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NRW Jusos – Blog

28. Februar 2025

Vergessene Afrodeutsche Geschichte

Ein Anfang Afrodeutscher Selbstorganisation

Wir verlangen, da wir Deutsche sind, eine Gleichstellung mit denselben (…).

Forderungen 19 der Dibobe-Petition

1. Der Weg nach Deutschland

Martin Dibobe war ein Schwarzer Aktivist im Deutschen Kaiserreich. Er setzte sich für die Gleichstellung von Menschen aus den ehemaligen deutschen Kolonien sowie für eine Auseinandersetzung mit den deutschen Kolonialverbrechen ein. Seine Forderungen wurzelten auch in einer sozialdemokratischen Haltung.

Dibobe wuchs in Kamerun auf und gelangte 1896 im Alter von 18 Jahren nach Deutschland, als Kamerun noch eine deutsche Kolonie war. Viele Schwarze Menschen kamen aus den Kolonien ins Kaiserreich, um an sogenannten „Völkerschauen“ teilzunehmen, die als rassistische Propaganda dienten, um Deutschlands imperialen Anspruch zu rechtfertigen. Sie stellten das vermeintliche Leben in den deutschen Kolonien dar, doch die gezeigten Personen wurden dabei entmenschlicht und zur Schau gestellt. Die Völkerschauen sind ein weiteres dunkles Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte.

Nachdem die Ausstellung, an der Martin Dibobe teilnehmen musste, beendet war, begann er eine Schlosserlehre und arbeitete anschließend bei der Berliner U-Bahn. Dort stieg er vom Zugabfertiger zum ersten Schwarzen Zugführer Berlins auf. Ein berühmtes Foto zeigt ihn in seiner Dienstkleidung als U-Bahn-Fahrer – es gehört zu den bekanntesten Darstellungen Schwarzer Menschen im Kaiserreich.

Sein sozialer Aufstieg war für Schwarze Menschen in Deutschland äußerst ungewöhnlich. Trotzdem gestanden ihm weder das Kaiserreich noch die Gesellschaft als Ganzes gleiche Rechte zu. Die Gleichberechtigung blieb ihm verwehrt.

Zwischen 1906 und 1907 reiste Dibobe für kurze Zeit im Auftrag der deutschen Regierung nach Kamerun, um als Berater beim Bau der dortigen Eisenbahn zu helfen und als „Friedensstifter“ tätig zu sein. Dabei prägten ihn die Berichte der Stammeshäuptlinge über schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter Körperstrafen, Misshandlungen und viele weitere deutsche Kolonialverbrechen.

Martin Dibobe zeigte eine sozialdemokratische Haltung durch seinen Einsatz für Menschenrechte. Wann sich diese Haltung entwickelt hatte und ob er jemals Mitglied war, kann heute nicht mehr ermittelt werden. Klar ist aber: Er sympathisierte offen mit der Sozialdemokratie.

Einige Zeit später, nämlich 1919, wandte sich Dibobe direkt an das Deutsche Kaiserreich, um seinen Anliegen einen Schritt näher zu kommen. Gemeinsam mit 17 weiteren Schwarzen Menschen aus den deutschen Kolonien richtete er eine Petition an das Kolonialamt:

2. Die Dibobe-Petition

Martin Dibobes Petition kann als eine Fortführung der Petitionspolitik verstanden werden, die insbesondere von den Duala – Dibobes ethnischer Gruppe in Kamerun – betrieben wurde. Der Aufbau seiner Petition ähnelt Vorgängern wie der Akwa- und der Bell-Petition. Nichtsdestotrotz weist Dibobes Petition bestimmte Alleinstellungsmerkmale auf, die über ihre Vorläufer hinausgehen.

Dibobes Petition zeichnet sich zunächst durch ihre umfangreichen Forderungen aus. Insgesamt 32 Forderungen stellte er auf, die sowohl emanzipatorisches als auch sozialdemokratisches Gedankengut enthielten. Daher kann sie eindeutig als politische Petition eingeordnet werden.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal besteht darin, dass sich Dibobe mit seinen Forderungen von einer bloßen Einzelfallgerechtigkeit entfernt. Stattdessen betont er die Notwendigkeit, Rechtsverhältnisse grundlegend zu verändern, da individuelle Fehltritte von Akteur*innen häufig als Handlungsspielräume der Kolonialverwaltung abgetan und somit legitimiert wurden. Die Petition greift damit erstmals strukturelle Probleme auf, anstatt sich nur auf Einzelfälle zu beziehen. Dieser Wandel kann als eine Neufokussierung auf rassistische Strukturen interpretiert werden, mit denen Kolonisierte als Kollektiv ständig konfrontiert waren.

Forderungen in der Dibobe-Petition

Dibobes Forderungen besaßen für die damalige Zeit eine erhebliche Sprengkraft. Dies lag daran, dass Dibobe und seine Unterstützer*innen sowohl die Gleichberechtigung und ein Ende der Segregation zwischen Schwarzen und weißen Menschen als auch die Abschaffung von Gewaltmaßnahmen wie der Prügelstrafe gegen die Schwarze Bevölkerung forderten. Darüber hinaus verlangten sie die Abschaffung von Privilegien für weiße Menschen, was jedoch eine grundlegende Neuordnung der kolonialen Herrschaftsverhältnisse erfordert hätte, in denen weiße Menschen nicht länger hierarchisch über Schwarzen Menschen gestanden hätten. Bei der Petition handelte es sich um einen Frontalangriff auf die grausamen Zustände des Status quo und die Machtverhältnisse, die es mit sich brachte.

Zusätzlich beabsichtigte Dibobe mit seinen Forderungen eine Reform des politischen Systems in Kamerun anzustoßen, die eine Übernahme der im Deutschen Reich geltenden Gesetzesordnung vorsah. An diesem Punkt werden auch sozialdemokratische Forderungen deutlich, darunter geheime und allgemeine Wahlen, Versammlungsrechte sowie das Recht auf einen ständigen Vertreter im Reichstag – für den Dibobe von seinen Unterstützern vorgeschlagen wurde. Gleichzeitig forderte er betriebliche Mitbestimmungsrechte und Lohnerhöhungen, um die Existenz einer Familie zu sichern – ebenfalls klar sozialdemokratische Forderungen.

Innerhalb von Dibobes Petition finden sich zudem identitätsstiftende Elemente. So forderten die Unterstützer unter anderem, nicht mehr als „Ausländer“ innerhalb der deutschen Gesellschaft bezeichnet zu werden. Sie begründen dies damit, dass sie sich als Deutsche identifizieren und dementsprechend mit Deutschen auch sprachlich gleichgestellt werden möchten.

3. Auswirkungen

Das Kolonialamt antwortete nicht auf die Petition, und auch die Weimarer Nationalversammlung blieb eine Reaktion schuldig. Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs blieben leider aus.

Für Dibobe selbst gab es tragischerweise Konsequenzen. Nachdem er 1919 um ein Darlehen bat, um mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in seine Heimat zu reisen, wurde ihm dies verwehrt – vermutlich wegen seiner politischen Gesinnung.

Er starb etwa drei Jahre nach Einreichung der Petition in Liberia, wo er seit einem Jahr lebte.

Doch auch wenn die Petition und sein Mut, für seine Rechte einzustehen und zu kämpfen keine direkte politische Wirkung entfalteten, inspirierte sein Einsatz viele nachfolgende Aktivist*innen. Dibobe bleibt ein bedeutender Teil der demokratischen Geschichte und darüber hinaus auch ein wichtiger Teil der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. Zusätzlich zeigt Dibobes Petition auch die ersten Anfänge von Afrodeutscher Selbstorganisation.

Quelle: Afrodeutscher Aktivismus; Interventionen von Kolonisierten am Wendepunkt der Dekolonisierung Deutschlands 1919; Stefan Gerbing; 2010


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