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NRW Jusos – Beitrag

08. April 2021

Corona: Wie an Schulen durch soziale Ungleichheit soziale Ungerechtigkeit wird

NRW befindet sich im Ausnahmezustand. Auch zu Beginn der Osterferien. Ob der Schulunterricht am 20. April wie geplant wieder seinen Betrieb aufnehmen kann, scheint derzeit mehr als fraglich. Die nach wie vor steigenden Infektionszahlen in den meisten Städten NRWs sprechen eher dagegen. Und selbst, wenn die vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Abstandsregelungen in den Klassenräumen eingehalten werden könnten, so stellt sich unweigerlich die Frage, wie das in den Bussen und Bahnen auf dem Schulweg zu garantieren ist.

In NRW sind die Schulen inzwischen seit dreieinhalb Wochen geschlossen. Wie und ob es in dieser Zeit in den Bildungsstätten des Landes mit dem Unterricht weiterging, blieb den Schulen überlassen. Auf klare und verlässliche Anweisungen aus dem Düsseldorfer Schulministerium haben LehrerInnen und SchülerInnen vergebens gewartet. Nicht zuletzt die Pressekonferenz von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am 27. März zeigte zudem, dass das Krisenmanagement der schwarz-gelben Landesregierung an seine Grenzen stößt: Verkündete Gebauer noch am 28. März das weitere Verfahren hinsichtlich der Abschlussprüfungen und die reguläre Wiederaufnahme des Schulbetriebs am 20. April, so sind inzwischen viele ihre Aussagen revidiert oder in Frage gestellt.

Die Unsicherheit an den Schulen nimmt zu

Auch Heike Orthen, Deutsch- und Sozialwissenschaftslehrerin an der Bonner Marie-Kahle-Gesamtschule, macht sich Gedanken zu der gegenwärtigen Situation. Sie befürchtet, dass vor allem SchülerInnen aus bildungsfernen Elternhäusern durch den ausfallenden Unterricht benachteiligt werden: „Wir haben im Kollegium schnell gehandelt und E-Mail-Verteiler für die Klassen zusammengestellt, telefonischen Kontakt aufgenommen und gehalten, um auch in der unterrichtsfreien Zeit unsere SchülerInnen gerade auf die Abschlussprüfungen vorzubereitenund das Wohlbefinden der SchülerInnen im Blick zu behalten“, erzählt die 54-Jährige und ergänzt: „Ich bin mir aber relativ sicher, dass Kinder, die Zuhause über wenig Unterstützung verfügen, große Probleme haben, die Aufgaben zu bewältigen und somit unmittelbare Nachteile erfahren.“ Gründe hierfür sieht sie beispielsweise in den fehlenden Deutschkenntnissen der Eltern, den räumlichen Herausforderungen, vor denen SchülerInnen in den heimischen vier Wänden gestellt sind oder in der nicht vorhandenen technischen Ausstattung, wie Laptops oder Tablets.

SchülerInnen werden vor große Herausforderungen gestellt

Lara Werdehausen kennt die Probleme. Als Sprecherin der nordrhein-westfälischen Juso Schüler*innen und Azubi-Gruppe (JSAG) ist sie im Austausch mit vielen MitschülerInnen und auch persönlich vor Herausforderungen gestellt: „Bis vor kurzem hatte ich keinen eigenen Schreibtisch und musste am Küchentisch lernen“, schildert die 18-jährige, die sich derzeit auf die Abiturprüfungen vorbereitet. Sie und ihre MitschülerInnen beklagen vor allem die fehlende Planungssicherheit: „Natürlich haben wir Verständnis für die außergewöhnliche Situation. Doch um vernünftige Lernpläne abzuarbeiten, brauchen wir verlässliche Ansagen, ob und wann die Abiturprüfungen stattfinden. Die widersprüchlichen Aussagen, die wir derzeit tagtäglich erfahren, irritieren uns sehr und erschweren das Lernen.“

Als Beratungslehrerin macht sich Heike Orthen auch Gedanken um die veränderten Alltagsbedingen ihrer SchülerInnen: „Gerade in den sozialbenachteiligten Haushalten findet derzeit das Zusammenleben auf engsten Raum statt. An unserer Schule sind bisher viele SchülerInnen in die Stadtbibliotheken gegangen, um zu lernen und auch, weil sie dort entsprechende technische Ausstattung vorgefunden haben. Dadurch, dass dieser Ausweichort derzeit durch die Corona bedingte Schließung wegfällt, erfahren gerade diese SchülerInnen weitere Nachteile.“ Wann der Schulalltag wieder regulär startet, kann auch Orthen nicht abschätzen. Was sie sich wünscht, sind jedoch klareund den einzelnen Schulen und ihrem Kientel gerecht werdende Regelungen vom Schulministerium, „damit soziale Ungleichheit nicht länger in soziale Ungerechtigkeit überführt wird.“ 

Kommentar:

Gerade in der Krise zeigt sich wieder einmal, wie sehr gute Lern- und Ausstattungsbedingungen, die eine wichtige Grundlage für erfolgreiches und konzentriertes Lernen sind, vom ökonomischen Hintergrund der Eltern abhängen. Die Krise verstärkt diesen Fakt noch und lässt die Versäumnisse der Landesregierung, die digitale Ausstattung auch unabhängig vom Einkommen der Eltern sicherzustellen, noch schwerer wiegen. Vor dem Hintergrund, dass sich auch im digitalen Raum die reale Ungleichheit fortschreibt und wir von einem Aufstieg durch Bildung weit entfernt sind, kann ich in die Begeisterung über das nun einziehende digitale Lernen nicht einfallen. Dabei brauchen wir so dringend einen langen Schritt nach vorn im Bereich Medienkompetenz, wenn wir junge Menschen auf die Chancen und Tücken des digitalen Raumes vorbereiten wollen und sie dazu befähigen wollen sich einzumischen, mitzureden und mitzugestalten. Diesen Schritt nach vorn kann es aber nur dann geben, wenn kostenfrei Laptops und ein Internetzugang zur Verfügung gestellt werden, denn Lernmittelfreiheit ist eine wichtige Säule eines ernst gemeinten Bildungsversprechens. Sollten die Schulen auch nach den Osterferien geschlossen bleiben, muss es kurzfristige und unbürokratische Lösungen geben, um eine Ausstattung der Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten, die darauf angewiesen sind. Spätestens nach der Krise braucht es dann eine Investitionsoffensive, insbesondere auch in die schulische Infrastruktur, über den von der SPD auf der Bundesebene erkämpften Digitalpakt Schule hinaus. Dabei muss das Prinzip gelten „Ungleiches ungleich behandeln“, denn gerade die Schulen müssen besonders unterstützt werden, in denen sich die soziale Ungleichheit gesellschaftlich am stärksten abzeichnet. Eben drum, dass daraus keine soziale Ungerechtigkeit resultiert.

Die Autorin dieses Artikel ist Jessica Rosenthal.


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