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NRW Jusos – Beitrag

19. August 2021

SPD-Kritik an Nathanael Liminski: Berechtigt oder Foul?

Große Aufregung. Die CDU verurteilt einen Wahlkampfspot der SPD und fordert dessen Rücknahme: Vom CDU-Generalsekretär über Armin Laschet bis hin zur Deutschen Bischofskonferenz herrscht Empörung. Was war passiert? Bei der Vorstellung der SPD-Bundestagskampagne am 4. August war ein kurzes Video gezeigt worden. Der Spot beleuchtet das Umfeld von Kanzlerkandidat Armin Laschet und stellt Verbindungen zwischen der CDU, Laschet und Positionen von dessen Vertrauten her. Eine Stimme aus dem Off sagt „Wer Armin Laschet und die CDU wählt, wählt…“ und dazu eingeblendet werden diverse Personen aus dem Laschet-Kosmos, deren Gesichter auf Matrjoschka-Puppen gesetzt wurden. Zum Gesicht von NRW-Staatskanzleichef Nathanael Liminski heißt es: „…erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist.“.

Die Forderung der CDU wurde schnell umgesetzt. So schnell, dass die Umsetzung noch abgeschlossen war, bevor sie überhaupt das erste Mal ausgesprochen worden ist. Denn der Spot war für die Kampagnenvorstellung produziert worden und hätte eh nie groß woanders benutzt werden sollen. Aber durch den Aufruhr der CDU war das 41-sekündige Video bundesweit bekannt geworden. Der klassische Streisand-Effekt. Dennoch schlugen die Wogen so hoch, dass Olaf Scholz am Ende klarstellen musste, dass die Kritik nichts mit der Religionsfreiheit zu tun hat.

Unabhängig von den Begleitumständen aber bleibt die Frage: War die im Spot geäußerte Kritik an Nathanael Liminski berechtigt oder ein Foul? Dafür müssen wir uns Liminskis öffentliche Äußerungen ansehen, seinen politischen Kompass untersuchen und die Netzwerke, in denen er sich bewegt. Und vor allem müssen wir sehr genau hinschauen, ob sich seine Wertvorstellungen in der Politik wiederfinden, die er aus seinem Amt als Chef der NRW-Staatskanzlei vorantreibt.

Der junge Liminski

Die Aussage im SPD-Spot, für Nathanael Liminski sei „Sex vor der Ehe ein Tabu“, spielt auf einen Talkshow-Auftritt von 2007 an. Der damals 22-Jährige hatte eine erzkatholische Bewegung gegründet, welche (auch heute noch) gegen die Ehe für alle ist und Abtreibungen verbieten will. Auch der CDU-Mann selbst äußerte sich in der Talkshow homophob. Die Journalist*innen Patricia Hecht und Andreas Wyputta haben dies vor einigen Monaten, also unabhängig von den aktuellen Geschehnissen, in einer lesenswerten Recherche verknüpft mit anderen Stationen in Liminskis Biografie. Sie zeigen auch, dass er 2009 Texte auf einem Portal veröffentlichte, das heute im Kontext der AfD agiert. Eine seiner Thesen? Liminski meinte, Kondome seien bei der Verhütung von AIDS wirkungslos und Keuschheit viel besser. Eine Position, die wissenschaftlich eindeutig widerlegt ist. Seitdem ist es eher ruhig geworden und Liminski äußert sich kaum noch öffentlich – vermutlich zugunsten seiner Karriere in verschiedenen Ministerien.

Nun könnte man einwenden, dass der Talkshow-Auftritt 14 Jahre zurückliege und die anderen (schriftlichen) Aussagen so alt seien, dass es unfair sei diese immer noch vorzubringen. Und da wäre etwas dran, wenn es nicht auch jüngere Beispiele gäbe, in denen Liminskis Ideologie sichtbar geworden ist.

Liminski heute

Als Chef der NRW-Staatskanzlei ist Liminski einer der wichtigsten Berater Laschets, vielleicht sogar der wichtigste. Er sitzt an einer Schlüsselstelle im Regierungsapparat und setzt nicht nur schlicht den Willen des Ministerpräsidenten um, sondern berät ihn und hat großen Einfluss auf die Exekutive. Nach welchen Grundsätzen arbeitet er, was sind Liminskis Wertvorstellungen, was ist seine Ideologie?

Die taz hat im Juli zu einem Fall recherchiert, mit dem Liminski direkt in Verbindung steht. Auf Bestreben der CDU wurde der „Verband kinderreicher Familien Deutschland“ in den WDR-Rundfunkrat berufen. Für das Ressort Medienpolitik ist Liminski in der Staatskanzlei zuständig. Der Verband bewegt sich in dem ultrakonservativen katholischen Netzwerk, in dem sich auch Liminski zuhause fühlt. Die taz schaute sich den Beirat des Verbands genau an: Dort sitzt mit Manfred Spieker eine Person, die Homsexualität „lebensfeindlich“ nennt und Mitglied bei der christlich-fundamentalistischen Sekte Opus Dei ist und mit Herwig Birg ein AfD-Sympathisant (soll angeblich den Beirat verlassen, ist aber bis heute auf der Seite gelistet). Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass die Berufung des Verbandes in den Rundfunkrat ohne Liminskis Zustimmung geschehen ist. Wahrscheinlicher ist sogar, dass er den Verband ins Spiel gebracht hat.

Weitere Indizien liefert die „Stiftung für Familienwerte“. Dort saß Liminski bis 2020 im Stiftungsrat. Sie hält Verbindungen ins christlich-fundamentalistische Spektrum. Unter anderem schreibt Birgit Kelle, eine profilierte Anti-Feministin, die gerne in radikal-religiösen Vereinen unterwegs ist, in ihren Beiträgen für die Stiftung, dass es ein Mythos sei, dass Frauen Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren können. Es wäre verwunderlich, wenn Liminski zu niemandem mehr aus der Stiftung Kontakt hätte. Nathanael Liminski hält also gute Verbindungen in christlich-fundamentalistische Netzwerke.

Ideologien öffentlicher Personen müssen kritisiert werden dürfen

Das Argument, Nathanael Liminskis Glaube sei „reine Privatsache“, ist sehr naiv. Denn es geht um öffentliche Äußerungen und Handlungen einer öffentlichen Person. Liminski übt ein sehr machtvolles öffentliches Amt aus, er ist in diesem Fall keine Privatperson. Falls Armin Laschet Kanzler werden sollte (Scholz bewahre), ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Liminski zum Chef des Kanzleramts befördert werden würde. Es muss deshalb erlaubt sein, ihn gründlich unter die Lupe zu nehmen. Abzüge gibt es aber in der B-Note: Warum wurde mit der Frage von Sex vor der Ehe die unwichtigste Position von Liminski ausgesucht? Nathanael Liminski agiert in Netzwerken, für die Homosexualität unnormal ist und Frauen das Recht am eigenen Körper abgesprochen wird. Beide Punkte sind deutlich gravierender und gehören öffentlich kritisiert.

Nathanael Liminski ist eine Person mit Macht, eine Person des öffentlichen Lebens. Er arbeitet in einer Position, in der er mit seinen Vorstellungen Regierungshandeln stark beeinflussen kann. Deshalb ist es völlig berechtigt, seine Ideologie zu kritisieren. Mit Religionsfreiheit hat das nichts zu tun.

Inwieweit der Glaube Einfluss nimmt auf das eigene Politikverständnis zeigt abschließend ein Zitat von Armin Laschet:

»Der Glaube an Gott ist prägend für mein Verständnis der Welt, […] wenn man daran glaubt, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht, macht man auch Politik anders als zum Beispiel ein Kommunist, der bis zum Lebensende dringend mit allen Mitteln das Paradies auf Erden schaffen will.«

Armin Laschet

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