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NRW Jusos – Beitrag

16. Dezember 2021

Die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze: Verstößt Polen gegen europäisches Recht?

Seit Monaten harren tausende Geflüchtete an der polnisch-belarussischen Grenze aus – in notdürftigen Lagern, bei Minusgraden und ohne medizinische Versorgung. So grausam es klingt: für den belarussischen Machthaber Lukaschenko und die polnische Regierung sind die lediglich politischer Spielball und keine mit unveräußerlichen Rechten ausgestattete Menschen.

Provoziert Lukaschenko die Notlage durch staatlich organisiertes Schleusertum? Ja. Gibt das Polen das Recht, deshalb gegen europäisches Recht zu verstoßen. Nein.

Sarah Mohamed aus unserem Landesvorstand beleuchtet im neuen Blogbeitrag die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze und unterstreicht noch einmal: Geflüchtete haben das Recht auf ein faires Asylverfahren. Das zu gewährleisten ist ohne Einschränkung die Pflicht der Europäischen Union.

Wie kam es dazu?

Der belarussische Machthaber Lukaschenko holte gezielt Geflüchtete über Belarus an die EU-Außengrenzen, vor allem an die Grenze zu Polen. Dies geschah durch unterschiedliche Maßnahmen. Sie wurden natürlich nicht offiziell dokumentiert, trotzdem kann Folgendes dazu gesagt werden: Es gab eine große Social Media-Informationskampagne, wie man aus Ländern im Nahen Osten über Belarus in die EU kommen konnte. Das Schleusen geschah über Drittstaaten, wie zum Beispiel die Türkei. Für manche Länder wurde die Visumspflicht ausgesetzt: so gab es beispielsweise getarnte Tourismus-Agenturen, über die die Menschen nach Belarus kamen. Teilweise waren das Agenturen, die direkt im belarussischen Regime angegliedert waren, weswegen zu Recht von staatlich organisiertem Schleusertum gesprochen wird.

Als Grund für dieses Vorgehen der belarussischen Regierung wird oftmals angeführt, dass Alexander Lukaschenko die EU erpressen will, damit diese die Sanktionen gegen Belarus aufhebt. Das mag sicherlich ein Grund sein. Zudem ist das aber auch ein Ablenkungsmanöver Lukaschenkos, damit es keine Aufmerksamkeit mehr auf die demokratische Bewegung in Belarus gibt, gegen die das Regime immer wieder gewaltvoll vorgeht. Weiterhin verdient das Regime auch durch die zuvor genannten staatlichen Tourismus-Agenturen Geld mit dem Schleusen. Lukaschenko hofft, dadurch Legitimation in der Bevölkerung zu gewinnen, da Medien und Staaten sich mit ihm als Machtinhaber auseinandersetzen müssen. Und ein Grund ist sicher auch einfach Rache für die EU-Sanktionen.

Wie ist die Lage aktuell?

Es harren tausende Geflüchtete an der polnisch-belarussischen Grenze aus, wo teilweise Minusgrade herrschen, mindestens 14 Menschen schon gestorben sind und noch mehr Menschen zu erfrieren drohen. Seit dem 15. November gibt es an der Grenze in Belarus ein Lager, in dem Tausende Geflüchtete unter grausigen Bedingungen untergebracht sind. Es gibt kein fließend Wasser, die Menschen müssen sich draußen an einem Wassertank waschen und Hilfsorganisationen haben nur sehr eingeschränkt Zugang zu diesem Lager. Weiterhin gibt es im Lager keine medizinische Versorgung und keinen nennenswerten Schutz vor dem Corona-Virus.

Die polnische Regierung lässt die Geflüchteten nicht nach Polen einreisen, sondern drängt diese – wenn sie es über die Grenze schaffen – mit Gewalt zurück; das sind die sogenannten illegalen Pushbacks. Die polnische Regierung lässt weder Presse noch Hilfsorganisationen an die Grenze und schießt mit Tränengas und Wasserwerfern auf die Menschen. Mittlerweile beginnt Polen sogar mit dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Belarus.

Im Grundsatz unterstützt Deutschland bisher das Vorgehen der polnischen Regierung. Der ehemalige Innenminister Horst Seehofer bezeichnete Polens Verhalten als „zutiefst europäisch” und auch der ehemalige Außenminister Heiko Maas solidarisierte sich mit Polen. Seehofer und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil forderten von der EU Unterstützung für Polen um die Grenzen besser zu schützen. Auch die neue Außenministerin Annalena Baerbock spricht sich zwar, wie auch Klingbeil, für sofortige humanitäre Hilfen vor Ort aus, bekräftigt aber auch die Solidarität Deutschlands mit Polen. Der neue Kanzler Olaf Scholz spricht auch nur über das menschenverachtende Verhalten seitens Lukaschenko, fordert aber Polen nicht dazu auf, zum Beispiel Hilfsorganisationen und Medien endlich ungehindert in die Grenzregion zu lassen.

Verstößt Polen gegen Europäisches Recht und Menschenrechte?

Ja. Pushbacks sind illegal und verstoßen gegen Völker- und Europarecht. Jede*r Geflüchtete, die*der an eine europäische Grenze kommt und dort einen Antrag auf Asyl stellen möchte, muss Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren haben. Laut dem Menschenrechtsnetzwerk Grupa Granica schafften es allein bis zum 11. November 5.370 Migrant*innen zunächst über die Grenze und konnten sich an Helfer*innen und Aktivist*innen wenden. Die meisten aber wurden von polnischen Beamten über die Grenze nach Belarus zurück verschleppt und nur einigen Hundert gelang es, in Polen einen Asylantrag zu stellen.

Dass Polen jetzt ein Gesetz erlassen hat, das erlaubt, Migrant*innen an der Grenze ohne Asylverfahren abzuschieben, macht die Handlung an sich nicht rechtens. Polen ist Teil der europäischen Union und muss sich deswegen auch an europäisches Recht halten. Besorgniserregend ist, dass die Europäische Kommission nun scheinbar versucht, die Rechtsbrüche an europäischen Außengrenze ein Stück weit zu legalisieren. Sie möchte Ländern wie Polen eine Ausnahme des Asylrechts gewähren, indem künftig vorübergehend beschleunigte „Grenzverfahren” erlaubt werden sollen, wenn sich „Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage“ befinden. Die EU-Regierungen müssen diesem Vorschlag noch zustimmen. Ob aber tatsächlich eine solche Notlage besteht, zweifelt selbst die EU-Innenkommissarin an, da die Anzahl der ankommenden Migrant*innen „nicht so hoch” sei und man deswegen nicht von einer „Migrationskrise” sprechen könne. Dennoch sind das gefährliche Entwicklungen, dass die EU-Kommission das Grundrecht auf Asyl schwächen will. Weiter greift Polen außerdem die Rechte von europäischen Journalist*innen an, denn im Grenzgebiet ist Pressefreiheit quasi ausgesetzt, unabhängige Beobachter*innen und Hilfsorganisation kommen nicht mehr in die Region.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen jetzt klar benennen und kritisieren, dass Polen gegen europäisches Recht verstößt und auf deren Einhaltung, wozu auch das Grundrecht auf Asyl gehört, bestehen. Die Menschen an Grenze haben das Recht auf ein faires Asylverfahren.


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