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NRW Jusos – Blog

02. März 2023

Schule gegen Rassismus! Über ein kaputtes Schulsystem

Ein Blogbeitrag von Wed, Alessandro und Thaddäus der Juso Schüler*innen- und Auszubildendengruppe (JSAG) – gemeinsam mit Johanna Börgermann aus unserem Landesvorstand:

Anfang dieses Jahres schlug der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, vor, „Migrant*innenobergrenzen an Schulen” einzuführen. Meidinger führte aus, dass die Leistungen von Schüler*innen überproportional abnehmen würden, wenn in einer Klasse mehr als 35 Prozent der Kinder eine Migrationsgeschichte hätten. Eine gelungene Integration sei so nicht möglich.

Was hier als scheinbar „wissenschaftlich belegter“ Zusammenhang angeführt wird, verdreht oder verdeckt in dreister Art und Weise die eigentliche Sinnbeziehung. Ist es nicht vielmehr so, dass durch strukturelle Armut in Stadtvierteln sogenannte „Brennpunktschulen“ entstehen, die besonders viele Schüler*innen mit Migrationsgeschichte betreuen (die wiederum besonders stark von Armut betroffen sind)? Auf der anderen Seite sehen wir Gymnasien, die sich zunehmend „abschotten“ gegenüber Kindern mit Migrationsgeschichte – u.a. basierend auf Empfehlungen für weiterführende Schulen. Diese fallen bei Kindern mit Migrationsgeschichte – es überrascht leider nicht – bei gleicher Leistung oftmals schlechter aus als bei Kindern ohne Migrationsgeschichte.

Meidinger blendet dabei die Faktoren „Armut“ und die unterschiedliche (personelle wie materielle) Ausstattung der Schulen, die den Bildungserfolg natürlich auch prägen, schlichtweg aus und führt Leistungsunterschiede allein auf die Herkunft der Eltern der Kinder zurück; eine rassistische Verkennung der eigentlichen Wirkungszusammenhänge. Integration gelingt nicht durch Segregation sozio-ökonomischer Klassen und erst recht nicht durch Menschen und Realitäten verachtende Migrations-Obergrenzen.

Über ungleiche Bildungschancen

Dass wir von Chancengerechtigkeit in Deutschland weit entfernt sind, ist eine unangenehme Wahrheit: Während etwa ein Drittel der Schüler*innen auf Gymnasien eine Migrationsgeschichte haben, sind es auf Hauptschulen mit etwa zwei Dritteln doppelt so viele (vgl. Statistik des Landes NRW, 2020).

Menschen mit Migrationsgeschichte sind auch überproportional oft von Armut betroffen. Sie wohnen primär in Stadtteilen, in denen Mieten vergleichsweise niedrig sind und das Stigma sogenannter „Brennpunktschulen“ findet sich meist bei Schulen dieser betroffenen „ärmeren“ Wohngebiete wieder. In aller Regel sind diese Schulen seit Jahren nicht renoviert worden, personell unterbesetzt und massiv unterfinanziert. Zahlreiche Schüler*innen verlassen diese Schulen ohne einen Abschluss. Unser Schulsystem katalysiert so die bereits existierende Ungleichheit.

Arbeite ich neben der Schule, um meine Familie zu unterstützen oder muss ich Care-Arbeit leisten und etwa jüngere Geschwister betreuen, habe ich weniger Zeit, um Hausaufgaben zu machen, und auch weniger Zeit, mich auf den Unterricht oder Prüfungen vorzubereiten. Dass sich das in der Notengebung wiederfindet, ist eindeutig. Die Leistung, die außerhalb des Klassenraums erbracht wird, mag noch so bedeutend sein, wird in der Regel jedoch nicht einmal mit einer Fußnote erwähnt.

Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung (ca. 22%) in Deutschland geben an, von Rassismus betroffen zu sein. Systematische Benachteiligung, Stigmata und Anfeindungen sind im Klassenzimmer mindestens genauso präsent, diskriminierend und benachteiligend wie in anderen Teilen des gesellschaftlichen Lebens. Der Umgang mit dieser Benachteiligung bereits im jungen Alter bietet oftmals die Grundlage für den weiteren Verlauf der Identitätsbildung und kann die Zukunftsperspektiven der Jugendlichen drastisch verbessern oder eben verschlimmern.

Schule mit Rassismus – Schule ohne Courage

Die Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ soll ein Ansatz sein, sich mit Antirassismus an Schulen zu beschäftigen. Das Projekt verfehlt jedoch seinen Zweck, ist irreführend und kann sogar in seiner Wirkung schädlich sein. Um dieses Projekt an Schulen durchzusetzen, muss mindestens 70% der Schulgemeinschaft dem Selbstverständnis der Initiative zustimmen und es müssen „regelmäßig Projekttage“ durchgeführt werden. Genauere Vorgaben gibt es nicht und so ist es abhängig von der Eigeninitiative der Schulgemeinschaft, ob tatsächlich Aufklärung und Prävention betrieben wird. So passiert es also, dass Schulen sich mit einem Siegel rühmen, wofür sie kaum etwas getan haben.

Dass regelmäßige Projekte zum Thema Antirassismus – etwa sensibilisierende Fortbildungen – und das Hinterfragen der eigenen Strukturen einen weitaus größeren Effekt auf das Wohlempfinden von Rassismus-Betroffenen hätten, ist ein Gedanke, der allem Anschein nach noch nicht in den Büros der zumeist weißen Schulleitungen dieses Landes angekommen ist. Dabei ist es gefährlich, Realitäten zu ignorieren: so werden weder strukturelle Benachteiligung abgebaut noch der Effekt von Diskriminierungen auf einzelne Menschen innerhalb einer Schulgemeinschaft gemindert.

Was dabei außerdem vergessen wird ist Folgendes: Rassismus kann nicht nach dem Aufhängen eines Schildes verschwinden, denn: Rassismus ist ein tief-verankertes Konstrukt und unsere Gesellschaft ist rassistisch sozialisiert. So sind wir alle von rassistischen Denkmustern geprägt, die nicht vor dem Schultor Halt machen. Also können wir wirklich behaupten, dass eine Schule frei von Rassismus ist, weil sie einen Projekttag im Jahr veranstaltet? Oder ist diese Behauptung nicht eine Aberkennung der Realitäten von Menschen, die jeden Tag Rassismus erleben? In einer rassistischen Gesellschaft kann eine Schule kann nicht frei von Rassismus sein – wenn überhaupt, dann kann sie eine Schule gegen Rassismus sein.

Es ist Zeit für eine Schule für Alle – eine Schule gegen Rassismus!

Das Problem ist klar: Unser Bildungssystem müsste durch politische, antirassistische und feministische Bildung dazu beitragen, dass in Zukunft Ungleichheit, Rassismus und das Patriarchat keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft finden. Allen Schüler*innen müssen bestmögliche Bildungs- und somit Zukunftschancen eröffnet werden! Das passiert aber nicht, stattdessen werden bestehende Ungleichheiten, etwa durch das dreigliedrige Schulsystem, noch weiter zementiert. Aus jungsozialistischer Perspektive steht fest: Dem sagen wir den Kampf an! Schule ohne Rassismus, das ist in der Gesellschaft, in der wir aktuell leben, leider nicht umgehend möglich; aber eine Schule gegen Rassismus muss der mindeste Anspruch sein!

Schluss mit „Brennpunktschulen“! Es braucht eine spezielle Förderung und Konzepte, damit Schulen unabhängig von ihren kommunalen Trägern ein Ort des Lernens sein können – ohne Schimmel in Klassenzimmern oder einem einzigen Computerraum für eine ganze Schule. Es kann nicht sein, dass Gymnasien eine stärkere Finanzierung erhalten und bessergestellt werden als alle anderen Schulformen.

Und überhaupt: an Stelle unseres mehrgliedrigen Schulsystems braucht es eine Schule für Alle! Das dreigliedrige Schulsystem schafft Ungleichheit, Exklusivität und teilt Schüler*innen im Alter von neun bis zehn Jahren gute oder eben schlechte Bildungschancen zu. Oft ist diese Zuteilung nicht nur abhängig von der Leistung, sondern auch vom Nachnamen. Komplett ignoriert werden dabei die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Schüler*innen und ihr persönlicher Weg – bewertet wird nach einem standardisierten Bewertungsbogen, der den verschiedenen Entwicklungswegen von Schüler*innen nicht gerecht wird. Wir benötigen endlich ein System, das Schüler*innen individuell bewertet und tatsächliches Feedback gibt, anstatt eine Zahl zwischen 1 und 6.

Wir möchten das Schulsystem neu denken. Die Abkehr vom mehrgliedrigen Schulsystem, hin zu einer inklusiven Ganztagsgesamtschule ist der erste Schritt, das Bildungssystem gerechter zu gestalten. An kaum einem anderen Ort werden Menschen so sehr geprägt wie in der Schule. Sorgen wir dafür, dass diese Prägung antirassistisch ist. Wo, wenn nicht in der Schule, könnten wir diesen diskriminierenden Denkmustern einfacher entgegenwirken und ein Bewusstsein dafür schaffen? Wo sonst können wir eine respektvolle Umgebung schaffen, so frei von Rassismus wie nur irgend möglich, die von dort aus in die Breite der Gesellschaft getragen wird? Das System Schule selbst muss antirassistisch aufgebaut sein und ebenso agieren. Wir wollen, dass weder Nachname, Postleitzahl, noch die Herkunft über die Zukunft eines Kindes entscheiden!


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