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NRW Jusos – Beitrag

07. April 2020

Viel Lärm um nichts: Der Bericht der Rentenkommission ist symptomatisch für die GroKo

Noch im November des letzten Jahres hat die Große Koalition in ihrer Halbzeitbilanz große Worte für die verbleibende Legislaturperiode gewählt: „Unser Anspruch ist es, für die großen Fragen unserer Zeit, die politisches Handeln erfordern, zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.“ Eine dieser großen Fragen ist unzweifelhaft die Zukunft des Generationenvertrags und man darf feststellen: Auch für die zweite Hälfte der Regierungszeit steht die Große Koalition abseits des Corona-Krisenmanagements nicht für die Lösung der großen Fragen unserer Zeit, sondern für eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Die Vorgeschichte

Aber beginnen wir von vorn. Dass es schwer werden würde, eine wegweisende Lösung für die Zukunft des Rentensystems zu finden, war allen Beteiligten bereits während der Koalitionsverhandlungen klar. Die Herausforderungen, die besonders über das Jahr 2025 hinaus auf das System der Altersvorsorge zukommen werden, sind groß und ohne eine umfassende Reform des bestehenden Systems nur schwer zu bewerkstelligen. Deshalb ist man damals zweischrittig vorgegangen: Man einigte sich zwischen SPD und CDU/CSU erstens auf Beschlüsse bis zum Jahr 2025 und zweitens sollte für die Zeit danach eine Kommission Vorschläge erarbeiten.

Im Rahmen des ersten Schrittes haben CDU/CSU einen weiteren Ausbau der ‚Mütterrente‘ bekommen und die SPD hat sehr erfolgreich die sogenannten doppelten Haltelinien durchgesetzt.

Was meint dabei ‚doppelte Haltlinien‘?

In der Rentenpolitik gibt es zwei zentrale Kennzahlen, an denen sich die Leistungsfähigkeit des Systems ablesen lässt und die deshalb Gegenstand politischer Steuerung sind. Als erste Kennzahl ist der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zu beachten, also vereinfacht gesagt die Einnahmenseite. Er gibt an, wie viel Prozent des Lohns Erwerbstätige in die Rentenversicherung einzahlen. Im System der doppelten Haltelinien bezeichnet man den Beitragssatz als obere Haltelinie und die Sozialdemokratie hat durchgesetzt, dass dieser bis 2025 nicht über 20 Prozent steigen darf.

Als zweite Kennzahl ist das Sicherungsniveau, manchmal missverständlich auch Rentenniveau genannt, zu beachten.  Das Sicherungsniveau gibt als Verhältniswert folgendes an: Stellen wir uns Erna Musterfrau vor. Erna ist eine hypothetische Standardrentnerin, die 45 Jahre lang immer den Durchschnittslohn bekommen hat und jetzt in Rente ist. Außerdem stellen wir uns noch Tina Musterfrau vor, die Tochter von Erna, die berufstätig ist und exakt den aktuellen Durchschnittslohn aller Erwerbstätigen bekommt. Das Sicherungsniveau gibt nun das Verhältnis zwischen der Rente von Erna und dem Lohn von Tina an. Zuletzt lag das Sicherungsniveau bei 48,2 Prozent. Als Standardrentnerin bekommt Erna demnach nach 45 Beitragsjahren heute eine Rente in Höhe von 48,2 Prozent des aktuellen Durchschnittslohns, den Tina im Moment bekommt. Im System der doppelten Haltelinie bezeichnet man dieses Sicherungsniveau als untere Haltelinie, da die Prozentzahl, wenn politisch nicht gehandelt wird, weiter sinken wird. Die SPD hat durchgesetzt, dass das Sicherungsniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken darf, was definitiv ein Verhandlungserfolg war.

Die Vorschläge der Rentenkommission

Wie aber steht es um das Rentensystem nach 2025? Um für diese Frage Vorschläge zu erarbeiten, wurde die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, auch bekannt als Rentenkommission eingesetzt. Über die Dauer von zwei Jahren haben innerhalb der Kommission Wissenschaftler*innen, Fach-Politiker*innen, Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen gemeinsam beraten und nun Ende März ihren 127 Seiten starken und mit Spannung erwarteten Bericht vorgelegt. Und wenn man sich die Kernpunkte des Berichts anschaut, muss man leider feststellen: Viel Lärm um nichts. Anstatt dem eigenen Anspruch gemäß zukunftsfähige Lösungen für die großen Fragen unserer Zeit vorzulegen, handelt es sich bei dem Bericht um einen weiteren Beleg dafür, dass die Große Koalition abseits der derzeitigen Maßnahmen rund um die Corona-Krise nicht in der Lage ist, Politik über den kleinsten gemeinsame Nenner hinaus zu betreiben.

Was sind die Kernpunkte des Berichts und inwiefern sind sie eben nicht geeignet einen verlässlichen Generationenvertrag über 2025 hinaus zu garantieren? Die Kommission schlägt im Wesentlichen drei Maßnahmen vor:

Erstens sollen auch über das Jahr 2025 hinaus gesetzlich verbindliche Haltelinien für einen Zeitraum von jeweils sieben Jahren gelten. Wir erinnern uns also an das Konzept der doppelten Haltelinien. Für die obere Haltelinie (Beitragssatz) wird dabei ein Korridor zwischen 20 und 24 Prozent vorgeschlagen. Für die untere Haltelinie (Sicherungsniveau) soll ein Korridor zwischen 44 und 49 Prozent gelten.

Zweitens schlägt die Kommission neben diesen gesetzlich verbindlichen Haltelinien vor, die bereits bestehenden gesetzlich perspektivischen Haltelinien, die quasi die längere Entwicklung in den Blick nehmen und für diese Orientierung geben, beizubehalten und jeweils für einen Zeitraum von 15 Jahren festzulegen. Für diese perspektivischen Haltelinien sollen dieselben Korridore wie für die verbindlichen gelten.

Drittens sollen neben dem Beitragssatz und dem Sicherungsniveau zwei weitere Kennzahlen eingeführt werden, die die Schwächen der bestehenden korrigieren und für mehr Transparenz sorgen sollen. Die Schwäche beim Beitragssatz besteht darin, dass dieser nicht die volle, reale Beitragsbelastung angibt, was bei der zusätzlichen Bezugsgröße berücksichtigt werden soll. Die Schwäche des Sicherungsniveaus wiederum besteht darin, dass es missverständlich ist und als Verhältniswert eben keine Auskunft über die tatsächliche Höhe der Renten gibt. Viele Bürger*innen glauben, dass z.B. 48 Prozent Sicherungsniveau bedeuten würde, sie bekämen als Rentner*innen 48 Prozent ihres letzten Lohns. Deswegen spricht man auch fälschlicherweise vom Rentenniveau. Um eine bessere Aussage über die Höhe der Renten zu geben, soll deshalb eine neue Bezugsgröße eingeführt werden, die sich an dem Abstand der Standardrente zur Grundsicherung im Alter bemisst.

War es das wert?

Anhand dieser drei Kernpunkte wird deutlich, warum die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ihren Namen nicht verdient hat. Anstatt tatsächliche zukunftsweisende Lösungen vorzuschlagen oder zumindest in der Diskussion weiterzukommen, hat man lediglich erneut die Breite der Diskussion in der Rentenpolitik dargestellt. Der Diskussionsstand nach der Arbeit der Kommission ist derselben wie vor der Arbeit der Kommission mit dem Unterschied, dass wir ihn auf 127 Seiten nochmal detailliert nachlesen können. Nachlesen können wir auch die Sondervoten, die von Gewerkschaften, Arbeitgeber*innen und der Wissenschaft zu verschiedenen Punkten abgegeben wurden, weil selbst über diese groben Leitplanken der politischen Steuerung keine Einigkeit bestand.

Wer nach 2 Jahren Arbeit im Kern vorschlägt, die bestehenden Haltelinien mit veränderten (lies: verschlechterten) Werten fortzuschreiben, ohne tatsächliche Lösungen für die Gretchenfrage unseres Rentensystems, nämlich die Finanzierungsgrundlage, vorzuschlagen, muss sich schon die Frage gefallen lassen, ob es das wert war? Die doppelten Haltelinien bis 2025 waren ohne Zweifel ein Verhandlungserfolg. Für die Zeit nach 2025 diese nun aber einfach mit schlechteren Kennzahlen sowohl für Erwerbstätige als auch für Rentner*innen fortzuschreiben, ohne zu sagen, wie das finanziert werden soll und ohne Vorschläge für eine echte Reform des Rentensystems zu machen – das ist einfach zu wenig. Ich will gar nicht unterschlagen, dass die Kommission viele weitere Reformvorschläge, z.B. zur Einbeziehung von Beamt*innen in die gesetzliche Rentenversicherung, geprüft, aber dann auch wieder verworfen hat. Der Bericht enthält auch noch weitere Empfehlungen. Zur Frage der Erhöhung des Renteneintrittsalters beispielsweise schlägt die Kommission eine weitere Kommission vor. Aber was wirklich frustrierend ist, ist die Tatsache, dass die Konzepte ja auf dem Tisch waren und ignoriert wurden, um überhaupt zu irgendeinem Ergebnis zu kommen.

Wir haben zunächst als NRW Jusos und dann, im Rahmen einer eigenen Kommission, auch als NRWSPD umfassende Beschlüsse zur Zukunft des Rentensystems gefasst: Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer echten Erwerbstätigenversicherung; Einführung einer dynamisierten Beitragsbemessungsgrenze, damit starke Schultern mehr tragen; Stabilisierung des Sicherungsniveaus bei 48 Prozent und mittelfristige Anhebung auf 50 Prozent, damit Rentner*innen nicht von der Lohnentwicklung abgekoppelt werden; eine konsequente Besteuerung von Erbschaften und Vermögen, weil, wer über Leistungsgerechtigkeit spricht, nicht über Reichtum ohne Leistung schweigen darf usw.

Nichts von alldem findet sich in dem Bericht der Rentenkommission. Stattdessen behauptet man zwar, die gesetzliche Rentenversicherung als Hauptsäule des Systems stärken zu wollen, spricht sich aber gleichzeitig für eine stärkere Unterstützung für das Mahnmal der gescheiterten privaten Vorsorge schlechthin aus: der Riester-Rente. 

Wie geht es weiter?

Jetzt kommt es auf Hubertus Heil als zuständigen Minister an, der bei der Vorstellung des Berichts erleichtert wirkte, dass Corona gerade alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Anders jedenfalls ist es nicht zu erklären, wie stiefmütterlich er über die Ergebnisse des Berichts sprach, um im gleichen Atemzug deutlich zu machen, dass er nicht viel von einem Sicherungsniveau von unter 48 Prozent hält. Möge er die meisten anderen Vorschläge des Berichts ähnlich stiefmütterlich behandeln, wenn er Ende des Jahres seine Gesetzesvorhaben zur Rentenreform vorlegt. Dann werden wir wissen, ob den Worten auch tatsächlich Taten folgen werden. Bisher jedenfalls erleben wir abseits von Corona business as usual bei der GroKo. Und das reicht vorn und hinten einfach nicht aus, um eine der wichtigsten Zukunftsfragen zu beantworten.


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