NRW Jusos – Magazin

Klasse statt Mitte
Die Sozialdemokratie braucht die Arbeiter*innen. Und die Arbeiter*innen eine Sozialdemokratie, die an ihrer Seite steht und Menschen aus dem Prekariat befreit.
Das Ergebnis der Bundestagswahlen sitzt uns allen noch in den Knochen, aber so richtig Zeit scheinen sich einige Genoss*innen an der Parteispitze nicht nehmen zu wollen, um zu analysieren, was das schlechteste Abschneiden der SPD in der Geschichte der BRD eigentlich bedeutet. Denn wir müssen uns ehrlich machen: Immer tiefer sitzt offensichtlich der Vertrauensverlust der Wähler*innen, immer weniger erkennen in der SPD die Partei, die ihr Leben zum Besseren verändern kann. Denn Fakt ist: Nur noch ein Achtel der Arbeiter*innen wählt die SPD und gleichzeitig entscheidet sich inzwischen jede fünfte Person mit Wahlrecht dazu, einer rechtsextremen Partei ihre Stimme zu geben. Hört man auf Friedrich Merz, so liegt die Erklärung dafür im Ende der linken Politik. Und schaut man auf das Verhandlungsergebnis des Koalitionsvertrags, könnte man meinen auch immer mehr Genoss*innen glauben, „mehr Mitte“ und ein „Blinken nach rechts“ wären die Antworten auf unser schlechtes Abschneiden. Doch genau diese Engstirnigkeit und das Aufgeben sozialdemokratischer Grundprinzipien ist, was unserer Partei den weiteren Abstieg und den Rechten den Vormarsch eröffnen wird.
Eine jede Bundesregierung (ob mit oder ohne SPD-Beteiligung) hätte nach dieser Bundestagswahl den klaren Auftrag, alles dafür zu tun, dass die Rechtsextremen bei einer nächsten Wahl weniger Stimmen erhalten – nicht mehr. Stattdessen blicken wir weiter auf eine immer größere Schere zwischen Arm und
Reich und auch die SPD mischt fleißig mit bei rechten Narrativen und Politiken.
„Integrität statt Opportunität“ hat unser ehemaliger Bundesvorsitzender Kevin noch vor kurzem in seiner vorerst letzten Rede im Bundestag gefordert. Schaut man nach Berlin in unsere eigene Partei, scheint es, als wäre dieser so wichtige Appell lange nicht bei allen angekommen.
Die Arbeiter*innenklasse ist da.
Es gibt Klassenbewusstsein, aber wir haben ein Umsetzungsproblem!
Die Abkehr vom 8-Stunden-Tag, keine Verbindlichkeit bei der so dringend gebrauchten grundlegenden Steuerreform, die untere und mittlere Einkommen effektiv entlastet und ein Koalitionsvertrag, der jede einzelne vereinbarte Maßnahme unter Finanzierungsvorbehalt stellt, sind nur die Spitze des Eisbergs der Fantasielosigkeit – auch unserer Partei. Denn entgegen des Merz’schen Mythos, dass rechts jetzt einfach wieder en vogue ist, ist das, was die Menschen jedoch brauchen, eine klare linke Politik. Der Anteil prekärer und atypischer Beschäftigung bleibt wahnsinnig hoch, Erwerbslose (und ihre Kinder) werden immer mehr gegängelt. Noch immer sind Frauen strukturell von Armut im Alter betroffen und migrantisierten Menschen wird ihre Lebensleistung aberkannt – Zugang zu guter Arbeit ist ihnen noch oftmals versperrt. Gute Jobs, etwa in der nordrhein-westfälischen Stahlindustrie, drohen wegzufallen. Man könnte die Liste so lange weiterführen, aber klar ist: Arbeiter*innen brauchen eine politische Vertretung, die ihnen Selbstwirksamkeit vermittelt und tatsächlich merkliche Veränderungen herbeiführt. Stattdessen verliert sich die SPD in Forderungen von teils rechtswidrigen Verschärfungen in der Asylpolitik, ignoriert Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und möchte mit der Union Totalsanktionen bei der Grundsicherung(!) einführen. Obendrein nährt die Spitze unserer Partei im Bund auch noch die falsche und rassistische Erzählung der „Einwanderung ins Sozialsystem“. Keine dieser ohnehin so falschen Politiken würde jedoch dazu führen, dass gute Arbeit geschützt wird. Keines dieser rassistischen Narrative verringert die soziale Ungleichheit in diesem Land. Keines dieser gefährlichen Spiele mit dem rechten Feuer wird die AfD schwächen und keine dieser Forderungen uns als SPD wieder zu Arbeiter*innenpartei machen.
Wie weitermachen?
Wie kann eine Arbeiter*innenpartei SPD aussehen?
Es gibt eine Chance für die Sozialdemokratie. Dafür brauchen wir aber eine Partei, die sich selbstbewusst und unabhängig von Regierungsbeteiligungen allumfassend weiterentwickelt und zurückbesinnt zur Arbeiter*innenpartei, statt einer SPD, die ihre Grundwerte aus Angst vor BILD-Schlagzeilen lieber beiseiteschiebt und das rote Fähnchen nach dem rechten Wind wehen lässt.
Und natürlich müssen wir uns dafür auch als Jusos an die eigene Nase fassen, auch bei uns ist nicht alles perfekt. Aber genau deshalb beschäftigen wir uns intensiv mit möglichen Lösungen der sozialen Ungleichheit, kommen über eine neue jungsozialistische Arbeitsmarktpolitik zusammen und versuchen, unsere eigenen Strukturen zugänglicher zu gestalten. Ob durch inzwischen kostenfreie Beteiligungsformate wie unsere Verbandswochenenden oder unsere inhaltliche Stärke bei intersektionalen Gesellschaftsentwürfen: Wir beweisen jeden Tag aufs Neue, dass die vermeintliche Alternativlosigkeit des Nachplapperns rassistischer Narrative keine Alternativlosigkeit ist.
Für die SPD heißt das: Wir brauchen ein klares Verständnis, dass wir den Menschen zuhören, aber ihnen nicht einfach aus Bequemlichkeit nach dem Mund reden. Wir brauchen eine SPD, die nicht nur in Wahlkampfzeiten vom sozialen Ausgleich (etwa durch eine neue Steuerpolitik und Investitionsoffensiven) träumt, sondern diese dann auch umsetzt, statt Angst vor der eigenen Courage zu bekommen.
Ich bin zuversichtlich, dass NRW als Herzkammer der Sozialdemokratie dann auch wieder kräftig schlägt, wenn die Menschen merken: Nur die SPD sorgt dafür, dass mehr Geld am Ende des Monats übrigbleibt, Kinder in sanierten Schulen unterrichtet werden und Rassismus wieder mit voller Überzeugung bekämpft wird, damit migrantisierte Menschen sich endlich sicher fühlen können. Bis es so weit ist, ist es unsere Verantwortung als Jusos, genau für diese SPD zu kämpfen, denn aufzugeben ist keine Option. Nur darauf warten die Rechten. Die Richtung? Klasse statt Mitte.
Nina (27) glaubt an eine bessere Sozialdemokratie. Und arbeitet dran!
