NRW Jusos – Beitrag
Über Polizeidebatten und „Autoritätsdusel“
Warum Vertrauen auch Kritikfähigkeit voraussetzt
Nicht nur die Relativitätstheorie und viele kluge Beiträge zur Quantenphysik sind wichtige Werke aus der Feder von Albert Einstein. Auch das oft beschworene Zitat „Autoritätsdusel ist der größte Feind der Wahrheit“ lässt sich heute so noch als Fazit einiger Debatten ziehen. Insbesondere Diskussionen rund um das Thema Polizei sind von einer Autoritätshörigkeit bzw. einem Autoritätsglauben geprägt, die nicht in einen modernen kritikfähigen Staat passen. Schließlich muss dieser Staat sein Gewaltmonopol gegenüber den Bürger*innen stetig rechtfertigen. Es lassen sich viele Kritikpunkte aufzählen, vor denen sich große Teile der Gesellschaft verschließen. Sie halten die Polizei oftmals für unantastbar und jede Kritik für staatsgefährdend. Zeit, ihnen reinen Wein einzuschenken.
Solidarität mit Bahar Aslan
Eine Person, die das zuletzt versuchte und dafür abgestraft wurde, ist Bahar Aslan. Die Dozentin an der „Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen“ für das Fach „Interkulturelle Kompetenz“ kritisierte in einem Tweet die Sicherheitsbehörden und machte klar, dass gerade BIPoC mit ständiger Angst gegenüber der Polizei leben müssen. Diese Beschreibung realer Zustände aus Sicht einer von Rassismus Betroffenen stieß keine ehrliche Debatte über Polizeigewalt an. Stattdessen verlor Aslan ihren Lehrauftrag. Man mag darüber streiten, wie gut die Wortwahl des konkreten Tweets gelungen ist. Nichtsdestotrotz ist es höchste Zeit für diese Kritik, die viel zu selten von innen kommt.
Der Umgang mit Aslan im Nachgang des Tweets war perfide und stellte zur Schau, wie das CDU-geführte Innenministerium das strukturelle Rassismus-Problem der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden unter den Teppich kehrt. Innenminister Herbert Reul ist sich dabei nie zu schade, Rassismus in der Polizei immer wieder zu einem „Einzelproblem“ kleinzureden. Wer das tut, disqualifiziert sich im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, monierte: wer sich öffentlich so äußere wie Aslan wolle die Gesellschaft spalten. Der Tweet entspreche der „Rassismus-Keule“, die der Polizei so oft entgegenschlage. Legitime Kritik wird also abgetan als gesellschaftliche Spaltung. Wir stehen dagegen solidarisch mit Menschen wie Bahar Aslan, die den Finger in die Wunde legen und öffentlichkeitswirksam Kritik an den Institutionen formulieren.
Claudia Pechstein: Hetze in Uniform
Apropos öffentlichkeitswirksam: Während Aslan notwendige Staatskritik twitterte, gelangte die Eisschnellläuferin – und vor allem eines: Bundespolizistin – Claudia Pechstein mit ihrer Rede auf dem Parteikonvent der CDU zu zweifelhaftem Ruhm. In welcher Rolle Pechstein ihre dortige Impulsrede hielt, machte sie sprachlich nicht deutlich und ließ sich von einer fehlenden Wertschätzung des Spitzensports über vermeintliche Defizite der Asylpolitik bis hin zur angeblichen Wichtigkeit eines traditionellen Familienbildes aus. Während Pechstein ihre unklare Sprecherinnenrolle nicht näher ausführte, trat sie je-doch in Bundespolizei-Unform auf und setzte damit ein (sehr ungutes) Zeichen. Das stellt sehr wahrscheinlich einen Verstoß gegen das Beamtenrecht dar, dessen Prüfung zusammen mit Disziplinarmaßnahmen gegen Pechstein dankenswerterweise bereits eingeleitet wurde.
In dieser Uniform leitete die Polizeihauptmeisterin mit „Überhaupt scheint es mir so, dass derzeit viel verschenkt und zu wenig entlohnt wird“ ihre Forderung nach mehr Abschiebungen ein. Ihre Behauptung, das würde für mehr Sicherheit im Alltag sorgen – wobei sie sich um die Sicherheit abgeschobener Menschen nicht schert – setzt Asylbewerberinnen mit einer Gefahr gleich und bedient rassistische Narrative, die vom CDU-Publikum hörbar beklatscht wurden. Viel mehr soll aus der unsäglichen Rede an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Die beiden hauptsächlichen Probleme im Fall Pechstein sollten damit bereits klar sein. Nr. 1: Eine Person nimmt hier mittels Uniform den Autoritätsanspruch ihres Amtes wahr und gibt in diesem Anschein staatlicher Macht persönliche Meinungen wieder. Problem 2: Eine Bundespolizistin vertritt, dass Asylbewerberinnen eine Gefahr für die Sicherheit aller übrigen Menschen sind. Ein gutes Beispiel dafür, warum die Polizei nicht für alle „Freund und Helfer“ ist.
Autoritätsanspruch geht nur mit Kritikfähigkeit
Aslan, Pechstein, Reul und die GdP geben ein gutes Beispiel für Defizite in der Arbeit von Sicherheits- und Ermittlungsbehörden sowie für eine Polizeidebatte, in der jede Kritik – mit großer gesellschaftlicher Unterstützung – von sich gewiesen wird. Und das obwohl diese Kritik wissenschaftlich bestätigt wird: Der im April veröffentlichte Zwischenbericht zur Studie zu „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten – MEGAVO“ legte die Tendenz von fast 30 Prozent der befragten Polizistinnen dazu offen, Asylsuchende abzuwerten. Knapp zehn Prozent ließen in ihren Antworten Islamfeindlichkeit erkennen. Fast jeder Fünfte unterstützt chauvinistische Einstellungen oder äußert sich nicht eindeutig ablehnend.
Auch Verschwörungstheorien von einer geheimen Organisation, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen habe, traf bei 14 % der Befragten auf Zustimmung. Das Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen (KviAPol)“ lieferte vor Kurzem umfassende wissenschaftliche Befunde für übermäßige Polizeigewalt und ihre defizitäre Aufarbeitung (Tipp: Die Ergebnisse wurden in einem Buch zusammen-getragen, das online kostenlos verfügbar ist). Wissenschaft dient der Wahrheitsfindung und um diese Wahrheiten sollte es uns gehen. Ein hoher Autoritätsanspruch muss mit großer Kritikfähigkeit einhergehen. Diese Kritik an den Institutionen ist nicht staatszersetzend – ganz im Gegenteil: Schon das Grundgesetz bindet die vollziehende Gewalt an die Grundrechte. Das staatliche Gewaltmonopol wird von der Polizei ausgeübt und diesem Vertrauensvorschuss sollte sie gerecht werden. Nicht durch Abweisen von Kritik oder “Autoritätsdusel”, sondern durch kritische Aufarbeitung.