NRW Jusos – Blog
Alerta, alerta antifascista! – Wider die Ohnmacht! Wider die Kritiklosigkeit!
Ein Beitrag von Nina Gaedike, Landesvorsitzende der NRW Jusos, zum aktuellen Kampf gegen den Faschismus:
Inhaltswarnung: Rassismus, rechte Gewalt
Gut drei Wochen sind die Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv über ein rechtes Geheimtreffen in Potsdam nun her. Die Journalist*innen boten mit ihrer Enthüllung Einblicke in ein Treffen von AfD-Funktionär*innen, CDU-Mitgliedern und Größen der Identitären Bewegung, bei dem die Deportation von Millionen von migrantisierten Menschen aus Deutschland diskutiert wurde.
Seitdem ist viel passiert, und doch so wenig. Hunderttausende gehen im ganzen Land auf die Straße und demonstrieren für die Demokratie und gegen den Faschismus. Parteiübergreifend, mit DGB-Gewerkschafter*innen und Wohlfahrtsverbänden, Familien mit Kindern, Menschen, die noch nie in ihrem Leben auf einer Demonstration waren und antifaschistische Gruppierungen, die bereits seit Jahren faschistische Netzwerke aufdecken und bekämpfen. Auch als Jusos sind wir dabei, in den Kreisverbänden und Unterbezirken organisieren wir Demos, reisen gerne eine Kommune weiter zu befreundeten Jusos und unterstützen vor Ort. Und genau das ist jetzt richtig und genau dieses Engagement wird nun gebraucht. Gleichzeitig muss uns jedoch auch allen klar sein: Es darf nicht bei einer kurzen Welle der Empörung bleiben. Wir alle sollten uns die Frage stellen: Was können wir noch tun? Denn genauso wenig, wie die AfD als Partei nach den Correctiv-Enthüllungen einfach in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, ist rechtes Gedankengut in Deutschland nach drei Wochen der Demonstrationen demaskiert, geächtet und verschwunden.
Die nette Nachbarin wählt AfD und Friedrich Merz leistet Beistand.
Ob bei der Sonntagsfrage, in Umfragen zu den Europawahlen oder den noch in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen: Die AfD steht immer noch viel zu hoch im Kurs. Auch die Teilnehmer*innen vom Treffen in Potsdam scheinen weitestgehend unbeschadet davongekommen zu sein. Parteichefin Alice Weidel, die Correctiv „Stasi-Methoden“ vorwirft und damit abermals den rechten Kampf gegen die Pressefreiheit bemüht, schützt die teilnehmenden AfD-Mitglieder. Die Teilnahme an dem Treffen, bei dem der Abbau unserer demokratischen Grundordnung sowie die Deportation von Millionen von Menschen im Mittelpunkt stand, wird von ihr als „private“ Aktion abgetan. Nur ihren persönlichen Referenten Roland Hartwig, der an dem Treffen teilnahm, konnte sie nicht mehr halten.
Die zwei nachweislich anwesenden Mitglieder der Werteunion, welche zumindest zum Zeitpunkt der Veröffentlichung beide CDU-Mitglieder waren, werden indes als faule Eier innerhalb des eigentlich doch so sauberen Hühnerstalls der Christdemokrat*innen dargestellt. Dass der vom Verfassungsschutz als Rechtsextremer geführte Hans-Georg Maaßen unlängst die Parteigründung der Werteunion verkündete, lässt darüber hinaus vermuten, dass die so notwendige Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut innerhalb der Union beendet wird. Wir sollten jedoch eines nicht vergessen: Rechtes Gedankengut ist auch außerhalb von jenen mit AfD-Parteibuch oder überzeugten Wähler*innen dieser rechtsextremen Partei keine Seltenheit in unserer Gesellschaft. So zeigt etwa die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung[1] seit Jahren die weite Verbreitung latenter rechter Einstellungen innerhalb der Bevölkerung.
Die aktuellste Umfrage innerhalb der Studie belegt sinkendes Vertrauen in unsere Demokratie, eine zunehmende Verbreitung verschwörungsmythischer, populistischer und völkischer Ansichten sowie immer mehr Zustimmung für Gewalt gegen Politiker*innen als ‚Denkzettel‘ für die subjektiv wahrgenommene Enttäuschung. Diese Erkenntnisse schockieren, sind jedoch begleitet von einem immer lauteren Grundrauschen gesellschaftlich und politisch getragener rechter Narrative. So verabschiedete die Bundesregierung jüngst die heftigsten Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahrzehnte und Diskussionen über eine härtere Gängelung von Geflüchteten, wie zum Beispiel durch die Einführung von Bezahlkarten für Geflüchtete, dominieren den politischen Diskurs.
Aber die Bundesregierung in genau diesen Punkten (auch öffentlich) zu kritisieren, sollte nicht davon ablenken, andere in die Verantwortung zu nehmen. So ist es noch immer Friedrich Merz und seine Union, die keine Gelegenheit auszulassen scheint, politische Narrative der Rechten aufzunehmen und gemeinsame Ziele auszuloten. Von der rassistischen Zahnarztdebatte über die CDU in Thüringen, die gerne mit der AfD im Landtag stimmt: Friedrich Merz und seine Jünger blöken lustig jedes rechte Kampfthema in alle Kameras, die sie aufnehmen. Dabei zeigt ein Blick auf das Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland im letzten Jahrhundert eindeutig, dass es sehr entscheidend auf die konservativen Kräfte in diesem Land ankommt. Beim letzten Mal haben sie versagt und maßgeblich dazu beigetragen, dass der Faschismus an die Schalthebel der Macht gelangte. Die CDU/CSU, aber auch andere konservative Akteur*innen, müssen sich sehr genau überlegen, wie sie sich diesmal im Angesicht des erstarkenden Faschismus verhalten, um zu verhindern, dass sie an einem möglichen historischen Wendepunkt auf der falschen Seite der Geschichte stehen.
Antifaschismus heißt Solidarität
Das aktuelle gesellschaftliche Klima richtig einzuordnen, ist notwendig. Aber gleichzeitig ist es auch ein Privileg, wenn man selbst erst jetzt so richtig anfängt, über die Auswirkungen rechter Machtstrukturen nachzudenken. Denn migrantisierte Personen, BIPoC und Geflüchtete erleben strukturellen Rassismus und das Erstarken von Rechts als alltägliche Bedrohung in Deutschland. Von schlechteren Bildungschancen, Diskriminierung bei der Wohnungssuche bis hin zu körperlicher Gewalt, die immer wieder Leben fordert: Rassismus ist tief in der deutschen Gesellschaft verankert, er trägt die weiße Vormachtstellung und er endet immer wieder tödlich.
In diesem Jahr jährt sich der rassistische Anschlag in Hanau zum vierten Mal. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov wurden am 19. Februar 2020 ermordet, weil der rechtsextreme Täter migrantisiertes Leben auslöschen wollte. Noch heute müssen ihre Angehörigen, Freund*innen und Lieben für sie und gegen das Vergessen kämpfen. Sie organisieren etwa mit der Bildungsinitiative Ferhat Unvar Angebote im Kampf gegen Rassismus, veranstalten jedes Jahr Gedenkveranstaltungen rund um den 19. Februar und kämpfen um Aufklärung aller Umstände der Tat und des Polizeieinsatzes. Ihr Kampf reiht sich ein in eine ganze Reihe von Kämpfen migrantisierter Personen um Anerkennung ihrer Würde, ihres Rechts auf Leben und der Ahndung jener, die sie mit dem Leben bedrohen oder es ihnen sogar nehmen.
Die rassistische Mordserie des NSU etwa wurde von deutschen Behörden jahrelang aufgrund rassistischer Tattheorien überhaupt nicht als rechte Gewalt in Erwägung gezogen, obwohl Angehörige genau solche Motive für die Morde an ihren Lieben vermuteten. Jahrelang mussten die Angehörigen der zehn Mordopfer eine rassistische Kampagne ertragen, in der die Angehörigen immer wieder selbst Opfer falscher Beschuldigungen wurden.
Oury Jalloh verbrannte 2005 in einer Zelle der Polizei Dachau und die Behörden meinen immer noch, er habe sich selbst entzündet und sein Tod sei ein Unfall gewesen. Mehrere unabhängige Ermittlungen und Untersuchungen widerlegen diese konstruierte Darstellung – die Familie von Oury Jalloh jedoch kämpft bis heute um Gerechtigkeit.
Mouhamed Dramé wurde am 08. August 2022 mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole von Polizist*innen der Dortmunder Polizei getötet. Seit Dezember 2023 stehen die Beamt*innen vor dem Landgericht. Als nach Dramés Tod im Sommer 2022 besonders BIPoC und migrantisierte Personen und Verbände lückenlose Aufklärung forderten, wurden ihre Befürchtungen rassistischer Motive zunächst abgetan – bis Ermittlungen große Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes offenbarten und schließlich der Prozess angesetzt wurde.
Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velko. Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Michelle Kiesewetter und Halit Yozgat. Oury Jalloh und Mohamed Dramé. Ihre Namen erinnern uns auch immer an deutsche Behörden, die auf dem rechten Auge blind waren. Ihre Namen stehen für eine Gesellschaft, in der eher sie selbst für ihren Tod verantwortlich gemacht werden, als dass die weiße Mehrheitsgesellschaft das eigene Unbehagen mit der Auseinandersetzung rassistischer Strukturen überwindet. Und ihre Namen stehen für die Angst von BIPoC und migrantisierten Menschen, was es im schlimmsten Fall heißt, in Deutschland nicht weiß zu sein. Nicht-weiß in einem Land, in dem laut der Amadeu Antonio Stiftung seit 1990 mindestens 219 Menschen Todesopfer rechter Gewalt wurden. Nicht-weiß in einem Land, in dem sich Rechte und Faschisten in Potsdam treffen, um Deportationen für die Zeit nach der Machtübernahme zu planen.
Wenn wir uns jetzt also als Antifaschist*innen im Kampf um unsere Demokratie einbringen, dann dürfen wir niemals vernachlässigen, was dieser Kampf beinhalten muss: Solidarität mit denen, die im Zentrum der hasserfüllten Ideologie der Rechten stehen. BIPoC, Jüdinnen und Juden, Sinti*zze, Romn*ja und queere Menschen – kurzum: Menschen, die nicht in das weiße, heteronormative Ideal von Höcke und Co. passen. Und ja, es ist ein Skandal, dass bei dem Treffen in Potsdam ausdrücklich auch deutsche Staatsbürger*innen als Ziel der Deportationspläne benannt wurden. Aber Deportationen von migrantisierten Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind nicht weniger schlimm. Das sollten wir nicht vergessen.
Wie geht es jetzt weiter?
In diesen Tagen auf die Straße zu gehen, ist genau richtig. Mancherorts werden die ersten antifaschistischen Demos seit Jahren organisiert und es sind eben nicht nur die hippen, urbanen Zentren, in denen tausende Menschen zusammenkommen und gemeinsam demonstrieren. Das Gemeinschaftsgefühl, das dadurch entstehen kann, vor allem aber die Sensibilisierung für die Notwendigkeit von konsequentem Antifaschismus, ist jetzt Gold wert. Aber wir müssen noch weiter gehen.
Seit Jahren wissen und sagen wir: Die AfD ist eine menschenfeindliche Partei. Dort versammeln sich Rechte und Faschist*innen, die queeren Menschen ihre Existenz absprechen. Sie schüren Rassismus gegen BIPoC und zeigen ihren Antisemitismus, indem sie die Shoah verharmlosen. Sie stehen gegen alles, wofür unser demokratisches Grundgesetz steht. Sie stehen für Leid, Ausgrenzung und Menschenhass. Nicht erst die Veröffentlichungen des Correctiv-Netzwerks haben uns das vor Augen geführt, das wussten wir schon vorher. Und jede*r, der*die es wissen wollte, konnte es auch vorher wissen. Aber die Veröffentlichungen haben eine neue Drastik in die Debatte gebracht und dadurch endlich Aufmerksamkeit auf die lange notwendigen Schritte gelenkt. Und einer dieser notwendigen Schritte ist es, alle Mittel zu nutzen, die unsere wehrhafte Demokratie hergibt, um der AfD Grenzen aufzuzeigen. Denn unsere Demokratie muss wehrhaft sein gegen all jene, die sie in den Grundfesten erschüttern wollen. Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
AfD-Verbot?
So etwa ein Prüfverfahren für ein AfD-Verbot einzuleiten. Es sind nicht wir als politischer Jugendverband oder die SPD, die am Ende über ein AfD-Verbot oder auch weitere Maßnahmen, wie die aktuell viel diskutierte Entziehung von Grundrechten einzelner Faschist*innen, entscheiden. Das tun Gerichte und so muss es auch sein. Aber als Antifaschist*innen ist es unsere Pflicht, unsere bei weitem nicht perfekte Demokratie zu verteidigen. Und das bedeutet eben auch auszusprechen, was wir seit Jahren tun: Die AfD versucht innerhalb unserer staatlichen Strukturen Fuß zu fassen, um dann unsere Demokratie abzuschaffen. Jedes rechtsstaatliche Mittel, das genutzt werden kann, sie dabei aufzuhalten, sollte auch ergriffen werden.
Gleichzeitig sollten wir nicht dem Irrglauben verfallen, dass rechtes Gedankengut nur innerhalb und nur durch die AfD besteht. Es durchzieht, wie bereits dargestellt, die ganze Gesellschaft. Und deshalb heißt es jetzt für uns alle: Werden wir aktiv!
- Werde Mitglied in einer antifaschistischen Partei und komm etwa zu uns Jusos!
- Tritt in deine DGB-Gewerkschaft ein und leiste mit gewerkschaftlichem Engagement grundlegende Demokratiearbeit.
- Organisiere in deiner Schule Workshops zum Thema Rassismus und Antisemitismus, schau nicht weg, wenn du rassistische Diskriminierung und Übergriffe bemerkst.
Und geh selbstverständlich auch weiterhin zu den Demonstrationen. Halte diese Bewegung mit am Leben, damit es eben nicht bei einem kurzen Aufschrei bleibt. Wir müssen gemeinsam den gesellschaftlichen Druck auslösen, der auch endlich unsere staatlichen Institutionen erkennen lässt, dass der Kampf gegen Rechts so dringend geführt werden muss.
Unter Antifaschist*innen sagen wir gerne „Siamo tutti antifascisti“ – „Wir alle sind Antifaschist*innen“. Komm dazu und schließ dich uns an!
[1] Friedrich-Ebert-Stiftung: Die distanzierte Mitte – Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/2023