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NRW Jusos – Beitrag

01. Februar 2022

Von Astro-TV hin zur Corona-Leugnung – begünstigt Esoterik Verschwörungsglauben?

An nahezu allen Demonstrationen der Querdenken-Szene, ebenso bei vielen Demonstrationen von Impfgegner*innen und Corona-Leugner*innen, sind Menschen aus dem esoterischen Milieu beteiligt. Sie fallen durch Spruchbänder, „interessante“ bis bizarre Interviews sowie Trommeln und Singen auf. Dabei sind Esoteriker*innen keine Mitläufer*innen, sondern haben nachweislich dazu beigetragen, die Bewegung aufzubauen. Auch wenn der Verweis auf den Esoteriker und Impfgegner Novak Djokovic nicht fehlen darf, geht es hier weit über die Frage von Corona hinaus: Gibt es einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen dem Glauben an Esoterik und dem Glauben an Verschwörungstheorien?

Streng genommen gibt es keine einheitliche esoterische Lehre. Sie ist eng verwoben mit Begriffen wie Antroposophie oder Theosophie. Zur esoterischen Szene gehört, dass sie glaubt zu einem elitären Kreis zu gehören, der Zugang zu einer höheren Wahrheit hat. Diese ist Außenstehenden verschlossen und wird ihnen verschlossen bleiben, weil das Wissen nur für Erleuchtete erreichbar ist. Ein Geheimwissen also, was der Wissenschaft und dem „Mainstream“ überlegen ist. Zentraler Bestandteil ist ein Weltbild, bei dem alles miteinander verbunden ist, bei dem es keine Zufälle gibt und alles aus einem Grund geschieht. So heißt es beispielsweise, Krankheiten würden selbstverschuldet zustandekommen, in Folge mangelnder geistiger Hygiene. Esoterische und antroposophische Lehren sind sehr vielfältig. Auch schon vor Corona waren sie in unserem Alltag sichtbar, unter anderem in Gestalt von Waldorf-Schulen und Homöopathie. Häufig ist das auf den ersten Blick harmlos oder ungefährlich, aber wenn daraus eine Abwehrhaltung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen erwächst, befinden wir uns wieder in vor-aufklärerischen Zeiten.

Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?

Die aktuell sehr gefragte Sozialpsychologin Pia Lamberty beschreibt, dass Verschwörungsglauben menschliche Bedürfnisse befriedigen kann. Es geht um Kontrolle und Sicherheit, eine positive Selbstwahrnehmung und das Verstehen. Persönliche oder gesellschaftliche Krisen und Naturkatastrophen bedeuten Unsicherheit. Dazu sind letztere im strengen Sinn sinnlos. Ein Erdbeben etwa verfolgt keinen – auf die Menschheit bezogen – tieferen Zweck. Es geschieht aus einer Verkettung von physikalischen Zusammenhängen, nicht etwa weil den Menschen ein Zeichen gegeben werden soll. Eine Pandemie hat ebenfalls keinen Zweck. Ein Virus hat keine eigene Motivation in dem Sinne, wie Menschen Motivation verstehen. Dennoch zwingt es uns dazu, tiefgreifende Einschnitte vorzunehmen und stellt alle vor große Herausforderungen.

Wer auf eine Verschwörungstheorie zurückgreift, hat für sich selbst viele Vorteile. In der „Verschwörungswelt“ gibt es böse Personen, denen die Schuld gegeben werden kann. Diesen werden Motive wie das Anstreben der Weltherrschaft, die Abschaffung der Demokratie oder die persönliche Bereicherung vorgeworfen (Hier entstehen dann auch oft Überschneidungen mit antisemitischen Motiven). Wenn eine Pandemie nicht länger Resultat von Millionen Faktoren, sondern Plan einer kleinen Gruppe von Bösewichten ist, bewegt sich die Lösung in greifbare Nähe: man müsse doch nur gegen besagte Gruppe vorgehen.

Das sind Motive, die für viele Menschen gut verständlich sind, deutlich verständlicher als das dynamische Infektionsgeschehen pandemischer Phasen. Das Geschehen ist so komplex, dass nicht immer exakt vorhersagbar ist, wie sich die Lage entwickeln wird. Der Verschwörungsglaube gibt Sicherheit in der Unsicherheit. Und man kann sein eigenes Selbstbild damit stärken, denn man gehört zu einem ausgewählten Kreis von Personen, die die Wahrheit kennen. Gleichzeitig findet sich ein Sündenbock, der dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn es im eigenen Leben dann (aus welchen Gründen auch immer) nicht so gut läuft.

Doch auch unabhängig von der Pandemie hat es schon immer Verschwörungsglauben gegeben. Und es scheint Menschen zu geben, die dafür anfälliger sind als andere. Das menschliche Gehirn ist ausgezeichnet darin, Muster zu erkennen. Diese evolutionär gesehen sehr hilfreiche Fähigkeit, die wir alle in unserem Leben täglich vielfach einsetzen, kann uns allerdings auch in die Irre führen. Manchmal werden Muster und Sinnzusammenhänge gesehen, wo gar keine sind. Und das ist unabhängig vom formalen Bildungsgrad, den eine Person hat. Ein Professor*innentitel schützt nicht davor, verrückte Dinge zu behaupten.

Die Verbindung zwischen Esoterik und Verschwörungsglauben

Genau hier wird deutlich, wie Esoterik und Verschwörungsglauben zusammenhängen. Wer davon ausgeht, dass alles auf der Welt miteinander verbunden ist, dass alles aus einem Grund geschieht, dass nichts ohne Sinn geschieht, kann nicht damit leben, dass Dinge ohne Sinn passieren. Doch die Definition und das Zuschreiben von Sinn sind menschliche Kategorien. Die Natur kann sehr gut ohne Sinn existieren. Und Widersprüche gehören zum Charakter des Universums: Angefangen von der Tatsache, dass sich Licht sowohl wie eine Welle als auch wie einzelne Teilchen verhält bis hin zur überraschenden Erkenntnis, dass süßes Schokoeis und salzige Kartoffelchips gut harmonieren.

Die Frage ist letztlich, wie radikal das eigene (esoterische) Weltbild verfolgt wird, ob es als reine Lehre angesehen wird. Gibt es Raum für Zweifel, Abweichung und Korrektur? Wer akzeptieren kann, dass das Leben voller Widersprüche ist, dass nicht hinter allem ein höherer Sinn steht und wer den Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation versteht, ist deutlich widerstandsfähiger gegen Verschwörungsglauben.


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