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NRW Jusos – Blog

08. März 2023

Warum wir den feministischen Kampf noch immer brauchen

Ein Blogbeitrag von unserer Landesvorsitzenden Nina Gaedike und Johanna Börgermann aus unserem Landesvorstand

Im Spätsommer 1910 kommen in Kopenhagen Sozialistinnen aus 23 Ländern zur Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zusammen. Zwei Tage lang diskutieren die Frauen was der sozialistische Kampf mit dem feministischen zu tun hat, ein besonderer Fokus liegt auf der Forderung des Frauenwahlrechts. Und deshalb schlägt keine andere als Clara Zetkin[1] am 27. August 1910 die Einführung eines internationalen Frauentags vor, als Fortsetzung der Bemühungen US-amerikanischer Feministinnen. Diese hatten bereits 1909 in den USA einen Frauentag abgehalten, um für das allgemeine Wahlrecht zu kämpfen. Und so beschlossen die auf der Frauenkonferenz anwesenden Delegierten am Ende ihrer Beratungen das, was noch heute Grundlage für den Weltfrauentag als Aktions- und Kampftag bietet. Und zwar einen Frauentag „im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats”[2].

So fanden erste Aktionen im Rahmen dieses Frauentags am 19. März 1911 statt und besonders in Deutschland brachten sich Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen für den Aktionstag als Agitationstag, wie Zetkin es benannte, ein. Auf den 08. März als Datum einigte man sich schließlich 1921 als Anerkennung der Frauen, welche am 08. März 1917 in Russland die Februarrevolution anzettelten. An deren Ende sollte die Zarenherrschaft der Geschichte angehören.

Vom materialistischen Feminismus zum Queerfeminismus

Die Kämpfe dieser Zeit verdeutlichen die materialistische Stoßrichtung früher feministischer internationaler Kämpfe, denn am Beginn der Februarrevolution standen Frauen, welche in Angesicht von Lebensmittelknappheit zu demonstrieren begannen. Es ging um grundlegende Ressourcen des Überlebens und die Analyse, dass vorherrschende Machtverhältnisse die einfache Arbeiterin und Mutter davon abhalten, für diese aufkommen zu können. Der Ruf nach Brot als Symbol eben dieser materialistischen Ansprüche wurde laut und führte eine im besten Sinne feministische Revolution an, der wir die Festlegung des heutigen feministischen Kampftages auf den 08. März verdanken.

Da jedoch die Rückbesinnung auf russische Einflüsse im Dafürhalten einiger westlicher Feministinnen der 1950er Jahre nicht als positiver vor allem kommunistisch gelesener Bezugspunkt den Aktionstag prägen sollte, hielt sich lange Zeit der Mythos eines so wohl nie tatsächlich stattgefundenen Streiks amerikanischer Näherinnen am 08. März 1857 in New York. Schon früh wurde der Aktionstag damit Teil einer zeitgeschichtlichen Auffassung über die Relevanz sozialistischer und kommunistischer, also materialistischer Analysen. Dies spiegelte sich auch im geteilten Deutschland wider: Während die Frauentage in der DDR die Integration der ostdeutschen Frau in der Arbeitswelt behandelten, jedoch mehr und mehr auch die Glorifizierung der Frau als Mutter in den Fokus rückte, wurde der Frauentag innerhalb der BRD vor allem zu einem Symbol der christlichen Friedensbewegung. Nach 1990 versuchten Aktivist*innen, parteipolitisch aktive Feminist*innen und auch etwa Frauen aus den Gewerkschaften die Kämpfe innerhalb eines gesamtdeutschen Aktionstages wieder zusammen zu führen, immer mehr setzte sich fortan auch der Begriff des Frauenstreiktages durch.

Wenngleich sich die zentralen Themen des Aktionstages geändert haben: Das Motiv des feministischen Kampfes blieb im Rahmen des 08. März gleich: Grundlegende Menschen- und Bürger*innenrechte wie etwa das Wahlrecht oder später das Recht der sexuellen Selbstbestimmung und damit die Autonomie selbst über eine Abtreibung zu entscheiden.

Die Verdeutlichung der Gefahr der geschlechtsspezifischen Gewalt oder der begrenzten materiellen Mittel und Ressourcen für Frauen: Der 08. März als Aktionstag ist, schon erkennbar am Begriff des “Streiks”, Symbol materialistisch feministischer Ansätze und Kämpfe. Mehr und mehr gesellten sich im 21. Jahrhundert schließlich auch queerfeministische Ansätze hinzu, was sich etwa in der vielerorts stattfindenden Umbenennung vom Frauenstreiktag in feministischer Streiktag erkennen lässt.

Durch die Kombination materialistischer Forderungen und Analysen, etwa im Hinblick auf den Gender Pay Gap, mit der Kritik an binär konstruierten Geschlechtergrenzen, gelang der feministischen Bewegung so die Analyse der patriarchalen Wirkmächtigkeit wie sie neben Frauen auch INTA trifft (also Inter, Nicht-binären, Trans und Agender Personen). Ergänzt um intersektionale Perspektiven, die verdeutlichen, dass zwischen den Bezugspunkten ‚class‘, ‚race‘ und ‚gender‘ verschiedene Diskriminierungsformen einander bedingen und gemeinsam wirken können, gelingt so ein feministischer Kampf, der den Anspruch erhebt, die verschiedenen Unterdrückungsformen des Patriarchats zu identifizieren und zu bekämpfen.

Girlboss? Nein danke!

Doch auch ein weiterer, nicht so positiver Einfluss des modernen Feminismus, stellt sich mittlerweile immer mehr ein: Liberale Einschläge treffen auch den feministischen März. Von der Forderung des symbolischen Brotes scheint nicht mehr viel übrig, wenn etwa große kapitalistische Unternehmen heute mit satten Rabattaktionen am 08. März für die beste Faltencreme werben. Schnell wird dadurch auch der Eindruck befeuert, der moderne Feminismus streite nur noch um den Zugang zum besten Make-up, dem coolsten Hosenanzug für die Frau oder das edgy Porträt der DAX-Vorständin, die es ja offensichtlich geschafft habe sich gegen die patriarchale Männerwelt durchzusetzen. Materialistische Analyse? Fehlanzeige. Die vorgegaukelte Realität dieser liberalen Lesung scheint vor allem eins zu sein: Eine Realität, in der der feministische Kampf nur noch dem Girlboss-Dasein dient, das Patriarchat seinen lebensbedrohlichen Anstrich verloren zu haben scheint und der Feminismus folglich auch handzahmer werden oder wahlweise ganz verschwinden könne.

Doch die Realität ist eine andere.

Die Realität ist brutal und schmerzhaft: Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau aufgrund von Partnerschaftsgewalt, also weil ein Mann entscheidet seine Besitzansprüche gingen über das Lebensrecht einer Partnerin, Expartnerin oder auch Auserwählten, die kein Interesse an ihm hat. Im Jahr 2020 wurden allein in Deutschland mehr als 139 Femizide begangen – patriarchale Gewalt nimmt Leben[3]. Jede dritte Frau erfährt in ihrem Leben sexuelle Gewalt.[4] Jede vierte Frau arbeitet im Niedriglohnsektor, Altersarmut betrifft unter anderem deshalb überdurchschnittlich Frauen.[5]

In den USA kippte das oberste Gericht 2022 das geltende grundsätzliche Recht auf Abtreibung. In Afghanistan wird Frauen ihr Recht auf Bildung und Selbstbestimmung genommen. In Kriegs- und Krisengebieten ist sexualisierte Gewalt gegen Frauen eine Kriegswaffe. Im Iran kämpfen Frauen seit Monaten für ihre grundlegende Menschenrechte und stellen sich mutig gegen ein Regime, dass sie mundtot machen will.

Die Realität sieht also so aus: Weltweit werden lang-erkämpfte Rechte revidiert. Weltweit sind Frauen Gewalt und Hass ausgesetzt. Weltweit wird ihnen Teilhabe verwehrt. Weltweit müssen Frauen tagtäglich dafür kämpfen, selbstbestimmt zu leben. Sie müssen dafür kämpfen, gehört zu werden. Sie müssen für Bildung und Respekt kämpfen. Das Patriarchat zeigt sich global auf allen gesellschaftlichen Ebenen und wirkt und bedingt mit weiteren Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus, Armut oder auch Ableismus.

Deshalb reicht ein neoliberaler Kampf rund um Vorstandsposten nicht aus! Im Gegenteil: diese neoliberalen Erzählungen stärken patriarchale Strukturen noch weiter. So wird vermittelt, dass Frauen durch einen Aufstieg in Führungspositionen das Patriarchat besiegt haben – aber passt man sich so nicht einfach nur dem jetzigen, patriarchalen System an? Wird so dieses System von struktureller Diskriminierung nicht weiter gefestigt?

Patriarchat und Kapitalismus: Eine unheilige Allianz

Das Patriarchat und der Kapitalismus funktionieren Hand in Hand. Das Beispiel des Gender-Care-Gaps macht dies sehr deutlich: Der Kapitalismus hat kein Interesse daran, Carearbeit zu vergüten, denn:  Nur Lohnarbeit zählt für das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Perfekt also, dass das Patriarchat eine Lösung für dieses Problem liefert mit der Erzählung, Frauen seien für Carearbeit gemacht. Schon in Zeiten der Industrialisierung wurde diese Erzählung genutzt, um zu legitimieren, dass Männer voll und ganz der Erwerbstätigkeit nachgehen sollten, während Frauen unbezahlt Sorgearbeit leisteten. Auch im Jahr 2023 wenden Frauen pro Tag immer noch über 100% mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer auf.[6]

Der feministische Kampftag wird also immer noch gebraucht – und er wird solange gebraucht werden, bis jede Frau frei vom Patriarchat ist, denn: wir sind erst frei, wenn wir alle frei sind! Für uns Jungsozialist*innen ist klar: Unser feministischer Kampf ist ein antikapitalistischer, denn getreu der sozialistischen Geschichte des feministischen Kampfes, wissen wir: Der Kapitalismus wird uns nicht befreien. Wir kämpfen einen intersektionalen, internationalistischen Kampf gegen das weiße Patriarchat und wir werden nicht aufhören, bis das Patriarchat brennt!


[1] Clara Zetkin war Sozialistin und Kommunistin und bis zur Gründung der USPD im Jahr 1917 eine der Wortführerinnen der SPD in Deutschland. Später wechselte sie zur KPD für die sie im Reichstag als Abgeordnete saß.

[2] Renate Wurms: Wir wollen Freiheit, Frieden, Recht! Der Internationale Frauentag – Zur Geschichte des 8. März. Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt am Main 1980, S. 6.

[3]https://www.ndr.de/kultur/Femizide-in-Deutschland-Fallzahlen-gehen-2021-leicht-zurueck,femizid100.html

[4]https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642

[5]https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-2/niedriglohnquote.html

[6] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap?view=


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