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NRW Jusos – Beitrag

17. August 2021

Leave no one behind – sichere Fluchtwege jetzt!

Mit Co-Autorin: Jasmin Bromand ist Aktivistin und Jurastudentin mit afghanischer Migrationsgeschichte und hat selbst Familie in Kabul.

“I’m not afraid of them. We are not people who will go back to the dark era. I’m a girl and I don’t care about anyone.”

„Ich habe keine Angst vor ihnen. Wir sind keine Menschen, die wieder in die dunklen Zeiten zurückkehren werden. Ich bin ein Mädchen und sie interessieren mich nicht“, sagte Miriam aus Kabul. Aus der Hauptstadt Afghanistans, die seit gestern (Stand: 15.08.2021) auch unter der Führung der Taliban ist.

Diese Worte, die voller Ernsthaftigkeit, Stärke und Mut sind, zeigen, dass vor allem Afghaninnen unter der Führung der Taliban leiden. Ihnen wurde jegliche Art der Selbstbestimmung genommen. Jede*r, der oder die eine andere Meinung als die Taliban vertritt, muss damit rechnen, verfolgt oder gar getötet zu werden, sagt die Frauenrechtsaktivistin Mariam Atahi in einem Interview. Mariam setzte sich in den letzten zwanzig Jahren für Frauenrechte ein und muss nun selbst um ihr eigenes Leben fürchten. Ähnlich schätzt dies auch die Journalistin und Gründerin von LEARN, Pashtana Zalman Khan Durrani, ein. Sie sagte dem CNN gegenüber, dass in der Vergangenheit Frauen Rechte zugesichert wurden und es möglich war, dass Mädchen zur Schule gehen und sich weiterbilden konnten. Frauen konnten sich ihre Arbeit aussuchen, konnten als Abgeordnete ins Parlament und ihnen stand ein Selbstbestimmungsrecht zu. Diese Frauenrechte gibt es mit der Eroberung Afghanistans durch die Taliban nicht mehr. 

Nach dem US-Truppenabzug nach ganzen zwanzig Jahren und auch der Beendigung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan, haben die Taliban in einem nicht erwarteten, rasanten Tempo das Land unter ihre Kontrolle gebracht. Dabei ist das Ziel der Taliban, die Bevölkerung ihrer fundamentalistischen und radikalistischen Intepretation des Islams zu unterwerfen.

Die scheinbare Ausweglosigkeit der aktuellen Lage darf nicht einfach hingenommen werden.

In Zeiten der Unsicherheit für die Menschen vor Ort ist eine schnelle und konkrete Hilfe erforderlich.  Ganz konkret heißt es, dass Fluchtwege und Fluchtmöglichkeiten für die von der Taliban bedrohten Menschen geschaffen werden müssen. Im Rahmen dessen ist es nicht nur hilfreich, sondern vielmehr zwingend notwendig eine feministische Perspektive einzunehmen, denn die Machtübernahme der Taliban stellt besonders für diejenigen, die im Patriarchat stets den Kürzeren ziehen, eine massive Bedrohung dar: Frauen und Kinder, LGBTQIA+ werden massiv bedroht. Auch all diejenigen, wie Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen, die sich für die Besserung der Lebensbedingungen und für die Demokratie eingesetzt haben, müssen gleichermaßen um ihr Leben fürchten. Für Aktivist*innen, Menschen mit Familie und Freund*innen in Afghanistan und für uns Jungsozialist*innen ist dies eine unerträgliche Situation. Wir stehen hinter der afghanischen Bevölkerung, die in diesem Chaos alleine zurückgelassen wurde und immer noch zurückgelassen wird! 

“2015 darf sich nicht wiederholen?” Wir können diese populistischen Narrative nicht mehr hören!

„2015 darf sich nicht wiederholen“, sagte Armin Laschet am Montag in Berlin in einem Interview zur Lage in Afghanistan. Die europäische Union müsse sich darauf einstellen, dass es eine Flüchtlingsbewegung nach Europa geben könnte. Dabei spielt Laschet auf die sogenannte „Flüchtlingskrise“ an, die sich anscheinend tief in dem Bewusstsein der deutschen Gesellschaft als ein Desaster verankert hat. Doch viele Menschen wünschen sich gerade, dass Menschlichkeit und Aufnahmebereitschaft für flüchtende Menschen genau jetzt zum Tragen kommt.

Wer in einer solchen humanitären Katastrophe die Einhaltung bürokratischer Anforderungen priorisiert, der hat die Ernsthaftigkeit der Lage nicht verstanden.

Wer solche populistischen Narrative bedient, der hilft keinem einzigen Menschen in Afghanistan. Die Angst um das eigene Leben kann mit dieser unzureichenden Hilfe nicht genommen werden. Die einzig angemessene Antwort auf dieses humanitäre Desaster kann nur sein, sichere Fluchtwege für all diejenigen zu schaffen, die vor dem menschenfeindlichen System der Taliban fliehen müssen!

Vulnerablen Gruppen die Flucht ermöglichen!

Es ist nicht ausreichend, dass die Bundesregierung deutsche Soldat*innen und Botschaftspersonal aus Afghanistan evakuiert. Es ist auch noch nicht einmal ausreichend, dass heimische Ortsgruppen evakuiert werden. Es müssen all diejenigen gerettet werden, die zurückgelassen werden. Bereits eine halbe Million Menschen sind Binnenflüchtlinge in Afghanistan. Gleichzeitig versuchen unzählige Afghan*innen am Flughafen in Kabul einen Ausweg zu finden, indem sie Passagierflugzeuge stürmen oder versuchen auf dem Schwarzmarkt begehrte Pässe zu ergattern. Es ist eine Falschannahme zu behaupten, dass Afghan*innen sich dieses Schicksal ausgesucht haben und die Werte und Normen der Taliban teilen. Vielmehr hat der Verlust der Selbstbestimmung über das eigene Leben tiefe Spuren hinterlassen. Die Bedrohung für die Menschen vor Ort wird immer spürbarer, für Frauen, Kinder und LGBTQIA+ ist sie aber schon unmittelbare Realität. Junge Mädchen werden entführt und sexuell versklavt. Die Frauen, die studieren konnten, werden dieser Chance beraubt, andere verlieren ihre Jobs und dürfen teilweise in einigen Provinzen nicht mehr ohne männliche Begleiter aus dem Haus.

Gleichzeitig werden Frauenrechtsaktivist*innen und Menschenrechtler*innen bedroht. LGBTQIA+ Menschen, die dem binären System nicht entsprechen, müssen ebenso um ihr Leben fürchten. Dieser Umstand zeigt, dass es ein politischer Fehler ist, eine Evakuierung nur den heimischen Ortsgruppen zu ermöglichen. Die Bundesrepublik hat die Verantwortung zu tragen, vor allem nach dem Bundeswehrabzug und der falschen Einschätzung über die Lage in Afghanistan, die Folgen ihrer Taten aufzuräumen und sie muss dafür sorgen, dass alle bedrohten Menschen sicher fliehen können. Das darf nicht erst bald geschehen, sondern muss jetzt auf der Tagesordnung stehen.

Nur diejenigen, die jetzt Fehler einsehen, können es schaffen richtig zu handeln. Wichtig ist dabei aber nicht nur auf die anderen zu schauen, sondern auch in die eigenen Reihen zu blicken. Richtigerweise hat Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD Bundestagsfraktion geäußert, dass eine Aufarbeitung im Parlament über die Geschehnisse erfolgen soll. Für uns ist aber klar, dass es jetzt kurzfristige und schnelle Lösungen geben muss, die den Menschen vor Ort Perspektiven bieten. Dazu gehört die sofortige Evakuierung der Ortskräfte, die Schaffung von sicheren Fluchtwegen für bedrohte Menschen und ein Aufnahmeprogramm für diejenigen, die sich für Frauenrechte, Menschenrechte und Demokratie stark gemacht haben! Wir schließen uns den Forderungen von diversen Organisationen, wie der Seebrücke und Seaeye an und sagen: Luftbrücke jetzt!


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