mitmachen

NRW Jusos – Blog

18. August 2023

Konsequent antifaschistisch: Was wir gegen die Ülkücü-Bewegung tun müssen

Einer unserer Grundwerte als Jusos ist der Antifaschismus. Und das nicht ohne Grund, denn wir wissen: Die größte Gefahr für die Demokratie geht noch immer von rechts aus! Rechtsmotivierte Straftaten nehmen immer weiter zu, die Neue Rechte verfügt in Deutschland und Europa über ein immer größer werdendes Netzwerk. Deshalb kämpfen wir nicht nur auf der Straße, sondern auch auf parlamentarischer Ebene gemeinsam für die Brandmauer gegen Rechts. Dabei besorgt uns natürlich, wie vor allem von konservativer Seite der politische und gesellschaftliche Diskurs immer weiter nach rechts verschoben wird. Doch als konsequente Antifaschist*innen müssen wir auch erkennen: Der Kampf gegen rechts muss sich nicht nur gegen AfD und Konsorten richten, sondern gegen all jene, die Menschenfeindlichkeit, Nationalismus und Faschismus in ihrer Ideologie vereinen. Und genau deshalb müssen wir auch mehr über den Einfluss der sogenannten Ülkücü-Bewegung, in Deutschland besser bekannt als Graue Wölfe, sprechen.

Diese Gruppierung speist sich aus rechtsnationalen Türk*innen, darf aber selbstverständlich nicht mit der türkischen Community gleichgesetzt werden. Allein in NRW leben knapp eine halbe Million Türk*innen und Türkeistämmige – der überwältigende Anteil von ihnen steht in keiner Verbindung mit den Grauen Wölfen. Vielmehr sind sie vor allem dem Rassismus von AfD und Co. ausgesetzt, weshalb unsere Solidarität ihnen gilt. Die Ülkücü-Bewegung zu kritisieren und zu bekämpfen ist deshalb mitnichten als antitürkisch oder antiislamisch zu verstehen, sondern konsequent in unserer antifaschistischen Grundausrichtung. Anzuerkennen, dass es unwürdig und komplett fehlgeleitet wäre, Mitglieder der türkischen Community in Deutschland pauschal der Ülkücü-Bewegung zuzuordnen oder ihnen eine Nähe zu unterstellen, ist zentral im Sinne unseres antirassistischen Verständnisses als Jusos.

Wer sind die sog. „Grauen Wölfe“?

Die Ülkücü-Bewegung, umgangssprachlich auch als „Bozkurtlar“ (Graue Wölfe) bekannt, wurde 1969 durch den neofaschistischen Putschisten und ehemaligen Oberst Alparslan Türkeş gegründet. Der parlamentarische Arm der Bewegung in der Türkei ist die Milliyetçi Hareket Partisi (MHP), die zurzeit mit der AKP von Staatspräsident Erdoğan koaliert. Die MHP bezeichnet sich selbst als „antikommunistisch, antikapitalistisch und antifaschistisch“, ist aber klar als faschistische, ultranationalistische, in Teilen völkische, islamistische und antisemitische Bewegung zu identifizieren. Die Grundpfeiler der MHP und Ülkücü-Ideologie sind Nationalismus, Idealismus (Ülkücülük), Rassismus, Führerprinzip (Başbuğ) und die sogenannte „türkisch-islamische Synthese“. Das bedeutet, dass die Grauen Wölfe von einem großtürkischen Reich (Turan) von Ostsibirien bis zum Balkan fantasieren. Die sogenannte „Neun-Lichter-Doktrin“ (Dokuz Işık), ein rechtsnationales Manifest des Ülkücü-Gründers Türkeş, bildet die ideologische Basis der Grauen Wölfe. Gleichzeitig dient sie heute in weiten Teilen des türkisch-rechtsextremen Spektrums noch immer als Anknüpfungspunkt für antidemokratische Bestrebungen und Menschenhass.

In der Türkei ziehen sich die Strukturen der Ülkücü-Bewegung besonders durch Militär, Polizei und paramilitärischen Kräfte (z.B. SADAT, ein privates Sicherheits- und Militärunternehmen). Vertreter*innen finden sich auch vermehrt in der Rüstungsindustrie. Die Hochburgen der MHP sowie der Ülkücü-Bewegung sind Zentralanatolien und die Schwarzmeerregion. Die Strukturen der Grauen Wölfe allein auf diese Regionen zu beschränken, wäre jedoch falsch. Denn es existieren noch drei weitere Parteien, die neben der MHP den Grauen Wölfen zugeordnet werden können. Die IYI Parti unter Führung von Meral Akşener, eine säkular-kemalistische Abspaltung der MHP, die BBP unter Führung von Mustafa Destici, welche von einem der bekanntesten türkischen Rechtsextremisten, Muhsin Yazıcıoğlu, gegründet wurde, sowie die Zafer Partisi unter der Führung von Ümit Özdağ, eine völkisch-nationalistische Abspaltung, die einen laizistischen Ultranationalismus vertritt.

Wie ist die Ülkücü-Bewegung in Deutschland organisiert?

In Deutschland werden die Grauen Wölfe besonders von Menschen mit türkisch-sunnitischer Herkunft innerhalb der türkeistämmigen Community unterstützt. Sie ist in drei großen Dachverbänden und mehreren kleinen Vereinigungen organisiert. Die Ülkücü-Bewegung stellt außerdem eine dominante Ideologie im Bereich der organisierten Kriminalität innerhalb der türkeistämmigen Community dar, wie etwa bei der Rockergruppe „Osmanen Germania“, die seit Juli 2018 in Deutschland verboten ist.

Der religiöse Arm der MHP ist derweil auch im Zentralrat der Muslime (ATIB, Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.) organisiert und stellt dort mit über 25 Vereinen die größte Gruppe dar. Auch die DITIB, die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland, ist offen für Mitglieder und Sympathisant*innen der Grauen Wölfe.

Politisch organisieren sich die Grauen Wölfe im sogenannten Idealistenverein (Ülkü Ocakları). Die „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“ (ADÜTDF), die über 160 Mitgliedsvereine umfasst, bildet den Dachverband der Bewegung in Deutschland. Darüber hinaus existieren Abspaltungen der Ülkücü-Bewegung in Deutschland, die teilweise noch radikaler sind. Etwa der ANF (Föderation der Weltordnung in Europa) mit 15 Mitgliedsvereinen aus dem Umfeld der islamistischen Ülkücü-Partei BBP, die sich parallel zur MHP in den „Alperen Ocakları“ organisiert.

Besonders auf kommunaler Ebene treten die verschiedenen Gruppierungen der Ülkücü-Bewegung in Erscheinung. Sie organisieren Kinderfeste und Kulturveranstaltungen, um ihre politischen Ziele in die Gesellschaft zu tragen. Die Taktik, über Kultur- und Teilhabeangebote rechte Ideologie salonfähig zu machen, kennen wir auch aus den Strukturen der Neuen Rechten. Berichte über von Neonazis infiltrierte Jugendeinrichtungen oder Sportvereine, kennen wir seit Jahren. Aus diesem Grund ist wichtig, über die Ülkücü-Bewegung informiert zu sein und zu erkennen, dass sich auch die Grauen Wölfe dieser Strategie bedienen, um mehr Anhänger*innen für ihren Kurs zu gewinnen. Denn damit sind sie erfolgreich: Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland etwa 18.500 Mitglieder in 305 Vereinen und mehreren Verbänden der Ülkücü-Bewegung, wobei die Zahl der Anhänger*innen und Sympathisant*innen um ein Vielfaches höher ist.

Wie positionieren wir uns?

Innerhalb der Jusos und der SPD ist klar: Eine Zusammenarbeit mit Vertreter*innen der Grauen Wölfe ist unvereinbar mit unseren Grundwerten. Als NRW Jusos haben wir unter anderem im letzten Jahr außerdem einen Beschluss zum Verbot der Grauen Wölfe und ihrer Splitterorganisationen gefasst, namentlich der ATB, ATIB sowie der ADÜTDF, und diesen Beschluss auch auf die Bundesebene getragen.

Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass auch in unserer Partei [ebenso wie auch in anderen politischen Parteien, wir nehmen uns aber an dieser Stelle der Problematik in unserer Partei an] an vielen Stellen noch nicht genügend Wissen über die Ülkücü-Bewegung vorhanden ist und der Kampf gegen diese neofaschistische Gruppierung breiter geführt werden muss.

Dabei erkennen wir ein strukturelles Problem, das sich nicht auf Einzelpersonen beschränkt, sondern mehr Arbeit und Aufmerksamkeit von uns allen verlangt. Als Jusos sehen wir uns und unsere Mutterpartei als Bollwerk gegen den Faschismus und als Internationalist*innen in der Pflicht, überall dort gegen Menschenfeindlichkeit und Antidemokratie vorzugehen, wo wir können. Diesen Anspruch sehen wir vor allem in einer Verantwortung gegenüber jenen Menschen, die in Deutschland, aber auch auf internationaler Ebene aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer politischen, demokratischen Einstellungen diskriminiert, verfolgt, bedroht und teilweise auch ermordet werden.

Im Zusammenhang mit den Grauen Wölfen erkennen wir deshalb eine besondere Verantwortung gegenüber all jenen Menschen, die innerhalb der menschenfeindlichen Ideologie der Ülkücü-Bewegung als Ziele markiert werden. Vorrangig, aber natürlich nicht ausschließlich, verstehen wir unseren antifaschistischen Kampf gegen die Grauen Wölfe deshalb als Solidarität mit der armenischen Gemeinde, der alevitischen Gemeinde, der aramäischen Gemeinde, Pontosgriech*innen, Kurd*innen und demokratischen Türk*innen.

In der praktischen Arbeit solidarisieren und vernetzen wir uns als NRW Jusos mit demokratisch-migrantischen Organisationen wie dem BDAJ und der DIDF-Jugend und wollen unsere Zusammenarbeit jeweils nach den Bedürfnissen dieser Organisationen intensivieren und verstetigen. Innerhalb unserer Partei und unserem Verband wollen wir unter anderem damit das Problembewusstsein für die Gefahr, die von der Ülkücü-Bewegung ausgeht, schärfen und uns aktiv gegen die Grauen Wölfe und ihre Strukturen positionieren.

Für uns NRW Jusos steht fest: Unsere Solidarität ist mit all jenen, die durch die nationalistische Ideologie der Grauen Wölfe bedroht und in Gefahr sind. Unsere Verantwortung gilt der eigenen Struktur, innerhalb derer wir jegliche Zusammenarbeit mit der Ülkücü-Bewegung, ihren Vertreter*innen und ihren Splitterorganisationen ablehnen. Als antifaschistischer und antirassistischer Verband wollen wir ein Ort und Schutzraum für von Rassismus und rechtem Hass Betroffene sein.


Zurück