NRW Jusos – Beitrag
Schluss mit dem Populismus
Das Problem heißt Islamismus, nicht Migration und nicht Asyl! Der Populismus dreht parteiübergreifend frei – und die Sozialdemokratie heizt fleißig mit an
Inhaltswarnung: (sexualisierte) Gewalt, Mord
Am 23. August verübte ein mutmaßlicher Islamist einen grauenvollen Messeranschlag in Solingen, der drei Menschen das Leben kostete und acht weitere teils lebensgefährlich verletzte. Viele Angehörige, Augenzeug*innen und Ersthelfer*innen müssen nun für den Rest ihres Lebens mit schrecklichen Bildern und Erinnerungen weiterleben, den Angehörigen der drei Getöteten wurden ihre Lieben genommen und die Verletzten müssen teils mit starken Alltagseinschränkungen zurechtkommen.
Jedoch nehmen sich genau das viele Politiker*innen in den Wochen, Tagen und sogar Stunden nach dem Anschlag heraus. So dauerte es nicht einmal einen Tag bis nach der schrecklichen Tat erste Forderungen nach Konsequenzen in der Asyl- und Migrationspolitik laut wurden. Auch innenpolitische Forderungen, etwa nach Messerverbotszonen, wurden eingebracht und Friedrich Merz polterte mal wieder in die Welt hinein und überbot seine wahnwitzigen Ideen der letzten Monate nun, unter anderem mit der Forderung nach einem pauschalen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan, selbst.
Begründet wurden all diese sogenannten ‚Vorschläge‘ und ‚Appelle‘ damit, dass der mutmaßliche Täter aus Solingen Asylbewerber war und gemäß der europäischen Asylordnung, dem Dublin-Verfahren, ausreisepflichtig war. Warum diese Ausreise nicht erfolgte, soll und wird in NRW noch ein Untersuchungsausschuss klären. Und mindestens aus Sicht der Angehörigen, die ihre Liebsten verloren haben, ist die Frage, warum der Täter in Solingen sein konnte, mehr als berechtigt.
Warum jedoch die gesamte bundesdeutsche Politiklandschaft (und im Übrigen auch die schwarz-grüne (!) Landesregierung in NRW) dies erneut zum Anlass nimmt, jetzt nicht auf Islamismus und Radikalisierung zu fokussieren, sondern eine Asyl- und Migrationsdebatte anzustoßen, die an Populismus nicht zu überbieten ist, steht schon wieder auf einem ganz anderen Blatt. Fakt ist: Entgegen aller wiederholten Versprechungen aus der Politik, sich dem Thema Islamismus fundiert zu stellen, ist genau das eben nicht passiert. Was wir stattdessen erleben: Die Radikalisierung einer ganzen Politiklandschaft immer weiter nach rechts. Höcke und Co. freuen sich dieser Tage vermutlich nicht nur über die historischen Ergebnisse in Sachsen und Thüringen. Denn die Bundesregierung und auch die Sozialdemokratie übernimmt, Hals über Kopf, Forderungen von Rechtsaußen und verleiht ihnen damit Legitimität.
Islamismus konsequent bekämpfen sieht anders aus!
Wenn Konsequenzen aus Solingen gezogen werden müssen, dann vor allem die, zu lernen, was es heißt, über Islamismus zu sprechen. Und über Islamismus zu sprechen heißt, ihn konsequent zu bekämpfen. Denn Fakt ist: Islamismus stellt eine menschenfeindliche Ideologie dar, die nicht nur in Solingen Leben gekostet hat. Da wäre der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, die Angriffe auf Paris im Jahr 2016 oder in Nizza.
Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Denn die islamistische Bedrohung kostet überall auf der Welt Menschen seit vielen Jahren und Jahrzehnten ihr Zuhause und immer wieder auch ihr Leben. Islamismus, das ist nicht nur der Hass-Prediger auf TikTok, sondern das ist die Schreckensherrschaft der Taliban in Afghanistan und das Mullah-Regime im Iran. Islamismus richtet sich gegen Jüdinnen und Juden und Islamismus richtet sich gegen Kurd*innen und Alevit*innen. Islamismus richtet sich gegen selbstbestimmte Frauen und queeres Leben. Und dutzende migrantische Selbstorganisationen versuchen genau deshalb seit Jahren in Deutschland mehr Aufmerksamkeit auf das Problem des Islamismus zu lenken. So etwa Aktivist*innen, die sich für die Aufarbeitung des Genozids an den Jesid*innen engagieren. Denn es waren Islamisten, die im August 2014 im Nordirak systematisch jesidische Männer und Jungen ermordeten und Frauen und Mädchen vergewaltigten und verschleppten. Denn Islamismus, das ist auch der IS im Irak.
Islamismus bedroht die, die in Freiheit leben wollen.
Es ist eine Verhöhnung von Millionen von Menschen überall auf der Welt, aber auch in Deutschland, wenn jetzt so getan wird, als wäre Islamismus an erster Stelle eine Gefahr für weiße Deutsche. Und dieser Umstand verdeutlicht auch die rassistische Dimension all der Pauschalforderungen an muslimische Menschen, sich doch jetzt schleunigst vom Anschlag in Solingen zu distanzieren. Abgesehen davon, dass der Islam und Islamismus eben mitnichten ein und dasselbe sind, leiden viele muslimische Menschen selbst unter dem Islamismus. Mitunter sind sie gerade deswegen als Geflüchtete nach Deutschland gekommen: Um vor der islamistischen Bedrohung zu fliehen und ein Leben frei von islamistischem Terror führen zu können.
Islamismus vollumfänglich begreifen und bekämpfen zu können, verlangt nach Debatten über Radikalisierungsorte. Es verlangt nach einer Außenpolitik, die niemals mit Terroristen wie den Taliban ins Geschäft kommen darf und es verlangt nach einer konsequenten und klaren Linie gegenüber den Mullahs im Iran. Es verlangt nach einer innenpolitischen Debatte und der Frage, warum deutsche Behörden nicht dazu in der Lage zu sein scheinen, wirksame Konzepte gegen Radikalisierung im Netz aufzusetzen. Es verlangt nach mehr Geld für Demokratieförderung, Erinnerungsarbeit und politische Bildung. Und und und.
Aber was passiert? Alle rufen nach einer Bekämpfung von Islamismus, meinen damit aber pauschale Abschottungspolitik. Und so äußert sich ein Populismus, den niemand, auch nicht unser Kanzler oder das Bundeskabinett, aufzuhalten gedenkt.
Das ist der Rechtsruck – er ist schon lange da
Ziemlich genau vor zehn Jahren – im Oktober 2014 – gründete sich PEGIDA. Neben unzähligen rechten Aufmärschen und Protesten, an denen Größen der faschistischen Szene teilnahmen, entwickelte sich aus der rechtsextremen Bewegung schnell auch eine rassistische Programmatik, die vor allem um ein Thema kreiste: Asyl- und Migrationspolitik.
Nur ein Jahr zuvor, Anfang 2013, gründete sich die Partei, die nun dafür sorgte, dass zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte seit 1945 wieder faschistische Kräfte Wahlen in deutschen Parlamenten gewinnen: die AfD. Auch sie fokussiert seit nunmehr 10 Jahren vor allem auf das Thema Asyl und Migration und verschiebt damit immer erfolgreicher Schritt für Schritt die Grenze des Sag- und Machbaren nach rechts. 2014 positionierten sich noch alle demokratischen Parteien grundsätzlich gegen die Abschottungs- und Abschiebe-Pläne und Forderungen von AfD, PEGIDA und Co.
2024 gelingt es weder den Ampelparteien noch der Union, diese grundlegende Haltung aufrecht zu erhalten. Stattdessen sind seit Anfang dieser Woche „die deutschen Grenzen dicht“. Eine sozialdemokratische Innenministerin feiert Abschiebeflüge nach Afghanistan, wo Straftäter direkt wieder freigelassen werden. Alles unter der Überschrift, die sogenannte ‚irreguläre Migration‘ zu bekämpfen.
Dabei wissen eine Nancy Faeser, ein Olaf Scholz, ein Robert Habeck, ein Christian Lindner oder ein Friedrich Merz ganz genau: Viele der von ihnen aktuell vorgeschlagenen Maßnahmen sind schon rechtlich nicht umsetzbar, mal ganz davon abgesehen, dass sie überhaupt nichts mit der Bekämpfung des Islamismus zu tun haben. So mengen CDU und Merz ihrem Forderungskatalog noch fix bei, dass sie die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts der Ampel rückabwickeln wollen. Eine Maßnahme, die mit Blick auf das Thema der Integration in unseren demokratischen Staat offenkundig kontraproduktiv ist. Oder die immer wieder rumgeblökten Forderungen nach Abschiebungen in den Irak oder Afghanistan.
Alle der aktuell in der Spitzenpolitik aktiven Politiker*innen müssen wissen: Die Inhaftierung von Asylsuchenden an Außengrenzen oder die Kürzungen von Sozialleistungen bekämpfen keine Fluchtgründe. Es sind schlicht und ergreifend populistische Talking-Points, die mit der naiven Hoffnung verbunden werden, damit Wähler*innen der rechtsextremen AfD wieder zurück in den demokratischen Diskurs zu holen. Das Ergebnis ist jedoch das Gegenteil: Die Unzufriedenheit mit den demokratischen Parteien wächst, die Zustimmung zur AfD ebenso. Was schlussendlich passiert: Der weitere Aufstieg des Faschismus wird entweder ignoriert oder sogar befeuert. Denn dieser kommt gerade nicht durch einen gewaltsamen Umsturz, sondern über den parlamentarischen Weg. Unsere demokratische Grundordnung gerät ins Wanken, wenn jene, die diese schützen müssen, sprachlich und inhaltlich denen hinterherrennen, die diese Demokratie ablehnen und ihr Schritt für Schritt den Garaus machen wollen.
Alerta statt Schweigen
Und nun? Als Jusos und Antifaschist*innen haben wir nicht einfach nur eine Verantwortung gegenüber der Sozialdemokratie. Wir haben eine grundlegende Verantwortung gegenüber unserer Demokratie und dürfen niemals verzagen. Erst recht nicht im Angesicht einer Selbstaufgabe und Ideenlosigkeit der demokratischen Parteien. Und natürlich machen wir dann auch nicht Halt vor unserer eigenen Partei. Wir sind nicht so vermessen, dass wir die Einzigen sind, die sich den Angriffen auf die Demokratie und dem Populismus entgegenstellen. Wir wissen aber auch: Die Sozialdemokratie mit Rückgrat lässt leider gerade auf sich warten.
Wir werden aber unsere Möglichkeiten nutzen, damit es nicht eines Tages zu spät ist. Und gegenüber der eigenen Partei heißt das: Zeigen wir, wie sehr die Partei auf uns Jusos angewiesen ist. Denn wenn eine irrlichternde Bundesregierung und eine gelähmte Parteispitze glaubt, wir würden still zuschauen, dann täuschen sie sich. Ohne uns funktioniert kein Wahlkampf und gegen uns erst recht nicht. Also lasst uns auf allen Ebenen in die harte Auseinandersetzung gehen und verdeutlichen: – nicht in unserem Namen!