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NRW Jusos – Magazin

31. August 2022

War was? Warum die NRWSPD so nicht weitermachen kann

Artikel aus unserem aktuellen Verbandsmagazin Nr. 24/ August 2022

Wir haben als NRWSPD bei der Landtagswahl unser historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Ich stelle das aus zwei Gründen so deutlich an den Anfang dieses Artikels:

Erstens ist es mir wichtig klarzumachen, dass wir als NRW Jusos nicht einfach mit dem Finger auf andere zeigen. Wir haben gemeinsam den Wahlkampf bestritten. Wir haben gemeinsam verloren. Und wir wollen gemeinsam dieses Ergebnis ehrlich aufarbeiten. Daraus folgt allerdings nicht, dass irgendwie alle und damit am Ende niemand verantwortlich für dieses Desaster ist. Dazu kommen wir später.  

Zweitens muss man diese Tatsache auch deshalb so deutlich an den Anfang jeder Analyse stellen, weil es ja genug Leute in der Partei gibt, die versuchen, das katastrophale Abschneiden mit dem Verweis darauf herunterzuspielen, wie schlecht die NRWSPD in Umfragen noch vor einem Jahr stand. Wer das ernst meint, hat schon aufgegeben. Der akzeptiert die Verzwergung unserer stolzen Partei. Denn Fakt ist doch: Noch eine Woche vor der Landtagswahl lagen wir laut Umfragen mit der CDU fast gleichauf.

Es deutete sich ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen an, die Rückeroberung der Staatskanzlei schien zum Greifen nah. Umso ehrlicher müssen wir uns deshalb der Frage widmen, wie wir diese Chance so grandios vermasseln, ja, wie wir am Ende 9 Prozentpunkte hinter der CDU landen konnten. Scheinrechtfertigungen und naives Herunterspielen nach dem Motto „War was?“ helfen uns dabei nicht weiter. Wir haben als SPD in Nordrhein-Westfalen in absoluten Zahlen über 500.000 Wähler*innen verloren und das hat Gründe. 

Woran hat et jelegen?

Ein weiser Philosoph hat mal gesagt: „Hinterher fragt man sich immer, woran et jelegen hat.“, aber ich denke, einige der Gründe für unsere Klatsche waren auch schon vor und während des Wahlkampfes sichtbar. Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut daran, wie wir als Juso-Landesvorstand im
Spätherbst 2021 Teile der Parteiführung gefragt haben, welche Zielgruppen man eigentlich mit der Wahlkampagne ansprechen wolle und die Antwort kam: „Wir haben keine Zielgruppen. Wir haben
Themen.“ Diese Haltung hat sich dann leider auch im Wahlkampf gezeigt und darin liegt ein erster Grund für unser Abschneiden:

Als NRWSPD wussten wir nicht, für wen wir eigentlich Politik machen.

Stattdessen ging man davon aus, dass es reichen würde, die laut Umfragen drängendsten Themen in NRW in den Mittelpunkt der Kampagne zu stellen. So aber funktionieren Kampagnen nicht. Wenn ich nicht weiß, wen ich ansprechen will, spreche ich notgedrungen alle und damit am Ende niemanden an. Verschärfend hinzu kam, dass während des Wahlkampfes andere Themen im Mittelpunkt standen als während der Planungsphase der Kampagne. Ende April/Anfang Mai war es für die Menschen weniger wichtig, wie der Krankenhausplan für NRW aussieht. Sie wollten Antworten auf die sich ankündigende Inflation und wir haben an den Sorgen der Menschen vorbeikommuniziert. Auch die dezidierte Entscheidung, sich eng an die Bundesebene zu binden, hat sich als strategischer Fehlschluss erwiesen. Abgesehen davon ist es für eine Partei schon eine sehr existenzielle Frage, für wen man Politik macht. Die NRWSPD sollte sie schnellstmöglich wieder beantworten können, denn wir werden gebraucht. Damit aber sind wir bei einem zweiten Grund für die Wahlniederlage:

Es ist uns nicht gelungen, deutlich zu machen, dass es einen Unterschied macht, ob Sozialdemokrat*innen regieren oder nicht. Die Polarisierung hat gefehlt.

300.000 Menschen, die ins Lager der Nichtwähler*innen gewechselt sind, sprechen da eine eindeutige Sprache. Sie haben im besten Fall nicht die Notwendigkeit für einen Regierungswechsel gesehen und im schlechtesten Fall schlicht den Glauben daran verloren, dass die SPD ihr Leben konkret besser macht. Und zu diesem Eindruck haben wir leider selbst beigetragen.

Exemplarisch sei hier an das TV-Duell der Spitzenkandidaten erinnert, bei dem man den Eindruck gewinnen konnte, dass in den Wahlprogrammen von SPD und CDU eigentlich dasselbe drinstehen würde.

Das war wenige Tage vor dem Wahlsonntag ein katastrophaler Eindruck. Wechselstimmung erzeugt man so jedenfalls nicht. Hinzu kam, dass unser Spitzenkandidat selbst zu eigenen Beschlüsse nicht gestanden hat. Dass man die Haltung der NRWSPD zur Kennzeichnungspflicht in so einer Sendung nicht vertritt, ist eine Sache. Aber dass selbst in so einer grundlegenden Frage wie der Abschaffung der Schuldenbremse, wozu sich die NRWSPD in mehreren Beschlüssen klar bekannt hat, der Eindruck erweckt wird, wir wollten an der Schuldenbremse festhalten, trägt dann eben auf fatale Weise dazu bei, dass bei Wähler*innen ankommt, dass SPD und CDU im Grunde für dieselbe Politik stehen. Und es demotiviert zusätzlich die eigenen Leute. Und damit sind wir bei einem dritten Grund, der leider nicht nur ein Phänomen dieses Wahlkampfes war.

Die NRWSPD ist in ihrer Breite nicht mehr kampagnenfähig.

Das betrifft sowohl die Strukturen vor Ort, wo es an manchen Stellen schon an so grundlegenden Dingen wie dem Wissen mangelt, wie man einen Stand anmeldet. Fast überall arbeitet die Partei außerdem noch in Strukturen, die aus einer Zeit stammen, wo die SPD doppelt so viele Mitglieder hatte. 

Das betrifft aber auch die Zusammenarbeit zwischen der Landesebene und der Ebene der Unterbezirke und Kreisverbände. Die Landeszentrale wirkt nicht nur geografisch oft sehr weit weg von der Partei vor Ort, wo Entscheidungen nicht verstanden werden, was dazu führt, dass die Kampagne nicht in der Breite mitgetragen wird. Ein erfolgreicher Wahlkampf aber braucht nicht nur einen Kopf, sondern ganz viele Beine, die laufen und ein starkes Herz, das von Ostwestfalen bis ins tiefste Rheinland schlägt. 

Die NRWSPD von heute 

Und das sozialdemokratische Herz in Nordrhein-Westfalen schlägt im Moment schwach. Fünf weitere Jahre Oppositionsarbeit liegen vor uns und sie müssen definitiv besser werden als die letzten fünf. Noch verfügen wir als Partei über ausreichend Ressourcen, aber wir setzen sie nicht immer sinnvoll ein. Nach dem „Rot pur!“-Prozess ist die NRWSPD erneut kein Ort der Debatten mehr. Man kommt auf Parteitagen zusammen, aber die einzelnen Teile der Partei interagieren nicht miteinander, sondern machen ihr eigenes Ding.

Der Landesvorstand wird wie ein Aufsichtsrat geführt;

er agiert nicht wie das politische Führungsgremium der Partei, das mit eigenen Initiativen vorangeht und in die Breite der Partei wirkt. Die angesprochene Distanz zwischen der Landesebene und der Ebene der UB/KVs ist groß und wird nicht kleiner. Das ist die NRWSPD von heute und wir können so nicht weitermachen. Das bisherige „Kopf hoch und weiter so“ nach der Wahl ist einfach zu wenig, sowohl im Kopf als auch im Herzen. 

Die NRWSPD von morgen 

Denn zu groß sind die Herausforderungen, die vor uns liegen. Neben der mangelnden Kampagnenfähigkeit müssen wir der Gefahr entgegenwirken, zur Regionalpartei des Ruhrgebiets zu werden. Die NRWSPD sollte nicht bei bayrischen Verhältnissen ankommen. Dazu braucht es eine Doppel-Strategie, nämlich einerseits für die Groß- und Uni-Städte in NRW, in denen die Grünen uns hinter sich gelassen haben und andererseits für die ländlichen Regionen, in denen zuletzt die CDU die Nase vorn hatte.  

Apropos Grüne: Für viele unserer Bündnispartner*innen werden sie jetzt als Regierungspartei die erste Ansprechstation sein. Auch darauf müssen wir Antworten finden, um nicht überflüssig zu werden. Im besten Fall gelingt es uns, gemeinsam mit unseren Bündnispartner*innen Druck auf die Landesregierung zu machen. Das setzt allerdings eine aktive Bündnisarbeit und auch den intensiven Dialog mit den sozialen Bewegungen unserer Zeit voraus. Als weitere zentrale Herausforderung müssen wir uns der Frage widmen, wie wir die hunderttausenden Nichtwähler*innen wieder von der Sozialdemokratie überzeugen können. Wenn so viele Menschen den Glauben an uns verloren haben, dann muss uns das umtreiben, dann können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. 

Denn – und das ist ebenso Tatsache wie gute Nachricht – die NRWSPD wird gebraucht. Die schwarz-grüne Klientel-Koalition macht vor allem Politik für diejenigen, denen es eh schon gut geht. Wir müssen an der Seite all derjenigen stehen, die nicht die Möglichkeit haben, das Leben zu führen, das sie führen möchten. Und um dieses sozialdemokratische Versprechen wieder zu erneuern, müssen wir jetzt hart an uns arbeiten, unser historisch schlechtestes Ergebnis anständig aufarbeiten und die richtigen Konsequenzen ziehen. Folgende Dinge sind dabei wichtig: 

  • Verantwortung nicht delegieren: Es kann nicht sein, dass wir die Aufarbeitung outsourcen. Eine externe Analyse ist zu wenig. Zumal wir als NRWSPD kein so großes Erkenntnis-, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem haben. Viele Probleme wurden schon 2017 erkannt – es fehlt zuweilen nicht die Idee, sondern die Bereitschaft, diese auch konsequent umzusetzen. Wir müssen uns selbst kritisch hinterfragen und konkrete Handlungsempfehlungen ableiten. Eine interne Arbeitsgruppe, die die Breite der Partei abbildet, ist dafür der richtige Weg. 
  • Klarheit über das Ziel herstellen: Wir müssen gemeinsam die Frage beantworten, für wen wir eigentlich Politik machen, welche „Mehrheitskoalition“ wir schmieden wollen und in einem zweiten Schritt unsere Beschlusslage entsprechend erneuern und schärfen. Ziel müssen eine sozialdemokratische Erzählung sowie Ideen sein, wie wir unsere Zielgruppen davon überzeugen können. Das gilt insbesondere für die vielen Menschen, die wir an das Lager der Nichtwähler*innen verloren haben sowie für die junge Zielgruppe. 
  • Mitgliederpartei werden: Wir versammeln in unserer Partei enorm viel Expertise und unzählige Communities, aber wir nutzen dieses Potential noch zu wenig. Machen wir die NRWSPD zu einer echten Mitgliederpartei mit niedrigschwelligen Bildungs- und Beteiligungsformaten und ganz verschiedenen Möglichkeiten zur Mitarbeit, je nach den persönlichen Ressourcen, Interessen und Fähigkeiten. So werden wir auch wieder ein lebendiger Ort der Debatten und attraktiv für Neumitglieder. 
  • Eine neue Diskussionskultur: Die Art und Weise, wie wir unsere Parteitage begehen, ist nicht mehr zeitgemäß. Die Antragskommission erledigt die Arbeit der Delegierten, die dann nur noch bei vorgefassten Voten ihren Stimmenzettel in die Luft strecken müssen. Eine lebendige Debattenkultur wird dadurch im Keim erstickt. Wir erneuern als NRW Jusos daher unsere Forderung nach einer Abschaffung der Antragskommission und nach einer quotierten Erstredner*innenliste auf Parteitagen sowie allen weiteren Veranstaltungen innerhalb der Partei. 
  • Der Landesvorstand der NRWSPD ist kein Aufsichtsrat. Er muss seiner Rolle als höchstem politischen Führungsgremium stärker gerecht werden. Dafür muss er seine Arbeitsweise dringend ändern. Keine Beschlussvorlagen mehr, die wenigen Stunden vor Sitzungsbeginn verschickt werden. Keine Arbeitsgruppen mehr, die kein einziges Mal tagen. Der Landesvorstand muss seiner Arbeit mit einem Arbeitsprogramm Schwerpunkte geben, Bedarfe identifizieren und den ausgewählten Arbeitsgruppen klare Zielvorgaben – inhaltlich wie zeitlich – geben. Und er muss die politische Betreuung der UB/KVs verbindlich aufteilen, um wieder in die Breite der Partei zu wirken. 
  • Unsere Grundlagen stärken: Die NRWSPD muss wieder eine in der Breite kampagnenfähige Einheit werden. Die Ressourcen dazu sind (noch) da, aber sie sind falsch verteilt. Ein Schwerpunkt der strukturellen Neuaufstellung muss die Stärkung der UB/KVs sein. Dazu gehören insbesondere Angebote zur Stärkung der Mitgliederarbeit, flächendeckende und grundlegende Bildungsarbeit und Neumitgliedergewinnung vor Ort und in den Regionen. 
  • Vielfalt abbilden: Wir müssen die Art und Weise, wie wir Kandidierende für politische Mandate gewinnen und wie wir die entsprechenden Listen aufstellen, reformieren. Unser Ziel muss es sein, dass unsere Landeslisten die Vielfalt der Gesellschaft und damit ganz unterschiedliche Lebensbiografien repräsentieren. Und durch entsprechende Berücksichtigungen auf den vorderen Plätzen der Listen muss dies auch in den Fraktionen der Fall sein. 
  • Bildet Banden – oder Teams: Die Sozialdemokratie ist immer dann stark, wenn sie nicht nur für sich selbst besteht, sondern gesellschaftliche Bewegungen in schlagkräftige Politik transformiert. Das setzt den Kontakt und intensiven Austausch mit diesen voraus. Darum muss sich die NRWSPD wieder stärker bemühen. Das gilt sowohl mit Blick auf bestehende Bündnispartner*innen (Gewerkschaften, AWO, Falken etc.), aber auch mit Blick auf neu zu erschließende Partner*innen in den sozialen Bewegungen.

Hiermit sind einige wichtige Impulse zur Erneuerung unserer Partei umrissen. Sie sollen als Diskussionsgrundlage dienen. Denn lasst uns die notwendige inhaltliche, strukturelle und personelle Erneuerung gemeinsam und nicht gegeneinander angehen und dem Kurs des „Weiter so“ eine Absage erteilen. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass das sozialdemokratische Herz in NRW wieder laut hörbar schlägt. Und lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir uns eine blühende Sozialdemokratie auch wieder in der Zukunft vorstellen können – und nicht nur in den 70ern. 


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