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NRW Jusos – Beitrag

08. Mai 2024

Demokratie braucht Demokrat*innen

Am 23. Mai wird das Grundgesetz 75 Jahre alt, doch an Rente ist noch lange nicht zu denken. Dabei ist vor allem das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ seit Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen in aller Munde. Bei den Demonstrationen gegen die Deportationspläne von AfD und Co. wurde immer wieder auch ein Verbot der AfD gefordert. Doch unter welchen Voraussetzungen ist es mit der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes vereinbar, eine Partei zu verbieten? Wenn ein Verbot scheitert, welche Mittel bleiben dem demokratischen Staat dann noch, um sich zur Wehr zu setzen?

Nach dem Prinzip der „wehrhaften“ oder auch „streitbaren“ Demokratie verfügt eine Demokratie über Instrumente, mit denen sie sich gegen ihre Feinde verteidigen kann. Zu diesen Mitteln zählen neben dem Verbot verfassungsfeindlicher Parteien und Vereinigungen auch die Verwirkung von Grundrechten. Dass Deutschland eine Demokratie ist, kann nicht einmal durch einen Mehrheitsbeschluss im Bundestag geändert werden. Das Demokratieprinzip zählt – wie die Menschenwürde – zu den unabänderlichen Grundpfeilern des Grundgesetzes. Hier wird bereits das Dilemma der Demokratie deutlich: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, das durch die gewählten Vertreter*innen repräsentiert wird. Wenn Wahlen aber mehrheitlich zugunsten von Parteien ausgehen, die die Demokratie demontieren wollen, muss das Grundgesetz sich einem solchen Mehrheitswillen nicht beugen. Dahinter steht die „Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei“. Die Erfahrung des Nationalsozialismus hat uns gelehrt, dass der demokratische Staat sich selbst erhalten und verteidigen dürfen muss.

WEHRHAFT, ABER WIE?

Die Mittel hierzu müssen rechtzeitig ergriffen werden und nicht erst, wenn Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Demokratie bereits verloren sind. Gleichzeitig greifen Maßnahmen wie ein Parteiverbot tief in die Parteienfreiheit ein, die selbst wiederum zum demokratischen Fundament zählt. Ein Parteiverbot darf daher nur das letzte Mittel sein und hat hohe Hürden. Es reicht nicht aus, dass eine Partei lediglich beabsichtigt, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder sogar zu beseitigen.

Sie muss darüber hinaus auch das Potenzial aufweisen, dabei erfolgreich zu sein. Hieran scheiterte bereits das Verbot der NPD (mittlerweile „Die Heimat“). Wie erfolgversprechend und strategisch sinnvoll ein Verbotsverfahren gegen die AfD wäre, kann und soll hier nicht beantwortet werden. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass ein Verbot einzelner besonders radikaler Landesverbände (looking at you, AfD Thüringen) oder ein Vereinsverbot der Jungen Alternative voraussichtlich aussichtsreicher wäre.

Die NPD konnte das Bundesverfassungsgericht zwar nicht verbieten, ihr dafür aber zumindest den öffentlichen Geldhahn abdrehen. Für einen Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung reicht es im Gegensatz zum Parteiverbot nämlich bereits aus, wenn die Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen – unabhängig der Erfolgsaussichten dieses Ansinnens. Ein solches Vorgehen wäre auch gegenüber der AfD denkbar und in ähnlicher Weise sogar gegen die Desiderius-Erasmus-Stiftung. Hier ist der Gesetzgeber bereits tätig geworden: Staatliche Förderung erhalten politische Stiftungen nach der neuen Gesetzeslage erst dann, wenn die stiftungsnahe Partei dreimal hintereinander im Bundestag vertreten war und wenn die Stiftung die Gewähr dafür bietet, „aktiv für die freiheitlich demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung einzutreten“. Für die AfD dürfte es wohl an beidem scheitern.

Eine wichtige Rolle spielt das bereits erwähnte Bundesverfassungsgericht, das u.a. über Parteiverbote entscheidet. Deshalb ist es enorm wichtig, dass es allen anderen Verfassungsorganen gegenüber selbstständig und unabhängig agieren kann. Als Negativbeispiel dient die massive Kontrolle, die die frühere PiS-Regierung über das höchste Gericht in Polen ausübte. Aus gutem Grund können Verfassungsrichterinnen vom Bundestag nur mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Das steht aber nicht im Grundgesetz, sondern lediglich im Bundesverfassungsgerichtsgesetz, das schon mit einer einfachen Mehrheit geändert werden kann. Sobald Rechtsextremist*innen eine Mehrheit im Bundestag bilden, können sie also den Wahlprozess umgestalten. Dem könnte man vorbeugen, indem die Wahl der Verfassungsrichter*innen im Grundgesetz verankert wird. Die hierfür erforderliche 2/3-Mehrheit setzt jedoch voraus, dass die Ampel-Regierung eine Einigung mit der CDU/CSU erzielen kann.

ES KOMMT AUF JEDE*N AN

Das Grundgesetz kann noch so durchdacht sein – wenn seine Prinzipien nicht auch jeden Tag aufs Neue gelebt werden, dann wackelt unsere demokratische Ordnung. Dabei sind alle demokratischen politischen Parteien in Verantwortung zu nehmen. Zum einen müssen sie nach innen eine gesunde Debattenkultur gewährleisten und politische Partizipation vorleben. Zum anderen spielen sie eine zentrale Rolle dafür, wie sich die extreme Rechte in staatlichen Institutionen etablieren und diese im schlimmsten Falle sogar umgestalten kann. Demokratische Parteien dürfen niemals Steigbügelhalter für die extreme Rechte sein oder Mehrheiten mit ihr organisieren. Vielmehr müssen sie untereinander Allianzen schmieden und Koalitionen für die Demokratie bilden. Das bedeutet auch, so manche Meinungsverschiedenheit in entscheidenden Momenten beiseitezulegen. Nicht zuletzt werden nach den diesjährigen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auch Christdemokratinnen darüber entscheiden, ob die AfD zur Regierungspartei aufsteigt.

„Demokratie braucht Demokrat*innen“, würde Friedrich Ebert heute sicher umso überzeugter skandieren, sofern ihm die CSU nicht vorher das Gendern verbietet. Wir alle können etwas gegen Rechtsextremismus und für unsere Utopien bewirken. Die Verfechter*innen der Demokratie tragen nicht alle Capes oder die – zum Verwechseln ähnlichen – roten Roben der Verfassungsrichter*innen. Sie diskutieren im Stadtrat über eine bessere Versorgung von Geflüchteten in der Kommune, sie klingeln an Haustüren und erinnern an die Europawahl, sie handeln in Schüler*innenvertretungen Kompromisse aus, sie kandidieren für Mandate und Ämter, engagieren sich in Vereinen, Gewerkschaften und Bündnissen, sie diskutieren mit Verwandten und Freund*innen und vor allem lassen sie nicht locker. Es ist wichtig, alle verfügbaren staatlichen Mittel gegen die Feind*innen der liberalen Demokratie zu bemühen. Eine bloße Gegner*innenbekämpfung sichert sie aber nicht nachhaltig. Das vermag nur eine lebendige und selbstkritische demokratische Kultur auf allen Ebenen zu leisten. Dafür kommt es auf uns alle an.


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