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NRW Jusos – Beitrag

13. Dezember 2021

Impfpflicht: berufsbezogen oder allgemein? Warum eine berufsbezogene Impfpflicht zu einfach gedacht ist.

Die wiederentflammte Diskussion um eine Impflicht ist nicht neu. Als gesamtgesellschaftliche Debatte ist sie jahrhundertealt, für Menschen mit einem Beruf im Gesundheitswesen ist sie schon Realität. Warum die Debatte jetzt öffentlich geführt werden muss.

Es gibt bereits Impfpflichten im Gesundheitssektor.

Die Debatte um die Impfpflicht ist keine neue Diskussion, weder für Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, noch generell in Deutschland. Faktisch gibt es seit dem 01.03.2020 eine Nachweispflicht über den Impfschutz bzw. die Immunität gegen Masern für Berufe im Gesundheitswesen. Beschäftigte, die der Masern-Impfpflicht bis zum Stichtag (01.03.2020) nicht nachgekommen sind und auch keine Immunität nachweisen können, dürfen nicht länger in den Einrichtungen arbeiten.

Der indirekte Druck zum Impfen ist auch bereits 2015, durch den im Rahmen des Präventionsgesetzes verabschiedeten § 23a des Infektionsschutzgesetzes, auf Arbeitnehmende im Gesundheitsbereich erhöht worden. Durch diesen Paragrafen dürfen Arbeitgebende im Gesundheitswesen Beschäftigte nach ihrem Impfstatus fragen und anhand dessen über ein Beschäftigungsverhältnis bzw. die Art und Weise der Beschäftigung entscheiden.

Begründung ist immer, dass vulnerable Menschen geschützt werden müssen und Beschäftigte im Gesundheitswesen eine besondere Fürsorgepflicht haben.

Führt man diese Diskussion anhand des Pflegeberufs weiter, wird deutlich, dass eine verweigernde Haltung gegen das Impfen auch in keiner Weise mit dem Berufsethos vereinbar ist. Wird der Ethikkodex für Pflegekräfte (ICN Ethikkodex) betrachtet, wird deutlich, dass eine von vier Grundsäulen des verantwortlichen pflegerischen Handelns „Gesundheit fördern und Krankheiten verhüten“ ist. Zudem haben Pflegefachpersonen eine „primäre berufliche Verantwortung […] gegenüber Menschen, die jetzt oder in Zukunft Pflege benötigen, seien es Einzelpersonen, […] oder Bevölkerungsgruppen.“ Und „Pflegefachpersonen teilen mit der Gesellschaft die Verantwortung, Maßnahmen zu initiieren und zu unterstützen, die den gesundheitlichen und sozialen Bedürfnissen aller Menschen gerecht werden.“ Wie dieses Verständnis mit einem ungeimpften Status kollidiert, ist mehr als deutlich. Eine Impfung gegen das Coronavirus ist als Pflegefachperson also eine Selbstverständlichkeit.

Das medizinische Personal und Pflegepersonal hat eine überdurchschnittliche Impfquote. Genaue Zahlen fehlen aber.

Der Report zur 8. Befragung des RKIs zum COVID-19 Impfquoten-Monitoring in Deutschland (COVIMO, Befragungszeitraum: 15.09.2021 – 18.10.2021) zeigt auf, dass die Impfinanspruchnahme des medizinischen- und Pflegepersonals zwar nicht besser ist als andere Berufsgruppen, die Impfquote für medizinisches und Pflegepersonal aber im Mittel auf 88.3 % geschätzt wird. Sie liegt also deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt (RKI, 2021, S. 9). Detaillierte Zahlen, wie hoch die Impfquoten bei den verschiedenen Berufsgruppen sind, die zu den medizinischen und pflegerischen Berufen zählen, existieren jedoch nicht. Betrachtet man weitergehend die Einrichtungen, in denen viele Ausbrüche stattfinden – also Alten- und Pflegeheime – in Hinblick auf die dort arbeitenden Berufsgruppen, sind nur 30 % Pflegefachpersonen. Die verbleibenden 70 % setzen sich aus Pflegeassistentinnen, Therapeutinnen, Sozialarbeiterinnen und Personal der Hauswirtschaft, Verwaltung und Betreuung zusammen. Es könnte aufgrund der erhobenen Daten des RKI angenommen werden, dass eben nicht das pflegerische Personal die Ungeimpften sind, sondern auch Beschäftigte der anderen Berufsgruppen. Es könnten aber auch Angehörige der Bewohnerinnen, die am Wochenende besucht werden, oder der Mensch auf dem Parkplatz, mit dem eben ein Pläuschen gehalten wird, sein. Den Schwarzen Peter dem Pflegepersonal unterzujubeln, ist definitiv zu kurz gedacht. Wenn eine berufsbezogene Impfpflicht verabschiedet wird, würden weder Ausbrüche komplett verhindert werden noch werden viele Pflegekräfte abwandern. Und selbst wenn wenige Pflegende genau aus diesem Grund den Beruf verlassen, lässt sich die Frage stellen, ob diese Personen aus einer ethischen Sicht wirklich für diesen Beruf geeignet sind.

Aber das eigentliche Ziel sollte man rund um diese Scheindebatte nicht aus den Augen verlieren: Wie kriegen wir das verdammte Virus endlich eingedämmt? Wie schaffen wir es, dass vulnerable Menschen in Ihren Lebensrealitäten geschützt werden? Und wie kann man weitere Wellen, Tote und Überlastungen des Gesundheitssystems verhindern? Wie können wir Beschäftigte im Gesundheitswesen wirklich unterstützen?

Natürlich nicht mit einer berufsbezogenen Impfpflicht, sondern mit einer Impfpflicht für ALLE!

Auseinandersetzungen um Impfpflichten für die gesamte Bevölkerung sind aber auch nicht neu. Sie wurde bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geführt. 1874 wurde erstmals eine Impfpflicht aufgrund der Pockenepidemie in Deutschland eingeführt. Damals waren Impfgegner*innen übrigens auch schon top informiert: es hielt sich zum Beispiel hartnäckig das Gerücht, dass Menschen durch eine Pockenimpfung in Kühe verwandelt werden.

Die Diskussion, die immer mit einer Impfpflicht in Verbindung steht, wirft wieder und wieder die Frage auf: Darf der Staat das Individuum zwingen, zum Wohle aller eine Impfung vorzunehmen? Wird damit die Freiheit des Einzelnen beschnitten? Wenn Menschen in diesem Kontext Freiheit aufführen, für wen gilt die Freiheit? Passend zur aktuellen Debatte sagte Johann Jacoby (1805-1877), ein jüdischer Mediziner, der unermüdlich für die Beseitigung politischer wie gesellschaftlicher Ungleichheit eintrat „Nur wer die Freiheit anderer achtet, ist selbst der Freiheit wert.“

Längst ist die Entscheidung für oder gegen eine Impfung keine individuelle Freiheit mehr, sondern vielmehr eine Entscheidung, die gesellschaftliche Folgen mit sich bringt. Entscheide ich mich gegen eine Impfung, achte ich eben nicht die Freiheit der anderen. Entscheide ich mich für eine Impfung, zeige ich mich solidarisch. Ich verhindere schwere Verläufe sowie Ansteckungen und schütze damit nicht nur mich, sondern auch andere Personen. Insbesondere die, die besonders vulnerabel sind und eine Infektion nicht zu Hause mit Tee und Paracetamol auskurieren können, sondern mit schweren Verläufen im Krankenhaus ums Überleben kämpfen. Ich versuche zu verhindern, dass Betten mit Covid-Patient*innen belegt werden und andere Menschen nicht behandelt werden können. Ich möchte verhindern, dass Menschen mit Behinderung oder chronologischer Krankheit und deren enge Kontaktpersonen aus Schutz in die soziale Isolation gehen müssen. Ich möchte vielleicht auch verhindern, dass noch mehr Pflegekräfte den Beruf aus Überlastung und Hoffnungslosigkeit verlassen. Vielleicht möchte ich auch einfach, dass nächstes Jahr wieder Festivals stattfinden, dass ich meinen Geburtstag unbeschwert feiern kann oder dass beim ersten Mai alle auf der Straße sein können. Ich kann unendlich viele Gründe aufzählen, aber es ist egal so lange sich ein so großer Anteil eben nicht impfen lässt und damit die Gesellschaft spaltet.

Weil diese Menschen meinen „man wird nur noch gefragt, ob man geimpft ist und nicht wie es einem geht“, „LanGzEiTFolGEn können doch noch gar nicht erforscht sein“, „ich möchte irgendwann noch mal Kinder bekommen“ und, und, und. Das sind falsche Annahmen oder Trotz. Die komplett abstrusen Argumente führe ich jetzt gar nicht erst auf, das hat keinen Platz verdient. Alle diese Menschen könnten sich hier niedrigschwellig zu den Fakten gegen Falschmeldungen zur Corona-Schutzimpfung informieren. Aber das tun sie leider in den meisten Fällen nicht. Und genau deshalb brauchen wir klares politisches Handeln, dass nicht die Verantwortung an dendie Einzelnen abgibt, sondern einen Staat, der das Individuum zwingen muss, zum Wohle aller eine Impfung vorzunehmen.

Wir brauchen:

  • Eine gesetzlich legitimierte Impfpflicht für ALLE. Die Diskussion muss jetzt endlich ernsthaft und laut in den Parlamenten geführt werden, das müssen alle mitbekommen und so die Chance haben, sich noch vor der Einführung für eine Impfung zu entscheiden.
  • Aufklärungskampagnen, Aufklärungskampagnen, Aufklärungskampagnen (Orientiert an Adressat*innen, die man ansprechen möchte. Insbesondere über LanGzEitFolGEn, für die es keinerlei Anhaltspunkte gibt!)
  • Niedrigschwellige Impfangebote (sei es auf Weihnachtsmärkten, mit Impfbussen oder ähnlichen Formaten) und Aufbau der Impfzentren, um allen Impfungen anzubieten, die sich impfen lassen wollen. Dieses Potenzial nicht zu nutzen wäre fatal.
  • Eine strikte Nachverfolgung von gefälschten Impfpässen und Monitoring über die Beweggründe von Impfverweigernden.

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