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NRW Jusos – Beitrag

31. März 2022

Unser Verständnis von Außenpolitik muss feministisch sein!

Als Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung die Vorhaben nach Aufrüstung verkündete, war die Euphorie groß. Jubeln ertönte, besonders von der CDU, und auch in der Gesellschaft wurde eine gewisse unkritische Glorifizierung der Militarisierung entfacht. Das ist unangebracht, da die Lieferung von Tötungsinstrumenten mitnichten Anlass zur Freude bereiten sollte. Die Situation in der Ukraine und, darin finden sich keine Zweifel, Putins Angriffskrieg, stellen uns vor ganz neue Herausforderungen, auch uns als antimilitaristischen Richtungsverband in unseren rüstungskritischen Positionierungen. Die Ukraine als souveräner demokratischer Staat, der einseitig angegriffen wird, kann in dieser Situation nicht allein gelassen werden und ist auf die Unterstützung durch andere demokratische Staaten angewiesen. Hier greift das „self-defense Prinzip“, das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung gegenüber dem völkerrechtswidrigen Angriff.

Was jedoch hinsichtlich der Frage, ob die militärische Aufstockung, die in der Regierungserklärung verkündet wurde, langfristig angelegt sein soll, klar sein muss: Aufrüstung und Militarisierung sind auf lange Sicht nicht zielführend.[1] 

Wenn sich ein Land militarisiert, dann gewinnt es nicht an Potenzial für die „Verteidigung der Demokratie“, sondern vielmehr für völkerrechtswidrige Aggressionen.

Massive Militarisierung, als Lösungsstrategie, das haben uns internationale Konflikte zu häufig gelehrt, ist brandstiftend für Nationalismus, Rassismus und die Unterdrückung von Menschen. Sie stellt eine Gefahr für die menschliche Sicherheit und für den Frieden dar. Und genau an diesem Verständnis setzt feministische Außenpolitik an. Feministische Außenpolitik kritisiert die vorherrschenden Denkschulen innerhalb des Fachgebiets der Internationalen Beziehungen, die auf einem klassisch patriarchalen Verständnis von Macht basieren. Einem Verständnis, das Waffen als Friedens- und Sicherheitsgarant sieht und nukleare Abschreckung als notwendige Voraussetzung für internationale Sicherheit.

Die problematische Denkschule des Realismus

Das vorzufindende System internationaler Politik basiert auf der sogenannten Denkschule des „Realismus“, geprägt durch Vordenker wie Machiavelli und Morgenthau. Der Realismus ist geleitet durch die Vorstellung von egoistisch agierenden Staaten (bzw. Staatsmännern), die durch ein Maximieren der eigenen Macht das eigene Überleben absichern wollen. In der Folge kommt es mitunter zu einem Wettrüsten, wechselseitigem Dominanzstreben und dem Bedürfnis, ständig die eigene Macht demonstrieren zu müssen. Staaten existieren hier nebeneinander in einer Art Anarchie mit immerwährenden Interessenskonflikten, da es keine supranationale (übergeordnete) Regierung gibt.

Diese Denkschule ist geprägt durch eine eurozentristische, männliche und weiße Perspektive und schließt eine Vielzahl von Menschen aus. Dominanz, Militarisierung und Aufrüstung sind zentral, Menschenrechte, globale Gerechtigkeit oder Diplomatie hingegen nur nebensächlich. Genau mit diesen toxischen Denkmustern wollen feministische Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet der Internationalen Beziehungen brechen. [3]

„Internationale Beziehungen sind eine Männerwelt, eine Welt der Macht und voller Konflikte, in der Kriegführung die bevorzugte Tätigkeit ist.“[2]

Das sind die Worte der wegbereitenden feministischen Theoretikerin J. Ann Tickner, die den theoretischen Realismus dekonstruiert. Für sie, im Gegensatz zu Morgenthau, ist nationales Interesse multidimensional, kontextabhängig und geht weit über Machtinteressen hinaus.

Was meint feministische Außenpolitik konkret?

Im Kern fordert feministische Außenpolitik ausbalancierte Machtdynamiken. Sie möchte die Zementierung von militärischer Gewalt und patriarchalen Dominanzen hinter sich lassen. Feministische Außenpolitik formuliert ein alternatives und intersektionales Verständnis von Sicherheit und bezieht die Perspektive marginalisierter Gruppen ein. Zudem sollen destruktive Kräfte wie das Patriarchat, Kolonialismus, Kapitalismus, Rassismus und Imperialismus enttarnt und gerechte Alternativen aufgezeigt werden.[3]

Intersektionalität als zentrales Merkmal feministischer Außenpolitik

Feministische Außenpolitik richtet alle außenpolitischen Entscheidungen darauf aus, strukturelle Ungleichheit zu beseitigen und Machthierarchien, wie die weiße Vorherrschaft und das kapitalistische System, zu bekämpfen. Sie berücksichtigt in ihrer Orientierung alle Perspektiven und Bedürfnisse von marginalisierten Bevölkerungsgruppen und erkennt, dass sich verschiedene Diskriminierungsformen kreuzen und verstärken können. Sie betont die Erfahrungen marginalisierter Akteur*innen und stellt Individuen, statt den Staat, in den Fokus von Sicherheit. Durch diese Betonung erkennt eine feministische Außenpolitik an, dass politische Entscheidungen das Leben von verschiedenen Menschen unterschiedlich beeinflussen können.[4] Diplomatische und sicherheitspolitische Kreise sind aktuell vor allem von weißen, westlichen Männern dominiert, die ihre eigene Perspektive zur Norm erklären und alle abweichenden androzentrisch[5] herab werten. Dadurch wird systematische Diskriminierung verfestigt und internationale Sicherheit gefährdet.

Feministische Außenpolitik ist antikolonialistisch

Die Machtgefälle zwischen dem globalen Süden (Ex-Kolonien) und globalen Norden (Ex-Kolonialmächte), die sich auch in weiten Teilen in der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit breit machen, werden als Neokolonialismus bezeichnet. Neokolonialismus drückt sich beispielsweise durch die Ausbeutung von Rohstoffen, Abladung von Müll, Nuklearwaffentests in ehemaligen Kolonien oder fehlender Mitsprache in wichtigen internationalen Gremien aus.

Die weiße Vorherrschaft, die sich mit dem „white saviorism„-Komplex in vielen internationalen Institutionen wiederfindet, trägt dazu bei, dass Abhängigkeitsverhältnisse und Unterdrückung bestehen bleiben. Das System der internationalen Diplomatie und deren Organisationen wie die UN ist geprägt durch ein strukturelles Problem mit Rassismus und neokolonialen Machtverhältnissen.[6] Das zeigt sich beispielsweise auch anhand von parallelen Beschäftigungsverhältnissen in internationalen Institutionen von Mitarbeiter*innen des globalen Nordens, die besser bezahlt werden als Mitarbeiter*innen des globalen Südens. Internationale Organisationen, die sich den Menschenrechten verschrieben haben, können nicht zu einer gerechteren Außenpolitik beitragen, wenn die eigenen Strukturen derart von Unterdrückungsmechanismen geprägt sind!

Feministische Außenpolitik möchte genau diesen neokolonialen Phänomenen entgegenwirken und eine internationale Zusammenarbeit auf Augenhöhe verwirklichen. Sie möchte die kolonialen Machtgefälle bedingungslos aufzeigen und auch den Finger auf renommierte internationale Institutionen und das Geflecht der Internationalen Beziehungen legen. Dazu müsse die Geschichte des Kolonialismus und des Kapitalismus mit der sexistischen und rassistischen Marginalisierung zusammen gedacht werden.

Denn Gerechtigkeit sei stets vom Standpunkt der am stärksten marginalisierten Gruppe aus zu denken, so die Professorin und Autorin Chandra Mohanty.

Was muss feministische Außenpolitik für unseren Verband bedeuten?

Feministische Außenpolitik ist kein „Gedöns“, bei dem sich am Rande mit „Frauenrechten“ beschäftigt wird. Und feministische Außenpolitik ist auch kein „naiver Pazifismus“, der glaube, die Demokratie alleine könne sich durchsetzen. Feministische Außenpolitik glaubt nicht, dass militärische Mittel der Schlüssel zum Schutz der Demokratie sind und dass sich die Wehrfähigkeit der Demokratie in militärischer Stärke ausdrücken muss. Feministische Außenpolitik setzt viel früher an. Sie schafft, im Gegensatz zu einer patriarchalen Außenpolitik, präventiv demokratische und stabile Gesellschaftsstrukturen und stellt die Zivilgesellschaft in den Vordergrund. Eine feministische Außenpolitik richtet sich durch das Streben nach Gleichberechtigung gegen militärische und patriarchale Gewalt, wie wir sie derzeit von russischer Seite vorfinden. Eine feministische Außenpolitik hätte womöglich derartigen Aggressionen nachhaltig entgegengewirkt. 

„Wir sind jetzt alle konfrontiert mit dem Wahnsinn, dass Russland mit der Alarmbereitschaft von Nuklearwaffen droht. Es gibt sehr konkrete, zivilgesellschaftliche Vorschläge seit sehr vielen Jahrzehnten, die dazu beigetragen hätten, dass wir nicht zu diesem Punkt kommen. Das wäre eine wirklich feministische Außenpolitik.“

So Kristina Lunz, die Autorin von „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“. Trotzdem sind wir aber jetzt an diesem Punkt, an dem gehandelt werden muss im Sinne der „self-defense“. Langfristig muss aber klar sein: sich jetzt dem Aufschrei nach nachhaltiger militärischer Aufstockung anzuschließen, löst nicht die gefährdete Sicherheitsordnung dieser Welt, dessen müssen gerade wir als Jungsozialist*innen mit unserem antimilitaristischen Grundverständnis uns sicher sein.

Wir müssen uns als Internationalist*innen Gedanken darüber machen, wie internationale Strukturen aus feministischer Perspektive nachhaltig reformiert werden müssen. Denn solange Internationale Beziehungen auf Ausbeutung, Dominanz und Zerstörung setzen, werden sie nie zu nachhaltigem Frieden beitragen können. Oder um es mit Rosa Luxemburgs Worten zu sagen: „Die kapitalistische Gesellschaft, die auf dem fundamentalen Missverständnis beruht, eine gerechte Welt könne auf der Basis von Konkurrenz, Ausbeutung und anderen Profitstreben entstehen, ist zum Scheitern verurteilt.“

Für unsere Weiterentwicklung der eigenen sicherheitspolitischen Debatten muss das bedeuten, dass wir auch unbedingt diskussionsbereit die feministische Perspektive nicht aus dem Blick verlieren. Denn wenn die Perspektiven patriarchal und gewaltvoll sind, ist es kein Wunder, wenn sie zu verheerender Politik führen!

„If we don’t have a feminist foreign policy, we are failing. Failing ultimately to understand what foreign policy should be about.”– Clare Hutchinson

Empfehlungen für weitere Lektüre:

J. Ann Tickner (2014): A Feminist Voyage Through International Relations, Oxford University Press.

Kristina Lunz (2022): Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen, Econ Verlag.

Chandra Talpade Mohanty (2003): Feminism Without Borders: Decolonizing Theory, Practicing Solidarity, Duke University Press Books.


[1] Militarisierung ist zu verstehen als Ausrichtung eines Staats oder einer Gesellschaft an die Bedürfnisse des Militärwesens, anstelle der Bedürfnisse der Bürger*innen.

[2] J. Ann Tickner (1988): Hans Morgenthau’s Principles of Political Realism: A Feminist Reformulation, in: Millennium: Journal of International Studies 17, no. 3, S.429-40.

[3] Kristina Lunz (2022): Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen, Econ Verlag.

[4] Nina Bernarding und Kristina Lunz (2019): Eine feministische Außenpolitik: Imperativ für eine gerechte und sichere Welt, verfügbar unter: https://centreforfeministforeignpolicy.org/journal/2019/7/7/eine-feministische-auenpolitik-imperativ-fr-eine-gerechte-und-sichere-welt

[5] Androzentrismus beschreibt eine Sichtweise, die Männer als Zentrum, Maßstab und Norm betrachtet.

[6] Peace Direct (2020): Time to Decolonise Aid. Insights and lessons from a global consultation, verfügbar unter:  https://www.peacedirect.org/publications/timetodecoloniseaid/


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