die Beschäftigten sind, können die Beschäftigten für Ratingen allein keinen Betriebsrat gründen, da nach Lieferandos eigener Einteilung keine Niederlassung vorliegt. Lieferando argumentiert, dass die Weisungen von einem anderen Standort kommen. So lässt sich jedoch die Niederlassung über einen so weiten Standort ausdehnen, dass ein möglicher Betriebsrat seine Arbeit überhaupt nicht bewerkstelligen kann. Im Übrigen übernimmt der Arbeitgeber hier nicht einmal die entstehenden Fahrtkosten zwischen den Städten.

Als Lösung ist zu nennen, dass der Betriebsbegriff als solcher mittlerweile nicht mehr die Vielseitigkeit des Arbeitsmarktes abdeckt. Er ist veraltet und gehört eingestampft. Außerdem müssen arbeitnehmerähnliche Personen künftig als Arbeitnehmer*innen anerkannt werden, so dass sie endlich auch bei der Betriebsratswahl wahlberechtigt sind.


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