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NRW Jusos – Beitrag

13. Januar 2023

Klimagerechtigkeit – das unerfüllte Versprechen

Ein Blogbeitrag von Mohammad Eibo (Landesvorstand NRW Jusos), gemeinsam mit Anna Moors (Vorsitzende der Jusos in der StädteRegion Aachen) und Robert Bingener (stv. Vorsitzender der Jusos Siegen-Wittgenstein).

Mitten in NRW soll ein kleines Dorf für die Profitinteressen des Energiekonzerns RWE weichen. Mit Lützerath steht nicht nur ein Ort voller Erinnerungen auf dem Spiel, die Notwendigkeit des Klimaschutzes wurde ein weiteres Mal ignoriert und dem Kampf für eine lebenswerte Zukunft wurde ein weiteres Mal die kalte Schulter gezeigt. Wer sich Internationalismus, Feminismus und Sozialismus auf die Fahnen schreibt, muss auch eine klare Haltung zeigen. Denn das 1,5°C Ziel ist unweigerlich auch die internationalistische, feministische und sozialistische Frage unserer Zeit.

Die Klimarealität des Globalen Südens

In der deutschen und der europäischen Debatte geht es oft darum, die zu erwartenden Auswirkungen der Klimakrise in Deutschland und Europa darzustellen. Dabei wird in unserer eurozentristischen Perspektive zu oft vergessen, dass die Länder des Globalen Südens schon heute von der 1,2°C höheren globalen Mitteltemperatur ungleich stärker betroffen sind. Die Staaten, die hauptsächlich für die Klimakrise verantwortlich sind, müssen noch vergleichsweise wenig unter den Folgen leiden. Es scheint, als sei es noch nicht so wirklich dringend mit den Maßnahmen: deutscher Kohleausstieg bis 2030, deutsche Klimaneutralität bis 2045, in der EU erst bis 2050. Das Ausmaß der Klimakrise wird an den europäischen Verhältnissen gemessen, nicht an den philippinischen, den pakistanischen oder den kenianischen.

Die von Überflutungen, Dürren und anderen extremen Wetterereignissen am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppe sind Frauen, die oft in der Landwirtschaft arbeiten. Oftmals werden in Reaktion auf Umweltkatastrophen und daraus resultierenden Notlagen Minderjährige gegen ihren Willen verheiratet oder gegen Vieh getauscht (hier weitere Infos zum Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Gewalt an Frauen): 70% der Menschen, die weltweit unter der Armutsgrenze leben, und 80% derer, die aufgrund von klimabedingten Katastrophen fliehen, sind weiblich [Warum die Klimakrise Frauen deutlich härter trifft (berliner-zeitung.de)/ Klima und Gender – UN Women Deutschland]. Zudem sind vor allem Frauen von Bildung ausgeschlossen, was zu geringerer Beteiligung in politischen Prozessen führt. Derartige Lebensumstände kommen in den westlichen Debatten praktisch nie vor.

Dies zeugt von einer ignoranten Haltung gegenüber der Lebensumstände der Betroffenen, die wir entschieden ablehnen. Internationale Solidarität bedeutet also nicht, international dafür zusammenzuarbeiten, die Klimakrise lediglich für Europa zu stoppen – vielmehr muss internationale Solidarität bedeuten, gemeinsam für die Menschen zu kämpfen, deren Leiden wir hier in Europa mitzuverantworten haben.

Wo wir stehen

Politische Akteur*innen in der EU, im Bund und im Land haben also enorme Verantwortung. Wir müssen die nicht wegverhandelbare Kompromisslosigkeit der physikalischen Tatsache, dass sich unser Planet erhitzt, anerkennen und beginnen, auf Grundlage dieser Erkenntnis den Klimaschutz zu priorisieren – konsequent für alle Bürger*innen der Bundesrepublik und alle Menschen dieser Erde.

Ja, das ist laut gebrüllt. Die Klimakrise ist erst seit dem Dürresommer 2018 beständiges Thema der Tagespolitik. Es ist zwar undenkbar geworden, in der heutigen Zeit Klimaschutz nicht im Portfolio zu haben, aber der ehrliche Wille das Klima zu schützen und die Auswirkungen der Klimakrise wirksam zu begrenzen, ist bei keiner Partei zu erkennen. Auch unser Alltag wird sich in naher Zukunft massiv ändern: Entweder durch schnelle und wirksame Klimaschutzmaßnahmen oder durch deren Ausbleiben und die dementsprechend kaum gebremsten Auswirkungen der Klimakrise. Klimaziele wurden seit 1991 immer wieder versprochen und gebrochen, konsequenter Klimaschutz blieb aus. Einen weichen Übergang haben wir verspielt, in viel kürzerer Zeit müssen wir jetzt einen viel größeren Sprung schaffen. Das wird höhere Kosten und heftigere gesellschaftliche Verwerfungen mit sich bringen. Denken wir Klimaschutz zu Ende, müssen wir das kapitalistische Wirtschaftssystem mit seiner Wachstums- und Verwertungslogik in Frage stellen und Verantwortung für alle Menschen übernehmen, nicht nur für die deutschen Bürger*innen.

Wohin unsere Werte uns leiten

Das 1,5 Grad-Ziel ist der Kompromiss, der das Pariser Klimaschutzabkommen ausmacht. Seine Einhaltung ist nicht nur für die Politik der Bundesregierung bindend, sondern auch Forderung der NRW Jusos, beschlossen auf der Landeskonferenz 2021:

Wir fordern, dass das Land NRW das 1,5-Grad-Ziel einhält. [..] Wir fordern, dass das Land NRW sofort auf allen Ebenen Landesausgaben und Regulierungen dahingehend prüft, ob sie mit dem Erreichen des 1,5-Grad-Ziels vereinbar sind. Ist dies nicht der Fall, hat das Land NRW diese Ausgaben einzustellen und durch Programme zu ersetzen, die einen sozial gerechten Klimaschutz ermöglichen.”

Schon auf dem Bundeskongress 2019 wurde ein Antrag der NRW Jusos beschlossen, in dem es heißt:

“Wir fordern die SPD auf allen Ebenen und in allen Fraktionen dazu auf, das Thema Klima- und Umweltschutz als akut und unaufschiebbar zu betrachten und in allen Themenbereichen miteinzubeziehen. Sie muss sich auch im internationalen Kontext dafür einsetzen, damit neue und bessere Klimaabkommen beschlossen und sich daran gehalten wird.”

Verantwortung heißt Handeln. Im Land, im Bund und als Teil der internationalen Staatengemeinschaft. Erfolgreicher Klimaschutz bedeutet aber nicht nur, dass die Maßnahmen ausreichen, sondern auch, dass sie gesellschaftlich umsetzbar sind und die Lasten, die der Bevölkerung zugemutet werden, ausgeglichen werden. Stopp der Kohlekraft, Reduzierung des Autoverkehrs: Für die Arbeitnehmer*innen, deren Arbeitsplätze dies treffen wird, braucht es anständige finanzielle Unterstützung, breite Umschulungsmöglichkeiten und eine Perspektive für die Zukunft. Auch für Landwirt*innen, die ihre Produktion in wenigen Jahren umstellen müssen, braucht es massive finanzielle Unterstützung und Teilhabe bei der Planung und Ausgestaltung der Agrarwende. In allen Lebensbereichen sind Maßnahmen für mehr Energieeffizienz und Klimaneutralität notwendig. Technische Anlagen müssen  energieeffizient geplant werden. Mehr Gebäude müssen nachträglich gedämmt und klimaneutral neugebaut werden. Mit umfangreichen Aufklärungsmaßnahmen müssen außerdem Reboundeffekte bei der Einsparung von Energie bei Privatverbrauchen*innen verhindert werden.

Für die jungsozialistische Bewegung ist klar, dass soziale Gerechtigkeit nur mit Klimagerechtigkeit und Klimagerechtigkeit nur mit sozialer Gerechtigkeit funktionieren kann. Alle Folgen, die auf die marginalisierten Bevölkerungsgruppen zukommen werden, müssen abgefedert werden. Klimaschutz kann gesellschaftlich nur dann funktionieren, wenn alle Bevölkerungsteile gleichermaßen beteiligt, in Verantwortung genommen und unterstützt werden. Die Lasten, die viele Menschen schon heute schultern, müssen ausgeglichen werden, und die, die heute zu den Mitverursachern der Klimakrise gehören, zur Verantwortung gezogen werden. Denn Klimaschutz kann nur solidarisch funktionieren.

Alle Politiker*innen in Land, Bund und der EU haben die Pflicht, niemandem mehr die radikale Verantwortungslosigkeit zuzumuten, mit der in der Vergangenheit in großer Behäbigkeit unzureichender Klimaschutz betrieben wurde. Die Politik, die von uns ausgeht, betrifft nicht nur uns selbst. In der Vergangenheit hat sie dazu beigetragen, die Lebensbedingungen der Weltbevölkerung zu verschlechtern, nun liegt es in unserer Verantwortung, die beste Politik fürs Klima und somit auch die beste Politik für die Menschen zu machen. Wir müssen es nur tun.


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