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NRW Jusos – Magazin

08. Mai 2025

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren

Keine Tabus mehr bei der Entrechtung von Schutzsuchenden und Migrant*innen – wie konnte es so weit kommen?

Schon immer wurde über Geflüchtete und Migrant*innen in einem problemorientierten Kontext gesprochen – sei es über „Gastarbeiter*innen“ in den 50er und 60er Jahren in der Bundesrepublik und später in der DDR oder im Rahmen der steigenden Zahlen der Schutzsuchenden Anfang der 90er. In Politik, Medien und Gesellschaft dominieren rassistische Erzählungen, die sich in Gewalt, Morden und rassistischer Gesetzgebung niederschlagen. Die AfD schafft es nun stetig, rassistische Debatten um Migrant*innen in den Fokus zu rücken.

Eine rechtsextreme Partei zieht in den Bundestag

Bei der Bundestagswahl 2017 zog die AfD mit 12,5% der Stimmen erstmals in den Bundestag ein. Ihr Wahlprogramm forderte unter anderem die Schließung der Grenzen, die konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber*innen und den Entzug der Staatsbürgerschaft bei Straftäter*innen. Zudem wollte die Partei Sozial- und Gesundheitsleistungen für Asylbewerber*innen auf das Minimum beschränken („Sachleistungen statt Geldleistungen“). Diese Forderungen galten damals als radikal rechts und stießen auf breite Ablehnung in der Gesellschaft. Doch seitdem haben viele dieser Positionen Einzug in die Politik von CDU/CSU, BSW, FDP, SPD und den Grünen gehalten – und wurden teils schon umgesetzt. Wie konnte es zu dieser Annäherung kommen?

Die berüchtigte „Stimmung im Land“

Parteien wie die SPD und große Medien betonen immer wieder, dass „die Menschen“ nun ein Handeln in der Asyl- und Migrationspolitik erwarten. Dabei wird immer wieder auf Umfragen verwiesen, wonach 70% der Befragten der Aussage zustimmen, „Deutschland solle weniger Flüchtlinge aufnehmen”. Auch der Anstieg der AfD-Stimmen oder -Umfragewerte wird – um derartige Aussagen zu bekräftigen – als Indiz für eine Unterstützung einer härteren Asylpolitik gewertet. Doch was passiert, wenn Politik und Medien
ständig Migrant*innen als Gefahr darstellen? Wer beeinflusst dabei wen – die Politik, die Medien oder die Bevölkerung? Wer läuft zuerst nach rechts? Die „Menschen im Land“, Politik oder Medien? Wie so oft ist auch hier die Antwort: wahrscheinlich alle! Klar ist allerdings: Der Rechtsruck in Deutschland entlädt sich vor allem an Schutzsuchenden und Migrant*innen.

Von der Ampel in den Wahlkampf

Die Ampel-Koalition begann mit dem Versprechen, Deutschland als modernes Einwanderungsland zu gestalten. Doch das änderte sich schnell. Spätestens nach Scholz’ SPIEGEL-Interview zu „Abschiebungen im großen Stil“. Mit der vorherigen Zustimmung zur GEAS-Reform, verschärften Abschiebehaftregelungen und Streichungen von Sozialleistungen für Geflüchtete setzte die Koalition einen härteren Kurs. Das Auseinanderbrechen der Koalition war weniger der Entrechtung von Geflüchteten geschuldet – denn SPD und Grüne leisteten hierbei nur wenig Widerstand – vielmehr waren es Haushaltsfragen, die die damals so genannte „Fortschrittskoalition“ zu Fall brachte. Im Wahlkampf setzten Parteien die Stimmungsmache gegen Geflüchtete fort, dabei nahm in allen Wahlkampfformaten das Framing der „Geflüchteten als Sicherheitsrisiko“ großen Raum ein. Im Rahmen dessen beschaffte sich die Union sogar Mehrheiten bei der AfD, um Schutzsuchende weitgehendst zu entrechten. Nachdem Union, FDP und AfD am 29.01. mit
einem Entschließungsantrag den Willen zu diesem Vorhaben bekundeten, konnte das Parlament beim „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union noch Schlimmstes verhindern. Der Schaden war aber angerichtet: in der gesellschaftlichen Stimmung und in der demokratischen Kultur.

Und jetzt? Weit und breit keine Menschenrechte in Sicht?

Man erhoffte sich einen deutlichen Kurswechsel nach dem Wahlkampf, der sich nicht nur auf den Stimmenfang von Konservativen und Rechten fokussiert, sondern eine evidenzbasierte Asyl- und Migrationspolitik in den Mittelpunkt der Diskurse stellt. Stattdessen sehen wir eine Bankrotterklärung gegenüber geltendem Recht und eine kapitulierende Sozialdemokratie, die den Konservativen das so wichtige Feld der Asyl- und Migrationspolitik überlässt. Denn die Inhalte des Koalitionsvertrags werfen ein dunkles Licht auf die kommende Legislaturperiode und die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen
in Deutschland sowie an den Außengrenzen. Die von der Union und SPD geplanten Verschärfungen zielen darauf ab, das Asylrecht weiter auszuhöhlen. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand offenbar die Frage: „Wie können Asylsuchende effektiv entrechtet werden?“.

Worum geht es konkret? Man könnte zynisch darauf antworten und die bisherigen Ergebnisse wie folgt zusammenfassen: Es geht mal wieder um „Abschieben im großen Stil“. Es geht erneut darum, Völkerrecht zu umgehen und verfassungswidrige Politiken in Gang zu setzen, um die Aussetzung des Familiennachzugs, die Aussetzung und Abschaffung von Aufnahmeprogrammen, die Ausweitung sogenannter „sicherer Herkunftsländer“, die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten und Rückführungszentren sowie die Ausweitung von Grenzkontrollen und Pushbacks zu ermöglichen. Und weiter wird die Diskursverschiebung und die damit verknüpften gravierenden Folgen für Schutzsuchende dazu führen, dass vor allem jene davon profitieren, bei denen man – im wahrsten Sinne des Wortes – programmatisch abschrieb. Während es mal wieder nicht darum geht, wie wir das Sterben auf gefährlichen Fluchtrouten beenden können, Fluchtursachen bekämpfen sowie den Bereich der Asyl- und Migrationspolitik stärker als sozialpolitisches Querschnittsthema zu setzen, steigt damit die Wahrscheinlichkeit, den Faschist*innen der AfD nur noch mehr parlamentarische Stärke zu verleihen.

In den letzten Jahren waren es vor allem wir Jusos, die nach evidenzbasierten Lösungsansätzen für eine humane Asyl- und Migrationspolitik gesucht haben und das Thema Asyl- und Migrationspolitik in seiner Breite beleuchtet und in die SPD getragen haben. Es ging dabei vor allem immer um die Fragen „Wie können wir mit Scheindebatten aufräumen, welche Solidaritäts- und Verteilungsmechanismen braucht es und wie können wir Kommunen so entlasten, dass sie auch für Schutzsuchende Orte werden, an denen
sie von Beginn an Teilhabe erfahren und Teil einer solidarischen Gesellschaft werden?“ Kurz: Um unsere Vision eines humanitären und gerechten Einwanderungslands. Denn das ist es, was wir dringender denn je brauchen – eine solidarische Gesellschaft, die alle mitdenkt und schützt.


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