NRW Jusos – Beitrag
Rassismus in der Polizei NRW? Performative Empörung, aber keine Konsequenzen
Innenminister Reul kehrt rassistische Vorfälle in NRW immer wieder unter den Teppich, anstatt unbequeme Konsequenzen zu ziehen. Das hat Kontinuität. Ein historischer Rückblick auf rassistische Kontinuitäten in der deutschen Polizei und ein aktueller Blick darauf, was in der NRW-Polizei unter Innenminister Reul alles schiefläuft.
Über das Thema rassistische Polizeigewalt wird in Deutschland viel geschwiegen und vertuscht. In weiten Teilen der Gesellschaft, bei der Polizei und parteiübergreifend werden strukturelle Probleme in der Polizei häufig negiert. Sobald Rassismus in der Polizei thematisiert wird, stellt sich eine Abwehrhaltung ein und von einem ungerechten Generalverdacht ist die Rede. Dabei wäre es insbesondere bei der deutschen Polizeigeschichte so wichtig, endlich hinzuschauen. Wer die Geschichte der deutschen Polizei studiert, erfährt dabei viel über paramilitärische Strukturen, eine Nähe zum Rechtsradikalismus und auch über rassistische Strukturen. Letztere gibt und gab es informell oder auch ganz formell:
Ungleichbehandlung seitens der Polizei zwischen weißen und nicht-weißen Menschen gab es schon während des deutschen Kaiserreichs. In den deutschen Kolonien gab es eine Kolonialpolizei, für die es nahezu keine Grenzen oder Folgen beim gewalttätigen Umgang gegenüber der Schwarzen Bevölkerung gab und was sich ganz anders bei der weißen deutschen Bevölkerung gestaltete.
Polizei und rechte Freikorps in der Weimarer Republik
In Deutschlands erster Demokratie war die Schutzpolizei stark bewaffnet und paramilitärisch aufgestellt. Jeder Polizeibeamte musste eine militärische Ausbildung absolvieren. Nachdem die Schutzpolizei erst im Laufe des Jahres 1919 entstand, wurde sie am 22. Juni 1920 schon wieder von der Interalliierten Militär-Kontrollkommission verboten. Grund dafür war, dass sich die Schutzpolizei nach dem Ruhraufstand an Gewaltakten gegenüber der dortigen Bevölkerung durch die Freikorps beteiligte. Auch nach der Neuordnung der deutschen Polizei wurde auf das gleiche Personal gesetzt und sie behielt ihren paramilitärischen Charakter.
Nationalsozialistische Kontinuitäten in der Polizei der Bundesrepublik
Über die deutsche Polizei während des Nationalsozialismus muss hier nicht viel gesagt werden. Kaum eine andere staatliche Institution war so eng mit dem Nationalsozialismus verbunden wie die deutsche Polizei. Heinrich Himmler war gleichzeitig „Reichsführer-SS“, „Chef der deutschen Polizei“ und später auch Reichsinnenminister. Die Gestapo wurde während der Nürnberger Prozesse zur verbrecherischen Organisation erklärt. Aber auch die restliche Polizei war eng mit der SS verbunden und an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt. Doch das wurde in der Nachkriegszeit nahezu nicht thematisiert. Und so wurde auch die deutsche Polizei nur halbherzig entnazifiziert und Einige, die als Polizisten während des Nationalsozialismus Verbrechen begangen, blieben Polizisten in der Bundesrepublik. Auch Strukturen aus der Zeit des Nationalsozialismus wurden übernommen: Das 1951 neugegründete Bundeskriminalamt lehnte in seiner Organisationsstruktur deutlich an das Reichskriminalpolizeiamt an. Viele der führenden Beamten hatten in der Vergangenheit hohe SS-Dienstgrade innegehabt.
Rechtsextremistische Brandanschläge und Ausschreitungen in Mölln, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen – Debatte über „Fremdenfeindlichkeit“ auch in der Polizei
In anderen Ländern wie den USA, Großbritannien oder Frankreich gab es schon seit den 1960er Jahren Forschung zur Ungleichbehandlung ethnischer Minderheiten seitens der Polizei. In Deutschland gab es Debatten und Forschung zu “Fremdenfeindlichkeit” innerhalb der Polizei erst in den 1990er Jahren. Nach den rassistischen Brandanschlägen und Ausschreitungen wurde auch über „Fremdenfeindlichkeit“ in der Polizei diskutiert, da die Polizei unter anderem bei den Anschlägen sehr spät einschritt und die Situation völlig eskalieren ließ.
Die Konsequenzen rassistischer Strukturen innerhalb der Polizei sind immer wieder ersichtlich (geworden). Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu den Ursachen und Mechanismen, sprich etwa zu rassistischen Einstellungen oder Strukturen innerhalb der Polizei, werden allerdings kontinuierlich blockiert oder unterbunden. Aufgrund dieser Blockade von Polizei, Polizeigewerkschaften und Teilen der Politik (mehrheitlich rechts, teilweise beschämenderweise auch sozialdemokratisch) ist die Datenlage in Deutschland bezüglich Rassismus in der Polizei sehr schlecht – und das obwohl klar ist, dass es auch in Deutschland diskriminierende Polizeipraktiken gegenüber rassifizierten Menschen gab und gibt.
2013 kritisierte sogar der UN-Menschenrechtsrat Deutschland stark für seine rassistische Polizeigewalt. Das war zwei Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU. Die Polizei hatte in diesem Zusammenhang – anstatt die Mordserie aufzuklären – über Jahre hinweg die Opfer kriminalisiert. Doch seitdem ist nicht viel passiert. Auch 2018 mahnt der UN-Menschenrechtsrat erneut rassistische Polizeipraxen wie Racial Profiling an. Trotzdem sah die damalige Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, Forderungen wie eine unabhängige Beschwerdestelle oder externe Ermittlungen umzusetzen.
Aber nicht der Bund allein trägt Verantwortung: Polizei ist vor allem Ländersache.
Es hagelt Einzelfälle bei der Polizei NRW
Rechtsextreme Chatgruppen, Racial Profiling, ungeklärte Todesfälle rassifizierter Menschen in Gewahrsamssituationen – und ein Innenminister Herbert Reul (CDU), der die große Dimension des Problems nicht sehen will. Rechtsextreme Tendenzen und rassistisch motivierte Handlungen, wie Racial Profiling, sind keine neuen Phänomene bei der Polizei NRW. Allein im letzten Jahr hagelte es nur so „Einzelfälle“.
Man hätte meinen können, dass der „Hagelsturm“ nun ein Umdenken und einen Handlungswillen beim nordrhein-westfälischen Innenminister auslösen würde. Dies blieb allerdings aus. Vielmehr kaschierte Reul rassistische Polizeirepressalien und verharmloste das offensichtlich strukturelle Rassismusproblem in der Polizei NRW, in dem er den „strukturellen Rassismusverdacht“ stets zurückwies. Aber, 100 Verdachtsfälle von rechtsextremen Chatgruppen seit 2017, eine Vielzahl von nachgewiesenen rassistischen Polizeipraktiken und ungeklärte Todesfälle in Gewahrsam, wie der des Amed Ahmad, sind nicht zurückzuweisen!
Racial Profiling – eine „Cop Culture“ die Leben kostet
Es gibt in Deutschland nur wenige seriöse wissenschaftliche Studien, die rassistische Polizeipraktiken und ihre Folgen unter die Lupe nehmen. Eine der wenigen Studien wurde von Professor Dr. Tobias Singelstein, der am Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität-Bochum tätig ist, durchgeführt.
Die Ergebnisse seines Forschungsprojekts „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen“ bieten aufschlussreiche Einblicke in „polizeiliche Praktiken“ und deren Auswirkungen für marginalisierte Betroffene. Demnach konnte Professor Singelstein durch ausgewertete Daten herausstellen, dass vor allem Befragte Persons of Color (PoC) unter den körperlichen und psychischen Verletzungen, die durch diskriminierende Ungleichbehandlung und rechtswidrige Gewaltanwendung der Polizei entstehen, leiden.
Gerechtigkeit und konsequente Aufklärungsversuche, bis hin zu Strafverfolgung und rechtlichen Konsequenzen für rechtsextreme und rassistische Polizeibeamt*innen, bleiben allerdings aus – so wie auch in den Fällen John Amadi, Amed Ahmad und Georgios Zantiotis. Die benannten Fälle sind exemplarisch dafür, wie gefährlich die rassistische Stigmatisierung und Kriminalisierung von migrantisierten und rassifizierten Personen im polizeilichen Kontext sein können.
Kriminalisierung, Freiheitsberaubung, Tod in Polizeigewahrsam – der ungeklärte Fall Amed Ahmad
Medial sorgte der Fall für großes Entsetzen und Aufruhr – politische Verantwortliche hingegen, waren nicht daran interessiert den Fall aufzuklären. Amed Ahmad starb am 29. September 2018 unter bisher ungeklärten Umständen. Was wir aber wissen ist, dass Amed zu Unrecht kriminalisiert und rechtswidrig inhaftiert wurde und danach in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Kleve verbrannte. Der Tod in Polizeigewahrsam erinnert uns an die Ermordung von Oury Jalloh, der in Dessau von Polizeibeamten angezündet wurde – dies legen die neusten Erkenntnisse eines Gutachtens nahe.
Doch wie kam es zu der Freiheitsberaubung von Amed Ahmad? Laut der Polizei in Kleve, kam es zu einer Namensverwechslung. Die Argumentation wirft allerdings viele Fragen auf, da beispielsweise zwei Tage vor seiner Festnahme Daten von Amed manipuliert worden sind. Zusätzlich flog die Manipulation der Daten im Laufe seiner Inhaftierung auf: Die Polizei Kleve nahm dies aber trotzdem nicht zum Anlass, Amed zu entlassen und hielt ihn weiterhin rechtswidrig in Gewahrsam. Auch die Erklärung der Brandursache wirft große Fragen auf. So konnte ein unabhängiges Brandgutachten feststellen, dass der von den Behörden dargestellte Brandausbruch anzuzweifeln ist. Trotz betroffen wirkender Stellungnahmen einiger politischer Verantwortlicher und vieler offener Fragen, wurden die Untersuchungen zum Fall Amed Ahmad eingestellt. Für migrantisierte und rassifizierte Menschen bleibt die Haltung unverständlich – was bleibt ist die große Angst und Unsicherheit, Opfer rassistischer Willkür zu werden.
Polizist*innen haben, allein schon durch das Tragen einer Waffe, eine Sonderstellung in unserer Gesellschaft und damit einhergehend Macht. Wir als demokratisch verfasste Gesellschaft verleihen diese Macht und daher können wir auch erwarten, dass mit dieser Macht verantwortungsvoll umgegangen wird. Korps-Geist, Menschenverachtung und Rassismus sind überall abzulehnen. Bei der Polizei aber im Besonderen. Dafür muss ein Innenminister Sorge tragen. Tut er das nicht, macht er sich mindestens mitschuldig und versagt bei der Ausübung seiner ihm demokratisch verliehenen Aufgabe fundamental.
Herr Innenminister, wer schützt uns vor polizeilicher Willkür?
Die Antwort lautet: sicherlich nicht die derzeitige Landesregierung! Denn diese und vor allem der nordrhein-westfälische Innenminister muss für das gesellschaftliche Klima und die rassistischen und rechtsextremen Strukturen bei der Polizei NRW mitverantwortlich gemacht werden.