NRW Jusos – Magazin
Kommune für alle
Aus dem Verbandsmagazin (Nr. 33): Was meinen wir mit „Kommune für alle?“ Und wie sieht es mit der feministischen interkulturellen Mädchenarbeit aus?
Über den Autor: Jonas Kamrath (24) hat ein klares Bild der „Kommune für alle“ vor Augen. Und zeigt auf, wie wir dort hin kommen!
Über die Autorin: Audrey Dilangu (30) ist inzwischen Leiterin der Fachstelle für interkulturelle Mädchenarbeit NRW – der Stadt.Land.Links aber immer noch sehr verbunden!
Wessen Kommune ist meine Kommune?
Vor dieser Frage stehen viele Jusos in ganz NRW vor den anstehenden Wahlen. Diese Frage stellt sich am grundsätzlichsten bei einem der entscheidenden Bestandteile der sozialen Frage: beim Wohnen. In NRW leben immer mehr Menschen. Der Wohnungsmarkt ist in keiner Form in der Lage, dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. Statistisch erwiesen betrifft der dadurch entstehende Mangel an zugänglichem und bezahlbarem Wohnraum besonders Haushalte mit Einkommen, Rollstuhlnutzende, Transferleistungsbeziehende und Alleinerziehende sowie ältere Menschen. Sozialwohnungen, die dabei helfen könnten, diesem Missstand etwas entgegenzusetzen, bleiben Mangelware.
Statt der benötigten 20.000 Wohnungen baut NRW etwa 7.000 neue Sozialwohnungen im Jahr. Ehrlicherweise müssten von diesen 7.000 wohl noch die parallel dazu aus der Sozialbindung fallenden Wohnungen abgezogen werden. Bis 2030 immerhin 160.000 Wohnungen. Auch private Wohnungskonzerne schaffen es zwar, die Mieten zu erhöhen, nicht aber die Anzahl an Wohnungen in ihrem Bestand. Prominentes Beispiel ist auch in NRW Vonovia. Der Wohnungsbestand des Konzerns schrumpfte in NRW im vergangenen Jahr um 0,5 %. Die Dividende blieb trotzdem bei 90 Cent pro Aktie. Gleichzeitig zu diesen Entwicklungen befindet sich die Anzahl wohnungsloser Menschen in NRW auf einem Höchststand.
Die Wohnungskrise ist sicherlich kein ausschließlich kommunales Problem. Sie hängt im Bereich der Neubauten nicht zuletzt mit den Auswirkungen multipler Krisen auf die Weltwirtschaft zusammen und ist zudem von unzähligen Vorschriften und Investitionen von Bund und Land abhängig. Trotzdem wollen wir zeigen, dass es auch Lösungen vor Ort braucht. Gemeinsam mit der SPD bringen wir kommunale Wohnungsgesellschaften in ganz NRW voran und setzen uns weiter für eine aktive Bodenvorratspolitik in den Kommunen ein. Wir sehen die Möglichkeiten, die uns mit Leerstandsmanagement und moderner Bauplanung auch direkt vor Ort zur Verfügung stehen.
Die Kommune für alle bedeutet für uns als Jungsozialist*innen bezahlbaren Wohnraum für jeden, überall. Wohnen ist jedoch nicht das einzige Grundbedürfnis, das wir aktuell auch vor Ort verteidigen müssen. Die Klimakrise wird auch in den Kommunen mit jedem Jahr spürbarer. Das gefährdet die Existenzgrundlage und Gesundheit von Millionen Menschen. Wir stehen für eine konsequente Umsetzung von Katastrophen- und Hitzeschutzmaßnahmen von der Weser bis zum Rhein. Für uns müssen die Städte der Zukunft klimaresilient geplant werden. Eng damit verbunden ist ein bezahlbarer und funktionierender ÖPNV in jeder Kommune.
Während die SPD es in der Ampel nicht mal geschafft hat, den Preis fürs Deutschlandticket stabil zu halten, schaffen es Jusos in ganz NRW, 1-Euro-Tickets oder sogar kostenlosen ÖPNV in Kommunalwahlprogramme zu schreiben oder gleich direkt in die Realität umzusetzen. Darauf dürfen wir zurecht stolz sein. Grundbedingung einer Kommune für alle ist eine für alle erreichbare Kommune. Damit man sich trotz Klimakrise nach dem Ausstieg aus Bus und Bahn auch tatsächlich in den Kommunen aufhalten kann, kämpfen wir überall für Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit und Klimaanpassung. Wir wollen also letztendlich Kommunen, in denen alle Menschen Wohnraum finden und mobil sein können. Wir wollen Städte und Dörfer, die öffentlichen Raum für Menschen jeden Alters anbieten und diesen auch gegen die Folgen fortschreitender Privatisierung und Klimakrise verteidigen.
Die Kommune für alle muss zwingend auch eine Kommune der Geschlechtergerechtigkeit sein. Entscheidend dafür ist die feministische Stadtplanung, die auch das Anerkenntnis voraussetzt, wie männerzentriert unsere Kommunen und insbesondere Städte bisher gestaltet sind. Die bestehenden Mobilitätsangebote sind häufig nach den Bedürfnissen der Lohnarbeitenden ausgerichtet und werden somit den komplexen Anforderungen der überwiegend von Frauen übernommenenSorgearbeit nicht gerecht. Für uns Jusos gehört eine feministische (Um-)Planung der Kommunen in NRW zu einer der zentralen Aufgaben des 21. Jahrhunderts. Von ihrer Bewältigung sind wir jedoch vor dieser Kommunalwahl noch weit entfernt. Vielmehr müssen wir feststellen, dass es Kommunen noch nicht einmal gelingt, grundlegende Sicherheitsbedürfnisse von Frauen und Mädchen im Bereich des Gewaltschutzes zu erfüllen.
Dazu habe ich mit unserem ehemaligen Juso-Bundes- und Landesvorstandsmitglied Audrey Dilangu gesprochen, die heute Leiterin der Fachstelle für interkulturelle Mädchenarbeit NRW ist.
Audrey im Interview
Woran denkst du bei „Kommune für alle?“
Bei „Kommune für alle“ denke ich aus der Perspektive der feministischen Mädchenarbeit sofort an eine Kommune, die konsequent auf Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Beteiligung setzt – und zwar für alle Mädchen und jungen Frauen*, unabhängig von Herkunft, sozialem Status, geschlechtlicher Identität oder Behinderung. Es geht um stärkende Räume, in denen Mädchen* und junge Frauen* ihre eigenen Stärken selbstbestimmt entdecken, sich frei entfalten und ihre Rechte wahrnehmen können. Dazu gehören Schutzräume und gezielte Unterstützung in Lebensphasen wie dem Übergang von der Schule in den Beruf oder die Unterstützung in besonderen Lebenslagen.
Viele Kommunen erfüllen nicht einmal die grundlegenden Sicherheitsbedürfnisse von Mädchen? Was heißt das konkret aus deiner Arbeitsperspektive?
Viele Kommunen machen die spezifischen Bedarfe und Erfahrungen von Mädchen* unsichtbar, indem sie deren Perspektiven in der Stadtplanung und Prävention kaum berücksichtigen. Häufig fehlen fest verankerte Präventionsmaßnahmen sowie niedrigschwellige Beratungs- und Schutzorte, wie sie unsere autonomen Mädchenhäuser und Einrichtungen bieten, die gezielt Mädchen* adressieren und begleiten. Stattdessen existieren vielerorts nur allgemeine, nicht-mädchengerechte Angebote, sodass Mädchen gerade bei Gewalterfahrungen oder Krisensituationen oft keine passgenauen Anlaufstellen finden.
Willst du nochmal kurz erklären, was interkulturelle Mädchenarbeit bedeutet?
Die feministische Mädchenarbeit stellt Mädchen in den Fokus – gerade im Kontext der Jugendhilfe. Die feministische Mädchenarbeit entstand in den 1970er Jahren aus der Neuen Frauenbewegung, um Mädchen als eigenständige gesellschaftliche Gruppe zu stärken. Sie setzt darauf, Mädchen* in ihrer Selbstbestimmung zu fördern und geschlechtsspezifische Benachteiligungen abzubauen. Dabei schafft sie geschützte Räume, fördert Solidarität unter Mädchen* und jungen Frauen* und setzt sich politisch für die Abschaffung patriarchaler Strukturen in allen Lebenslagen und die Anerkennung von Mädchenrechten ein.
Welche Verantwortung tragen die Kommunen? Wo versagen vielleicht aber auch Land und Bund?
Kommunen tragen die Verantwortung, feministische Mädchenarbeit als festen Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe strukturell zu verankern, ausreichend personell und finanziell auszustatten sowie Mädchenperspektiven aktiv in kommunale Planungen und Präventionsarbeit einzubeziehen. Land und Bund versagen vor allem häufig darin, nachhaltige Förderprogramme und verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen bereitzustellen, die über reine Projektfinanzierung hinausgehen und so eine dauerhafte Umsetzung sichern. Im Kontext der Umsetzung der Istanbul-Konvention bedeutet das zum Beispiel konkret, dass Kommunen und höhere Ebenen gemeinsam für wirksame Schutz- und Unterstützungsstrukturen sorgen müssen, die Gewalt gegen Mädchen* konsequent verhindern und angemessen begegnen.
Was wünschen sich Mädchen konkret von „ihrer“ Kommune? Was fehlt ihnen?
Mädchen* wünschen sich von „ihrer“ Kommune vor allem Räume und Angebote, die ihre Selbstbestimmung stärken und sie befähigen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Empowerment steht dabei im Mittelpunkt: Sie wollen ermutigt werden, ihre Stimmen zu erheben, ihre Bedürfnisse sichtbar zu machen und aktiv an kommunalen Prozessen teilzuhaben – und das vor allem niedrigschwellig.
Wenn du einen konkreten Wunsch an jede Kommune in NRW äußern dürftest – wie würde dieser lauten?
Mein Wunsch an jede Kommune in NRW wäre, feministische Mädchenarbeit fest und dauerhaft in allen kommunalen Strukturen zu verankern, indem sie echte Beteiligungsmöglichkeiten und empowernde Räume für Mädchen schafft. Es braucht klare finanzielle und personelle Ressourcen, um Angebote nachhaltig auszubauen, die Selbstbestimmung fördern und Mädchen* ermutigen, ihre Rechte wahrzunehmen. Dafür braucht es aber auch endlich eine politische Sichtbarmachung der feministischen Mädchen*arbeit und das muss vor allem Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung leisten.



