NRW Jusos – Blog
Roter Mai statt schwarz-roter Merz
Was in Berlin geplant wird, geht uns alle an. Jusos und Gewerkschaften müssen jetzt genau aufpassen, was in unserem Land für Arbeitspolitik gemacht wird – ein Blogbeitrag zum internationalen Arbeiter*innenkampftag von Robin Busch aus unserem Landesvorstand:
Am ersten Mai, dem traditionellen Kampftag der Arbeiter*innenbewegung, demonstrieren wir Jusos in ganz NRW an der Seite der Gewerkschaften. Bei den zahllosen Kundgebungen, Demonstrationszügen und Festen stehen der Erhalt und die Verbesserung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen im Vordergrund.
Gleichzeitig passiert Anfang Mai aber noch etwas anderes: Am 6. Mai wird, aller Voraussicht nach, mit Friedrich Merz ein CDU-Mann, der in Sachen Kumpanei mit der Wirtschaft selbst Gerd Schröder in den Schatten stellt, zum nächsten deutschen Bundeskanzler gewählt. Für uns war und ist das Grund genug, einen genaueren Blick auf den vorliegenden Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD zu werfen.
Klar ist schon jetzt: Ohne wachsame und selbstbewusste Gewerkschaften droht eine Verschlechterung der allgemeinen Arbeitsbedingungen.
Der Status quo
Die deutsche Wirtschaft befindet sich inzwischen im dritten Jahr in Folge in einer Rezession. Das bedeutet, dass die Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorjahr nicht gewachsen ist. Einige Gründe hierfür sind die unsicheren Handelsbeziehungen mit den USA, verschleppte Investitionen in unsere Infrastruktur und nicht zuletzt der immer deutlicher werdende Fachkräftemangel. Deshalb ist es kein Wunder, dass der Koalitionsvertrag schon auf der ersten Seite des Vorwortes eine neue Wachstumsdynamik für die deutsche Wirtschaft als Ziel formuliert. Das ist auch für die Arbeitsmärkte ein wichtiges Zeichen, denn in ganzen Branchen, vor allem in der Industrie, ist das „Kurzarbeitergeld“ inzwischen von der Ausnahme zur Regel geworden.
Kurzarbeit ist eigentlich ein Instrument, um über eine geringe Zeitspanne Unternehmen so zu unterstützen, dass sie keine Entlassungen vornehmen müssen. Seit einigen Jahren verlängert sich die durchschnittliche Bezugsdauer allerdings immer mehr und die Arbeitslosigkeit steigt, wenn auch auf leichtem Niveau, seit 2022 an. Besonders schlimm trifft es die Industrie. So rechnet die Hälfte der Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie 2025 mit einem Stellenabbau in ihrem Unternehmen. Die Unsicherheit unter den Beschäftigten ist dementsprechend groß.
Die Sondervermögen
Um Deutschland aus der Krise zu holen (und um die Finanzierung des Haushaltes überhaupt erst möglich zu machen), haben Union und SPD mit Hilfe der Grünen noch im alten Bundestag eine große Änderung am Grundgesetz vorgenommen. Zusätzliche 500.000.000.000 € (in Worten: fünfhundert Milliarden Euro) stehen jetzt für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur wie Straßen, Hochwasserschutz, Cybersicherheit und Gebäude bereit.
Damit lässt sich viel anfangen, wenn das Geld auch richtig eingesetzt wird. Für gute Arbeitsplätze ist das sehr wichtig, denn schon jetzt ist der schlechte Zustand der Infrastruktur in Deutschland ein Problem für die Konkurrenzfähigkeit der Industrie. Dasselbe gilt übrigens auch für die Verfügbarkeit von Ökostrom. Damit die deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine kommt, braucht es Investitionen. Damit der deutsche Wohlstand auch bei denen ankommt, die ihn erwirtschaften, braucht es noch viel mehr:
Der Mindestlohn
Auch wenn Friedrich Merz es nicht genau weiß – der Mindestlohn in Deutschland liegt seit Januar 2025 bei 12,82 €. Die Verhandler*innen von SPD und Union haben im Koalitionsvertrag angekündigt, sich an die EU- Vorgabe von 60% des Bruttomedianlohns halten zu wollen. Der Bruttomedianlohn beträgt circa 25 €, was einen Mindestlohn von 15 € bedeuten würde. Doch schon 2023 hat sich gezeigt, dass die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission dazu führen kann, dass die Vertreter*innen der Arbeitnehmerseite überstimmt werden. Die Mindestlohnkommission ist aus Vertreter*innen der Arbeitgebenden- und Arbeitnehmendenseite, sowie einer Vorsitzenden zusammengesetzt. Diese Kommission fasste bis 2023 ihre Entschlüsse im Konsens. Aber ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Inflation, als Millionen Menschen nicht mehr wussten, wie sie Tanken, Heizen und Essen bezahlen sollen, blockierte die Vorsitzende gemeinsam mit den Arbeitgebervertreter*innen eine Erhöhung des Mindestlohns. So ist es nicht klar, ob wir uns wirklich auf die Anpassung des Mindestlohns auf 15€ verlassen können- oder nicht. Auch hier steht aber fest: Wenn der Mindestlohn steigen soll, braucht es politischen Druck auf die Beteiligten.
Tarifverträge braucht das Land
Wie schon bei den letzten GroKos setzt die SPD das Thema der Tarifbindung auf die Agenda. In diesem Jahr hat es die Forderung nach einem “Bundestariftreuegesetz” in den Koalitionsvertrag geschafft. Das bedeutet, dass Aufträge des Bundes, von denen es bei 500 Milliarden Euro Sondervermögen einige geben dürfte, ab einem Volumen von 50.000€ nur an Unternehmen mit Tarifvertrag vergeben werden dürfen. Solche Gesetze sind ein wichtiger Hebel, um die Tarifbindung, also den Anteil von Unternehmen mit Tarifvertrag, zu erhöhen. Deshalb darf es aus unserer Sicht nicht unter den Tisch fallen. Der Rückgang der Tarifbindung in Deutschland ist ein langanhaltender Trend, der sich nicht allein durch die Bundesregierung umdrehen lässt. Wenn die nächste Bundesregierung ihre Vorhaben einhält, ein vernünftiges Tariftreuegesetz einführt und die Gewerkschaftsmitgliedschaft steuerlich begünstigt, ist im Kampf um die Tarifbindung vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung getan.
Einwanderung und Migration
Um mehr ausländische Fachkräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt zu holen, möchte die zukünftige Bundesregierung eine digitale Agentur einrichten, die Fachkräfte und Ansprechpersonen aus den deutschen Behörden zusammenbringt. Dieses Vorgehen ist interessant, wenn man bedenkt, mit welch unwürdiger Härte sich die Parteien der “Mitte” im Wahlkampf gegen Migration und Asyl positioniert haben. Trotz ihrer asylfeindlichen Grundhaltung kann die nächste Bundesregierung nicht auf Arbeitsmigration verzichten, schließlich steht dem kurzfristigen Trend zunehmender Arbeitslosigkeit ein langfristig gigantisches Demographieproblem gegenüber. Um neue Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft zu gewinnen, sollen zum Beispiel die Anerkennung von Qualifikationen vereinfacht und bürokratische Hürden abgebaut werden.
Wichtig wird hier sein, dass ausländische Arbeiter*innen nicht ausgebeutet werden und sie in ihrer Lage auf dem Arbeitsmarkt gut durch den Staat und die Gewerkschaften geschützt werden können. Arbeitsrechtliche Zustände, wie wir sie aus der Landwirtschaft oder der Logistikbranche kennen, müssen bekämpft werden. Gesetze wie das 20-kg-Maximalgewicht für Pakete oder besserer Arbeitsschutz für Berufskraftfahrer*innen sind gute Ansätze im Koalitionsvertrag. Langfristig wird aber auch hier nur eine bessere Kontrolle durch die Berufsgenossenschaften (Träger*innen der gesetzlichen Unfallversicherung für Privatunternehmen) und die stärkere Präsenz von Gewerkschaften in den Betrieben die Verhältnisse ändern.
Finger weg von unserer Arbeitszeit
Wenn es nach dem mutmaßlich nächsten Bundeskanzler geht, arbeiten wir alle grundsätzlich erstmal zu wenig. Für den Millionär Merz und seine Kollegen von der Union steht darum die Steigerung der Arbeitszeit als ein wichtiges Ziel für die Koalitionsverhandlungen fest. Angefangen bei steuerfreien Überstundenzuschlägen über “finanzielle Anreize” für das Arbeiten nach dem gesetzlichen Renteneintrittsalter, bis hin zu einer Reform der täglichen Höchstarbeitszeit, fordert die Koalition viel, was die Menschen dazu bringen soll, endlich wieder länger zu arbeiten.
Besonders die vorgeschlagene Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit beunruhigt uns und die DGB- Gewerkschaften gleichermaßen.
Konkret plant die Regierung, die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu ersetzen. Der 8-Stundentag droht von “flexibleren”, d.h. arbeitnehmer*innenunfreundlicheren Arbeitszeitmodellen verdrängt zu werden. Das ist gefährlich, denn bei längeren Höchstarbeitszeiten steigt nachweislich die Zahl der Arbeitsunfälle deutlich. Besonders schwer würde eine solche Reform die prekär Beschäftigten treffen. Arbeiter*innen in Unternehmen ohne Betriebsrat und Menschen ohne finanzielle Rückendeckung, um ihre Arbeitszeit zu reduzieren, wären die Leidtragenden. Hier gilt es, besonders wachsam zu sein, wenn die Regierung ihre Hand an dieses wichtige, seit 1918 (!) geltende Gesetz legt.
Fazit
Die nächste Regierung hat viel vor. Sie will die Wirtschaft wieder in Gang bringen, bisher ungekannte Summen in die Bundeswehr pumpen und nebenbei die Demokratie vor dem Faschismus retten. Bei all diesen Projekten müssen wir gut aufpassen, dass die Vorhaben im Bereich der Arbeitspolitik nicht in eine falsche Richtung gehen – denn Friedrich “Blackrock” Merz wird es uns nicht leicht machen. Ein guter Startpunkt dafür ist der heutige 1. Mai, wenn wir gemeinsam mit den DGB-Gewerkschaften auf der Straße sind!
