NRW Jusos – Magazin
Mehr als Norbert, Hans und Rainer
Lasst die Unterdrückten selbst ein Teil des Kampfes gegen die Unterdrückung aller sein. Die Gesellschaft ist es ihnen schuldig.
Aus unserem Verbandsmagazin: Alicem (26) kandidierte selbst vor vier Jahren zur Kommunalwahl und möchte BIPoC empowern, ebenfalls anzutreten und die Sozialdemokratie in Verantwortung zu ziehen.
Die Sozialdemokratie definiert sich in ihrer historischen Stärke durch die Ideale, für die sie einsteht, aber auch immer durch die Menschen, für die sie einsteht. Denn die Grundidee verfolgte auch immer das Ziel, die Unterdrückten einer Gesellschaft zu einen und aus der Unterdrückung zu holen. Mit den Unterdrückungsmechanismen, die sich im Laufe der Jahrzehnte verändert haben, lässt sich auch auf die Gruppe der Unterdrückten anders blicken. Denn im Zeitgeschehen sind wir in der Theorie befähigter, diese Mechanismen zu entlarven und Marginalisierungen und marginalisierte Gruppen zu definieren. Scheitern tut es jedoch am Willen zum ehrlichen Umgang mit diesen Problemen.
Es rettet uns kein höh’res Wesen…
Natürlich lässt sich darüber streiten, wie die Überwindung der Unterdrückung aussehen kann. Dass dabei die Einbindung der Perspektive der Marginalisierten unerlässlich ist, sollte jedoch der Konsens sein. Genauso wie, dass diese Perspektiven nicht nur als solche für die eigenen politischen Zwecke genutzt werden, sondern den Menschen hinter der Marginalisierung auch Macht zugesprochen wird. Denn letztlich sind die Profiteur*innen der Unterdrückung es schuldig, wenn sie denn bereit sind, die Unterdrückung einzusehen, von der sie profitiert haben.
Doch leeres Wort des Armen Rechte, leeres Wort des Reichen Pflicht. Aus dieser Erkenntnis begründet sich im Wesentlichen auch die Verantwortung der Sozialdemokratie. Denjenigen dazu verhelfen, gehört zu werden, die allzu lang leise gehalten wurden.
Vor der eigenen Haustüre kehren
Bereits zur Aufstellung von Listen zur vergangenen Bundestagswahl versprach die NRWSPD Besserung. Es sollten Strategien entwickelt werden, um bei kommenden Wahlen eine bessere Repräsentanz auf den Listen zu erreichen. Passiert ist seitdem zu wenig. Zumal sich durch die Wahlrechtsreform bei Bundestagswahlen die Relevanz der Liste deutlich verändert hat. Denn die Sozialdemokratie sollte nicht nur auf ihre Listen schauen, sondern in die Analyse der Besetzung ihrer Wahlkreiskandidierenden gehen. Die Ergebnisse nach Wahlen zeigen nämlich, dass selbst bei einer paritätischen Besetzung der Wahllisten letztlich dennoch mehr Männer in den SPD-Fraktionen sitzen.
Wahlkreis ist nicht gleich Wahlkreis.
Dies rührt insbesondere auch daher, dass in „holbaren“ Wahlkreisen eher Männer besetzt werden. Insbesondere weiße und privilegierte Männer. Diejenigen, die für mehr als den weißen Mann stehen, müssen sich dann um die wenigen realistischen Wahlkreise bekämpfen. Dass das in der historischen Verantwortung der Sozialdemokratie keine ernstzunehmende Lösung sein kann, muss genauso Konsens sein wie die Anerkennung der Kämpfe von migrantischen Arbeiter*innen, Sozialdemokrat*innen in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen und historischen Held*innen, die für die Rechte von vielen gekämpft und gewonnen haben. All diese Perspektiven haben ein Recht darauf erhört und gesehen zu werden und die SPD muss sich ehrlich machen, ob ihr diese Perspektiven wichtig sind oder ob sie die Hoffnungen dieser Menschen verrät, weil ihre Politik nicht der parlamentarischen Kontrolle von Betroffenen unterliegt.
Macht uns nicht unsichtbar!
In kommunalen Parlamenten sieht es ganz ähnlich aus, wenn nicht sogar deutlich schlimmer. Denn die Kommunalpolitik ist geprägt von weißen Männern, tendenziell über 60. Meist sind Mandatsträger*innen nur ein Abbild dessen, was bereits in den Strukturen der SPD schiefläuft. Ganz zu schweigen von Empowerment, werden Sitzungen und Parteitage von Männern dominiert, die meinen, dass sie die einzig wahre Meinung gepachtet hätten. Dass dabei insbesondere marginalisierte Meinungen untergehen, weil marginalisierte Menschen ungesehen bleiben, obwohl sie da sind. Häufig existiert die Mär, dass es zu wenig BIPoC gäbe in der Sozialdemokratie oder marginalisierte Menschen sich nicht präsent engagieren würden. Diese Erzählung macht jedoch meist mehr kaputt, als es einer Besserung dienen könnte. Nicht nur, dass Marginalisierte unsichtbar bleiben, sondern sie werden immer weiter aktiv unsichtbar gemacht. Es wird gefordert, wo gefördert werden sollte.
So geht Empowerment!
Wie so häufig müssen die Jusos das richten, was die Mutterpartei nicht hinbekommt. Auch wenn Empowerment zunächst nur das oberflächliche Mittel zur Stärkung von unerhörten Stimmen bleibt, haben wir als Sozialdemokrat* innen die Gewissheit, dass sich die Menschen letztlich auch für die richtigen Ideale einsetzen können. Denn die Repräsentanz soll auch immer die Veränderung der materialistischen Verhältnisse zur Folge haben. Und wenn dabei ein Schwarzes Mädchen auf ein Wahlplakat schaut und ein Vorbild entdeckt, was ihrer Lebensrealität entspricht, haben wir bereits etwas verändert.
Allerdings entscheiden nicht allein Juso-Strukturen darüber, welche Sozialdemokrat*innen z.B. für den Bundestag kandidieren und welche nicht. Jusos müssen immer auch in den Strukturen der SPD agieren, um ihrer inhaltlichen Vorarbeit auch parlamentarischen Einfluss folgen zu lassen. Auch wenn viele junge Menschen in SPD-Strukturen verzweifeln, müssen sich Jusos zusammentun und junge Perspektiven in die Geschehnisse der SPD einbringen. Für Empowerment, Repräsentanz und progressive Politik muss auch dort gestritten werden und es darf nicht in einer Juso-Bubble bleiben.
Wir wollen mehr BIPoC auf Wahllisten und in guten Wahlkreisen. Wir wollen, dass alle marginalisierten Stimmen erhört werden. Wir wollen flächendeckende Parität. Wir wollen eine Sozialdemokratie, die der Armen Rechte und der Reichen Pflichten kennt und für sie kämpft. Wir bitten nicht, wir fordern. Mischt mit!