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NRW Jusos – Beitrag

19. März 2020

Der moderne Fußball zerstört sich selbst

Die Bundesliga schreit auf! Seit Tagen melden sich Fußballfunktionäre, die sagen, dass ohne eine Fortführung der Bundesliga die Existenz vieler Clubs gefährdet sei. The show must go on, notfalls auch ohne Zuschauer*innen im Stadion. Die Ursache dieser Notlage ist aber nicht Corona. Die Fußballvereine haben sich ganz allein in diese Situation gebracht. Die aktuelle Lage macht lediglich eine Entwicklung sichtbar, die seit Jahrzehnten stattfindet. Der moderne Fußball zerstört sich selbst – wenn nicht gegengesteuert wird.

Wie meistens bei historischen Entwicklungen, ist nicht eindeutig zu beziffern, wann genau diese Entwicklung begonnen hat. Für Deutschland lässt sich ungefähr das Jahr 1999 als Wendepunkt ausmachen. Bei dieser Gelegenheit muss direkt ein weit verbreiteter Fehler ausgeräumt werden.

Die größte Fehlinformation in der Berichtserstattung über Fußball? Der 1. Bundesliga gehören nicht 18 Vereine an. Es sind nur fünf: Düsseldorf, Freiburg, Mainz, Schalke und Union. Der Rest sind zwei Aktiengesellschaften (Bayern und Frankfurt), fünf GmbH (Gladbach, Hoffenheim, Leverkusen, Red Bull, Wolfsburg) und sechs GmbH & Co. KGaA (Augsburg, Bremen, Dortmund, Hertha, Köln, Paderborn). Um mehr Kapital ins Geschäft zu holen, wurden zwischen 1999 (Leverkusen und Dortmund) und 2019 (Paderborn) Ausgliederungen der Profi-Abteilungen durchgeführt. Die demokratische Mitbestimmung, für die ein eingetragener Verein steht, wurde eingetauscht gegen Geld. Die Hoffnung: mehr Kohle für den deutschen Fußball.

Aber nicht nur durch Änderungen der Rechtsformen, auch auf vielen andern Wegen wurden die Einnahmen stetig erhöht. Über steigende Ticket- und Merchanding-Preise wurden die eigenen Fans zur Kasse gebeten. Aber nichts davon hat eine solche Entwicklung hingelegt wie die Einnahmen durch den Verkauf der Übertragungsrechte fürs Fernsehen. Die TV-Gelder sind von 291 Millionen Euro in der Saison 2003/04 auf 1,248 Milliarden in der Saison 2017/18 angestiegen. In 14 Jahren eine Steigerung von 329%. Die Umsätze der 1. Bundesliga sind von 1,15 Milliarden in der Saison 2002/03 auf 3,81 Milliarden in der Saison 2017/18 angewachsen. 231% Wachstum in 15 Jahren.

Der durch die Geldflut versprochene, sportliche Erfolg hat sich aber ganz offenbar nicht bei allen Clubs eingestellt. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die Flut hebt alle Schiffe. Wenn alle mehr Kapital zur Verfügung haben, besteht kein Vorsprung vor den Mitbewerber*innen. Wer aber einmal damit angefangen hat, immer mehr Kapital in ein System zu pumpen, kann dies nicht einfach wieder abbrechen und zum vorherigen Zustand zurückkehren. Man ist zur Fortführung gezwungen. Auf die Frage, wie ein Club strategisch sinnvoll aufzustellen ist, wie ein nachhaltiges Management aussehen muss, ist Geld keine Antwort (siehe HSV und Kühne). Die Clubs, der DFB und die DFL waren und sind wie schlechte Pokerspieler*innen: Wenn man nicht mehr weiter weiß, einfach mal all in gehen. Denn mit dem Ziel der Einnahmesteigerungen machen die Clubs sich abhängig davon, dass auch in Zukunft weiterhin Geld fließen wird. Es ist eine Wette auf bessere Zeiten, die – wie man nun merkt – ein hohes Risiko birgt und störanfällig ist.

Was sich nun also abzeichnet ist ein Systemversagen. Wenn selbst Vereine wie Schalke (mit 155.000 Mitgliedern der viertgrößte Fußballclub der Welt) durch den Abbruch einer Bundesliga-Saison in eine existenzbedrohende Lage kommen, dann läuft im Profifußball etwas gehörig falsch. Ein System, was auf Abweichung nicht reagieren kann, ist nicht überlebensfähig. Wenn die Bundesliga also langfristig überleben möchte, muss sich etwas grundlegend ändern.

Kapitalinteressen zurückschrauben, Fernsehgelder nicht weiter explodieren lassen, Sponsoring einschränken, Spielergehälter deckeln… die Liste ließe sich lange fortführen. Aber die Antwort der Clubchefs wird wahrscheinlich eher eine andere sein: mehr Geld ins System. Wenn der Profifußball weiterhin all in spielen will, dann muss er auch bereit sein, mit den Konsequenzen zu leben: all in or nothing.


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