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NRW Jusos – Beitrag

07. März 2022

Kampf für die Demokratie

Im Notfall auch mit militärischen Mitteln

Ein Blogbeitrag von Jonas Reitz aus dem Landesvorstand der NRW Jusos:

Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 stellt eine Zeitenwende dar.

So hat es Bundeskanzler Olaf Scholz treffenderweise bezeichnet. Der vom russischen Präsidenten Putin herbeigeführte Krieg muss zwingend zu gravierenden Änderungen bei der Außen- und Sicherheitspolitik von Deutschland und der Europäischen Union führen. Die Bundesregierung hat als einen der ersten Schritte ihre Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine geändert und endlich anerkannt, dass Energiepolitik keine privatwirtschaftliche Angelegenheit ist, sondern Staatsinteressen berührt. Das alles ist richtig. Zusätzlich sollen der Bundeswehr 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Ob dies in Form eines grundgesetzlich verbrieften Sondervermögens sein muss und ob die Höhe zutreffend ist, wird derzeit richtigerweise diskutiert und kritisiert; ebenso die bestehenden Strukturprobleme.

Die Investitionen in die Bundeswehr sind sicherlich keine kurzfristige Hilfe, aber das Problem, was sich uns stellt, ist auch kein kurzfristiges, sondern ein grundsätzliches und langfristiges. Und diese Ausrüstung der Bundeswehr, welche vor allem auch bestehende Mängel ausräumen soll, darf nicht mit Aufrüstung gleichgesetzt werden. Die Unterstützung der Ukraine ist richtig. Diese Demokratie braucht und verdient den Beistand von allen demokratischen Staaten der Welt. Mit ökonomischen, zivilen und eben auch militärischen Mitteln.

Nichtbefassung löst keine Probleme – mehr linke Debatte über die Bundeswehr!

Es braucht aber darüber hinaus eine viel umfassendere Debatte über die Rolle des Militärs in demokratischen Staaten. Die gesellschaftliche Linke hat in Deutschland schon seit langer Zeit ein kompliziertes und teils widersprüchliches Verhältnis zum Militär. Dies spiegelt sich auch in den Debatten wider, die innerhalb der SPD und bei den Jusos geführt wurden und werden. Einerseits wurde sich stets dafür ausgesprochen, dass Deutschland, gemeinsam mit der EU und auf Grundlage des Völkerrechts, international Verantwortung für den Schutz von Menschen übernehmen soll, im Notfall auch militärisch. Es wurde also nach einer international einsatzfähigen Bundeswehr verlangt. Andererseits wurde stets eine maximale Distanz zur Bundeswehr und Soldat*innen gewahrt. Und Geld sollte am besten so wenig wie nur gerade eben möglich für diese ausgegeben werden. Bei vielen Linken herrscht ein grundsätzliches Misstrauen und manchmal auch Verachtung gegenüber Armeen und Soldat*innen. Das ist paradox. Reale Skandale wie rechtsextreme Netzwerke in der Bundeswehr, die ja in der Tat für die Gesellschaft als Ganzes ein Problem sind, können nicht durch eine Nichtbefassung mit der Thematik oder Kollektivhaftung gelöst werden.

In Zukunft müssen die Debatten um die Rolle der Bundeswehr anders aussehen.

Die Parlamentsarmee eines demokratischen Staates ist weder faktisch noch historisch vergleichbar mit den Armeen von autoritären, undemokratischen Staaten. Gleichzeitig ist es selbstverständlich richtig, dass wir uns gerade in Deutschland sehr kritisch mit einer aufgerüsteten Bundeswehr auseinandersetzen. Die Lehren aus zwei Weltkriegen, die von deutschem Boden ausgingen, sind eben auch, dass Deutschland mit seinen Grenzen zu vielen europäischen Nachbarn, keine nationalistisch-militärische Machtposition einnehmen darf, sondern immer zusammen mit den europäischen Nachbarn agieren muss. Russland zählt nicht dazu. Und trotz dessen oder gerade deshalb kann die gesellschaftliche Linke nicht länger einem verkappten Pazifismus anhängen. Wenn man einen Blick in die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung wirft, mutet manche heutige Haltung umso seltsamer an.

Was bedeutet heutzutage „Kampf“?

Das Wort „Kampf“ wird in der sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegung sehr häufig verwendet. Doch scheint es, als hätten viele Linke in der Gegenwart vergessen, dass es kein abstraktes Konstrukt ist, sondern eine Handlungsaufforderung. Innerhalb und zwischen demokratischen Staaten können Kämpfe friedlich mit demokratischen Mitteln ausgetragen werden. Aushandlungsprozesse mit Worten. Im Idealfall gilt der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“.

In der Gegenwart meinte Kampf im politischen Geschäft also eher Diskussionen und alles außer Gewalt.

Aber das war nicht immer so. Das „vorwärts Liederbuch“ ist mehr als ein Liederbuch. Es ist eine Sammlung zeitgenössischer Dokumente. Die Lieder dokumentieren die Geschichte der Arbeiter*innen- und Demokratiebewegung. Sie sind nicht einfach „nur“ Kunst – sie sind Zeitgeschichte. Und diese ist voll von Kämpfen für Freiheit und Demokratie. Kämpfe, die mit Gewalt ausgetragen worden sind. Von der Internationalen, über Bandiera Rossa, hin zu den Arbeiter*innen von Wien und Bella Ciao: Zahlreiche Lieder dokumentieren den bewaffneten Kampf gegen Unterdrückung und Unrecht, für Freiheit und Demokratie. Die Arbeiter*innenbewegung bereitete nicht nur den Weg für die Rechte von Arbeitnehmer*innen, sondern für Demokratien, in denen die Würde der Einzelnen zählt, insgesamt.

Haben unsere Vorgänger*innen dies auch mit Gewalt erkämpft, weil sie es nicht besser wussten? Sicher nicht! Sie mussten Gewalt anwenden, weil sie Menschenfeinden gegenüberstanden, die nicht weniger als ihr Leben bedrohten. Ein solches Selbstverteidigungsrecht muss auch für Demokratien real ergreifbar, also mit militärischen Mitteln unterlegt sein, um sich gegen Angriffe von Autokratien wehren zu können.

Demokratisch wehrhaft

Das alles ist kein Plädoyer für die massive Ausweitung militärischer Gewalt. Es gibt viele, viele Optionen, die ergriffen werden können, um Völkerrechtsbrüche von Staaten wie Russland anders zu begegnen. Diplomatie sollte niemals verlacht werden, sie gehört immer dazu. Wirtschaftliche Sanktionen sollten immer versucht werden, auch wenn ihre Effektivität oft fraglich und ihr Wirken eher langfristig ist. Breite Bündnisse demokratischer Staaten sind die vielleicht nachhaltigste Möglichkeit, die Krieg verhindern kann. Aber als letztes Mittel, als ultima ratio, müssen Demokratien nach außen ebenso wehrhaft sein wie nach innen. Deutschland und die EU müssen sich im Jahr 2022 neu finden. Und das bedeutet für die politischen Debatten auch, dass es nicht sinnvoll ist, abstrakt von einer Organisation Bundeswehr zu sprechen, ohne die einzelnen Organisationsmitglieder, die Soldat*innen, zu berücksichtigen. Nicht in blindem Vertrauen, sondern in sachlich-kritischer Aushandlung.

Der Glaube, dass sich die Demokratie alleine durchsetzen kann, ist nicht nur naiv, sondern brandgefährlich.


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