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NRW Jusos – Beitrag

09. April 2020

Who Cares? Wir!

Am 29. Februar, dem Schalttag, fand dieses Jahr erneut der Equal Care Day statt. Ein quasi „unsichtbarer“ Tag, der auf die Unsichtbarkeit und Abwertung von jeglicher Carearbeit aufmerksam machen will. Wir NRW Jusos waren beim „Equal Care Camp“ dabei und haben dort unsere Positionen präsentiert, mit anderen diskutiert und ganz viel Input mitgenommen. Carearbeit, darunter verstehen wir alle Tätigkeiten, die zum Erhalt des Lebens beitragen, also Gebären, Pflege von Angehörigen, Betreuung von Kindern, Erziehung, Haushalt, Reinigung, das umeinander Sorgen und sogar die Arbeit an Beziehungen. Wir unterscheiden zwischen der professionellen beziehungsweise institutionellen und (schlecht) bezahlten Carearbeit und der, die unvergütet im privaten Kontext verrichtet wird. Gemeinsam haben beide Formen der Carearbeit immer, dass sie, obwohl wir alle auf sie angewiesen sind, wenig Anerkennung bekommen (eben auch aus finanzieller Sicht), wenig sichtbar sind und größtenteils von Frauen ausgeübt werden. Das ist natürlich nicht naturgegeben, sondern kurz gesagt das Ergebnis des Patriarchats. Für uns ist klar, dass sich ein geschlechtergerechter Sozialstaat auch daran messen lassen muss, inwiefern er in der Lage ist, Geschlechterverhältnisse und damit auch die Verteilung von Carearbeit im Privaten zu beeinflussen: Durch Regelungen zu Elternzeit, Steuervorteile in bestimmten Arrangements und vielem mehr.  

Neben der Beteiligung am „Care Camp“ haben wir am 29. Februar auch zu Exkursionen in verschiedene Einrichtungen eingeladen, um uns anzugucken, wie professionelle Carearbeit im Sozialen, Gesundheits- und Pflegebereich eigentlich wirklich aussieht. Denn immerhin werden 20% aller Beschäftigten in Deutschland für eben diese Arbeit bezahlt und das ziemlich schlecht und unter den miesesten Bedingungen. Die Probleme waren überraschend ähnlich: Auf der einen Seite haben wir die Beschäftigten, die sich unter großem Zeitdruck und mit einem unfassbaren persönlichen Engagement vernünftig um Menschen kümmern möchten. Auf der anderen Seite haben wir oft private Einrichtungsbetreiber*innen, die darauf achten müssen, mit dieser Carearbeit Profit zu machen. Es kann also dazu kommen, dass bestimmte Operationen öfter durchgeführt werden als andere, weil sie besser abgerechnet werden können oder heimlich Leistungen abgebucht werden, die nicht durchgeführt werden konnten. Bei Mitarbeiter*innen die streiken, kann es auch mal zu Kündigungen kommen. Und überhaupt ist die Finanzierung dieser Einrichtungen meist ein vollkommen unübersichtlicher Flickenteppich, sodass beispielweise der Aufenthalt im Frauenhaus entweder von den Frauen selbst (sofern sie können) bezahlt werden muss oder durch das Jobcenter mit einem Tagessatz finanziert wird. Das wiederum führt dazu, dass diese Behörden ab dem ersten Tag Unterlagen von den zu schützenden Frauen einfordern, Druck machen und die Frauen wiederum nicht zur Ruhe kommen können.

All diese Probleme waren schon da. Und dann kam die Corona-Krise. Mensch kann sich also vorstellen, wie professionelle Carearbeitende gerade immer weiter an ihre Belastungsgrenzen kommen. Darüber haben wir Ende März online mit drei Expertinnen aus unserem Verband gesprochen: Karina Kloos, Ergotherapeutin, Leonie Jabs, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und Master-Studentin für Berufspädagogik Pflege und Astrid Stieren, Mitglied des Landesvorstands und Sozialarbeiterin:

Wie blickt ihr aus eurer Perspektive auf die aktuelle Lage?

Astrid: Es wird klar, dass auch jetzt in der Krise professionelle Carearbeit in vielen Bereichen unsichtbar bleibt und die Probleme kaum in der Öffentlichkeit besprochen werden. Das ist zum einen spürbar, wenn sich nicht genug um die Sicherheit der Mitarbeiter*innen in solchen Berufen gekümmert und ihre Arbeit dann auch noch für selbstverständlich genommen wird. Zum anderen spricht eigentlich niemand darüber, wie die ambulanten Dienste aktuell agieren müssen oder wie die Lage in Wohngruppen ist. Unsere Lage in der Sozialarbeit wird kaum thematisiert. Wir kriegen keine näheren Anweisungen und sind auf uns allein gestellt.

Leonie: Wir hören jetzt ständig, dass wir systemrelevant sind. Ich frage mich, war ich das vorher nicht? Personaluntergrenzen wurden auch vor Covid19 täglich ausgereizt, es konnte in vielen Bereichen nicht noch schlimmer werden was Personalbesetzung angeht, allerdings wurden nun Personaluntergrenzen ausgesetzt und die aktuelle Situation ist natürlich unter den hygienischen Rahmenbedingungen noch extremer, Gesundheit von Pfleger*innen wird vernachlässigt, trotz des Arbeitens mit Kontakt zu positiv Getesteten.

Karina: Jede medizinische Behandlung, die wegen der aktuellen Situation abgesagt wird, ist ein Verdienstausfall. Das trifft Ärzt*innen genauso wie die Therapieberufe. Zum Glück wurde hinsichtlich der Bürokratie und Digitalisierung bereits was geändert. Aber es gibt kein finanzielles Netz für uns, da wir eh schon wenig verdienen und Kurzarbeit nicht viel bringt. Die Krise ist für mich auch eine Existenzkrise.

Dass dringend eine bessere Bezahlung hermuss, ist zum Glück nun in aller Munde. Aber auch an der Ausbildung muss sich dringend etwas ändern. Was wäre das zum Beispiel?

Karina: Wir sollten auf Akademisierung, Aufklärung über die Berufe, bezahlte Ausbildungen und eine Anerkennung dieser auch in anderen Ländern setzen. Viele Berufe im Care-Bereich sind unattraktiv, weil die Ausbildungen hart und auf einem hohen Niveau sind, was sich aber weder in der Bezahlung noch in der gesellschaftlichen Anerkennung widerspiegelt. Eine Akademisierung würde zu mehr Kompetenzen verhelfen und eine Anpassung an andere europäische Länder, die das längst schon so praktizieren. Viele denken außerdem immer noch, dass Pflege- und Care-Berufe platt gesagt nur mit Körperpflege von pflegebedürftigen Menschen zu tun haben und sehen gar nicht die Vielseitigkeit hinter so einem Job. Allerdings wäre es auch nicht verwunderlich, wenn die Bilder der letzten Wochen nicht dazu motivieren, eine Ausbildung in dem Bereich zu ergreifen.

Leonie, du hast sowohl in privaten als auch in öffentlichen Einrichtungen gearbeitet – hast du da Unterschiede bemerkt?

Leonie: In privaten Einrichtungen gibt es noch weniger gewerkschaftliche Vertretung und keine Tarifbindung, die Lohnverhandlungen liegen beim Individuum. Einsparungen beim Personal werden hier also noch mehr angestrebt. Außerdem sind private Pflegedienstleister meist auf Profit ausgelegt und versuchen deswegen vor allem Leistungen anzubieten, die medizinisch verordnete Tätigkeiten sind, beispielsweise Blutzucker messen, weil man mit denen mehr verdienen kann. Pflegesachleistungen, wie zum Beispiel Körperpflege, kommen also zu kurz, weil sie nicht so viele Einnahmen bringen. Ich wurde außerdem teilweise dazu angehalten, Leistungen abzuhaken, die nicht gemacht habe.

Was muss sich also am System ändern?

Astrid: Wir brauchen wieder ein System, das Gesundheit nicht zu einem Produkt macht. Durch die Abrechnung von Einzelleistungen ist die Rationalisierung extrem gestiegen. Man hat immer mehr den Eindruck, dass nicht mehr die Patient*innen im Vordergrund stehen, sondern nur noch der Profit. Gesundheit darf nicht Spielball des Marktes sein, das schadet allen, außer den Investor*innen. Das Gesundheitssystem und andere Bereiche der sozialen Arbeit müssen wieder in die öffentliche Hand. Außerdem braucht es eine bedarfsgerechte und einheitliche Finanzierung, die sich am Wohl der Patient*innen orientiert und nicht aufgeschlüsselt ist in einzelne abrechenbare Leistungen, die viel Geld bringen. Um nur einige Forderungen zu nennen in diesem weiten Feld.


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