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NRW Jusos – Blog

30. März 2023

Deutsches Reich? Sowas von 1871!

Reichsbürger*innen, ein fast selbsterklärender Begriff, obwohl er als Überbegriff für eine komplexe Mixtur aus verschiedenen Gruppierungen und Einzelpersonen benutzt wird. Spätestens seit der größten Razzia der Nachkriegsgeschichte bei der „Patriotischen Union“ im Dezember 2022 hat jeder den Begriff schon einmal gehört. Damals wurden unter anderem aktive und ehemalige Soldat*innen (teilweise dem Elitekommando KSK zugehörend) die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Juristin Birgit Malsack-Winkemann, Heinrich XIII Prinz Reuß (ein thüringischer Adliger, der als Staatsoberhaupt fungieren sollte) und viele weitere festgenommen.

Mit der Razzia und ihrer Fortführung am 22. März 2023, bei der ein SEK-Beamter angeschossen wurde, zeichnet sich hoffentlich ab, dass die staatlichen Behörden das reichsideologische Milieu ernster nehmen.

Die immer präsenter werdende Gefahr durch Demokratiefeind*innen, die sich durch die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine immer weiter radikalisieren, ist auch für unsere Arbeit und Überzeugung als Antifaschist*innen wichtig zu begreifen und zu bekämpfen. Denn selbst heute zeigt sich, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz alleine nicht ausreicht, um derart radikalisierte Personen aufzuhalten.

Mein Reich meine Regeln?

Reichbürger*innen glauben an das Fortbestehen eines Deutschen Reiches, je nach Auffassung mit unterschiedlichen Grenzen und Verfassung. Die Bundesrepublik Deutschland halten sie für illegitim. Sie begründen dies mit dem Glauben, noch in einem Kriegszustand mit den Alliierten zu sein. Obwohl sie Beweis des Gegenteils sind, haben die Wiedervereinigung und der Zwei-Plus-Vier-Vertrag Verschwörungsgläubigen neues Futter für ihre Ideologie gegeben. Verbreitet ist nun auch die Ansicht, dass die BRD nur eine Verwaltungseinheit oder Firma sei.

Bis zu den, in einem Fall tödlichen, Schüssen auf Polizist*innen im August und Oktober 2016 in Reusen und Georgensgmünd war die Szene vor allem durch ihre Nichtzahlung des Rundfunkbeitrags und Quatschjura-Briefe an Behörden charakterisiert, wurde aber nicht intensiv beobachtet. Eher stille Aktivitäten wie der Aufbau von Strukturen und wirtschaftlichen sowie politischen Verbindungen, der Kauf von Immobilien und die Beteiligung an Protesten konnten dadurch relativ unbehelligt ausgeführt werden.

Mit einem eigenen Fantasie-Staat kommen auch ein eigener Pass, eigene Kfz-Kennzeichen, eigene Wappen oder auch, wie im Beispiel des „Königreich Deutschland“ (KRD), ein Onlinehandel, in dem man nur mit E-Mark (früher Engel-Geld) als Währung zahlen kann. Die einem Pyramidensystem ähnelnden Strukturen erlauben dem „König“ Peter Fitzek, echtes Geld aus den Taschen seiner Untertan*innen und Interessierten zu ziehen.

Reichsbürger*innen haben vor allem durch die Pandemie Aufwind erfahren. Ihre generelle Ablehnung der BRD und ihre Erfahrungen mit der Organisation von Protest war für entstehende Pandemieleugner*innen-Demos und -Gruppen wichtig. Das konnte man gut bei dem sog. „Sturm auf die Reichstagstreppen“ 2020 beobachten. Auf den heutigen verschwörungsideologischen „Friedensdemos“ finden man viele Personen aus dieser Zeit wieder. Daher muss für uns klar sein, dass solche Gruppierungen unter den aktuellen Umständen kritisch beobachtet werden müssen und eine Kooperation nicht in Frage kommt.

Reichsideologie ist kein weit entferntes Phänomen

Auch wir haben in NRW Reichsbürger*innen, die sich immer weiter zu etablieren versuchen.

Zum Beispiel trafen sich am 12. März 2023 erneut rund 40 Reichsbürger*innen auf dem Gut Meurersmorp in Mettmann, um sich einen Vortrag des vielfältig in die extreme Rechte vernetzten Reichsbürgers Hans Joachim Müller anzuhören. Müller gehört, wie die „Patriotische Union“, zum Wahlkommissionen-Zweig¹ der reichsideologischen Bewegung. Der Gutshof und dessen Besitzer ist schon vorher durch ähnliche Veranstaltung aufgefallen, u.a. hat dort die AfD Kreis Mettmann ihr Sommerfest stattfinden lassen. Damals konnte durch den Einsatz von Grünen, Jusos, SPD und anderen Parteien sowie den „Omas gegen Rechts“ eine Kooperation des Gutshofs mit einer lokalen Schule gestoppt werden.

Ende 2022 hat das “Königreich Deutschland” (KRD) in einem Werbefilm „Der Gemeinwohlstaat kommt nach NRW“ die Ausbreitung nach Westen angekündigt. Die Kampfsportschule „Campus Concept“ auf der Düsseldorfer Kreuzstraße ist der zentrale Netzwerkknoten für diesen Aufbau. Düsseldorf hat auch als einziger Ort zwei Filialen des “königlichen” Bankensystems. Diese „Gemeinwohlkassen“ sind keine Bankfilialen im üblichen Sinne, sondern Mitglieder des KRD, denen Finanzgeschäfte anvertraut werden. Die Postleitzahl der einen ist identisch mit jener der Kampfsportschule und es besteht der begründete Verdacht, dass in der Kreuzstraße auch illegale Finanzgeschäfte abgewickelt werden.

Die Wirkungen des Netzwerkknotens sind z.B. im Münsterland und im Bergischen Land/ Siegerland zu sehen, wo es Aktivitäten des KRD gibt. In diesen Regionen kann das KRD auf ältere reichsideologische Aktivitäten aufbauen. Schon 2020 wurden in Münster Postkarten des „Vaterländischen Hilfsdienstes“ verteilt, die sich inhaltlich an dem gleichnamigen paramilitärischen Konstrukt aus dem Deutschen Kaiserreich orientieren.

Und das ist erst der Anfang: Reichsbürger*innen sind eine reale Gefahr, gegen die wir handeln müssen!


*¹ Um eine vermeintliche Legitimität zu schaffen und eigene Regierungs- und Verwaltungsstrukturen aufzubauen, stellen einige reichsideologische Gruppen die Vorbereitung und Durchführungen von Wahlen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Dabei wählen sie für Fantasiegremien und Ämter in Gebietseinheiten, die in der Regel im Deutschen Reich vor 1914/1919 existierten. Die Wahlberechtigung wird aus der preußischen Staatsangehörigkeit der männlichen (in Ausnahmen: weiblichen) Vorfahren abgleitet. In NRW sind vor allem die „Staatliche Wahlkommission Rheinprovinz“ (für die z.B. die „Corona Rebellen Düsseldorf werben) und die „Wahlkommission Westfalen“ zu nennen.


Was wir als Jusos dagegen tun können:

Aufklären

Viele wissen nicht genau, was es mit Reichsbürger*innen auf sich hat und verharmlosen sie als Spinner*innen. Wir müssen darüber aufklären, welche Positionen dieses Milieu
vertritt. Denn spätestens jetzt sollte jede*r die Gewaltbereitschaft und Gefahr erkannt haben. –

Organisieren

Wenn ihr von Reichsbürger*innen in eurer Nähe wisst, baut Kontakt zu anderen antifaschistischen Gruppen, Parteien, lokalen Organisationen und Vereinen auf. Versucht die Zivilgesellschaft aufmerksam zu machen und trefft euch. Reichsbürger*innen hassen wenig so sehr wie das Rampenlicht. Organisiert Demonstrationen oder Kundgebungen, skandalisiert es im Stadtparlament, seid laut!

Fordern

Durch die aktuellen Ereignisse ist auch wieder eine Debatte über Waffenbesitz ausgebrochen. Zum Stichtag 31. Dezember 2022 gibt es in NRW insgesamt 126 Personen, welche eine waffenrechtliche Erlaubnis besitzen und mutmaßliche Reichsbüger*innen/ Selbstverwalter*innen sind. Davon verfügen 72 über einen Kleinen Waffenschein, 45 über eine Waffenbesitzkarte und 8 sowohl über einen Kleinen Waffenschein als auch eine Waffenbesitzkarte. Jede Waffe in den Händen gewaltbereiter Verschwörer ist eine zu viel. Wir müssen dafür kämpfen, dass die SPD sich für weitere Verschärfungen und ausführliche Untersuchungen einsetzt, damit der Szene sowohl legale als auch illegale Waffen entzogen werden! Zudem darf die Partei in ihrer antifaschistischen Arbeit das Verschwörungsspektrum und besonders die radikalen Teile darin nicht übersehen. Denn auch wenn grade keine Razzia Schlagzeilen macht, ist diese Szene und mit ihr die Reichsbürger*innen aktiv.

Lasst uns diese Gefahr nicht kleinreden!


Quellen und weiterführende Literatur:

https://terz.org/2023/02/reichsbuerger-innen.html

https://rp-online.de/nrw/staedte/mettmann/mettmann-ordnungsamt-loest-reichsbuergertreffen-auf-gutmeurersmorp-auf_aid-86463221

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/ideologie-und-szene-wer-sind-die-reichsbuerger-94087/


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