NRW Jusos – Beitrag
Zeitenwende, aber richtig!
Über den Beitritt der Ukraine in die EU
Johanna Börgermann (21) arbeitet viel zu feministischer Außenpolitik und ist sich sicher: es braucht mutige, progressive Außenpolitik in der Ukraine und der EU!
Am 24.02.2022 überfällt Russland brutal die Ukraine. Seit jeher verteidigen die Ukrainer*innen ihr Land, ihre Freiheit und ihre Souveränität gegen den Aggressor. Unsere Solidarität ist dabei ungebrochen.
Doch der Krieg dauert an und der Aggressor Russland lernt immer besser, die Sanktionen der EU zu umgehen. In der Ukraine sind Millionen von Menschen von der Stromversorgung abgeschnitten. Etwa 6,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Berichte von sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe häufen sich und Putin streut weiter seine Propaganda. Deswegen ist es so wichtig, auch zwei Jahre nach der ausgerufenen „Zeitenwende“ nicht wegzuschauen, sondern sich laut einzusetzen für die Ukraine, ihre Souveränität und ihre Freiheit. Eine wichtige Maßnahme ist, neben den notwendigen Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe, ein sozialökologischer Wiederaufbau und der Beitritt in die EU. Doch wie steht es eigentlich um die Beitrittsfrage?
Im Februar 2022 hat die Ukraine ihren Antrag auf die EU-Mitgliedschaft gestellt. Seit Juni 2022 ist sie Bewerberland. Im Dezember 2023 hat die EU beschlossen, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Während all dieser Zeit wird die Frage der Aufnahme in der europäischen Gesellschaft kontrovers diskutiert. Während gesamtgesellschaftlich der Beitritt vor allem durch Ängste vor Russland kritisch beäugt wird, muss unsere Analyse klar sein: der Beitritt der Ukraine in die EU ist zwingend erforderlich und richtig. Die europäische Außenpolitik darf nicht weiter von Angst getrieben sein, sondern muss wertegeleitet und völkerrechtskonform geschehen. Europäische Sicherheit bedeutet Sicherheit für alle Europäer*innen – das schließt ganz bewusst die Ukraine mit ein. Es wird Zeit für eine Zeitenwende ohne Angst: eine Zeitenwende, die feministische und progressive Außenpolitik lebt.
Doch wie denken Ukrainer*innen eigentlich über den Beitritt? Und was genau sind sicherheitspolitische Bedenken und welche Perspektiven können wir diesen Ängsten entgegenstellen?
Eine sicherheitspolitische Perspektive
Lasse Rebbin (24) ist seit 2021 stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender und beschäftigt sich leidenschaftlich mit Außen- und Sicherheitspolitik. Er ist der Meinung, dass ein schneller Beitritt der Ukraine in die Europäische Union nicht nur notwendig, sondern auch eine Chance für eine sicherheitspolitischen Neuanfang ist.
Die Ukraine gehört in die Europäische Union! Und das auch mit all den sicherheitspolitischen Konsequenzen, die daraus folgen. Deshalb wird seit dem russischen Angriff auf die Ukraine immer wieder Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union diskutiert. Dort steht:
„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.“
Nun ist der Autor selbst kein Jurist, aber ein einfacher Blick auf den Artikel genügt, um festzustellen: Da ist ganz schön viel Interpretationsspielraum. Deshalb kann Entwarnung gegeben werden: Ein Beitritt der Ukraine bedeutet nicht, dass der Bundestag Soldat*innen in die Ukraine schicken muss. Den anderen Mitgliedsstaaten steht dabei weitestgehend offen, wie ihre konkrete Unterstützung für das angegriffene Land aussieht. Fest steht nur: Regionale Spezifika können berücksichtigt werden und das Recht auf Selbstverteidigung (Artikel 51 UN-Charta) bleibt. Daher sehe ich den Beitritt der Ukraine in die Europäische Union vielmehr als eine Chance für eine sicherheitspolitischen Neuanfang der EU, die sich auf dem Weg zu einer wirklichen „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)“ macht und ernsthaft über die Einführung der Europäischen Armee diskutiert. Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr eigenes Territorium gegen die russischen Angreifer*innen, sondern eben auch die Europäische Union gegen Putins Neoimperialismus. Dabei hat sie jede (sicherheits-) politische Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft verdient. Anhand der Beistandsklausel in Artikel 42 wird diese Unterstützung nicht nur Wille, sondern Pflicht und gibt der Ukraine langfristige Sicherheit. Viele Rahmenbedingungen sind dann noch zu klären, aber der kurze Einschub hier zeigt: Die Debatte darum ist notwendig und lohnt sich.
The perspective of young Ukrainians
Yaromyr Udod is 29 and he is currently living in Kyiv and working as international development consultant.
Before full-scale invasion, for Ukrainian youth, European integration with a potential of EU ascension meant quite practical yet joyful and inspiring things such as opportunities to work or study in other European countries, visa free travel (which we have been enjoying since 2017), strong connections and infrastructure, as well as progressive policies on human rights and ecology. While all of that remains to be relevant, now in the wake of full-scale Russian aggression, it is seen dramatically different. This is the historical path we have been fighting for for centuries; this is a return as we call it sometimes to a “European family” as Ukraine is in the core of this family, geographically and historically.
Decolonisation after a long time of Russian oppression is also a big important piece in this historical story. After all, we want to build a future with countries that choose democratic dialogue, cooperation, respect of rule of law, international norms and human rights, however idealistic it may sound to some audiences in the EU. Russia showed us that the world can degrade to primordial conquest, where some countries feel unpunished and don’t even consider before committing to an unprovoked and unjustified military aggression against another country, committing countless war crimes and denying the truth to everyone.
While the abovementioned may sound like a list of sophisticated and complex arguments, this is what Ukrainians, including young Ukrainians are supporting. They realised how capable their state is as both military and civilian institutions pushed Russia back from parts of both north and south Ukraine and protected the frontline border of 1500 kilometers. Therefore, we want to further reform those state institutions, upgrade and rebuild infrastructure, renew human capital, bring economic opportunities to the country so that millions of Ukrainian refugees can return to the country.
While some may say progressive values of green transition and human rights are not on the priority list because of the active phase of war, as well as more conservative attitudes of the elderly population, young Ukrainians articulate those values in many other ways. I feel like we are having and we will be having more societal demands regarding the green transition and conservation as we have to heal tens of thousands of kilometers of our land from the ecocide Russians have done through mining, contamination and deliberate destruction of ecosystems. Ukrainians are fighting for their human rights as the experience of Russian occupation showed the complete disregard of human lives. Women and queer people have been represented more in the army, making them more visible in the Ukrainian society altogether.
For that purpose, we are calling you as European youth for continuing the advocacy for solidarity with Ukraine ranging from weapon delivery and economic and political support. Affirmed support of Ukraine is a guarantee for a peace and prosperity on a European continent. It is also a justice for Ukrainians as well as for countries that have been or can be in the future affected by unprovoked military agression and war crimes.
We need your solidarity!