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NRW Jusos – Magazin

24. August 2023

Brandbeschleuniger statt Brandmauer

Wie der radikalisierte Konservatismus den Rechten zum Erfolg verhilft

Beitrag aus unserem Verbandsmagazin August 2023

Jetzt ist es schon wieder passiert. Schon wieder so ein „erstes Mal“. Schon wieder verbucht die #NoAfD einen Erfolg bei einer Wahl, schon wieder sind alle schockiert. Der erste AfD-Landrat wurde im thüringischen Sonneberg gewählt. Dieses „erste Mal“ reiht sich ein in eine hässliche Parade der erfolgreichen Wahlen für die Rechtsextremen. Der erste Einzug in ein überregionales Parlament 2014 bei der Europawahl. Im gleichen Jahr der erste Einzug in einen Landtag, in Sachsen. 2017 triumphiert die AfD bei der Bundestagswahl und sitzt fortan zum ersten Mal auf bundespolitischem Parkett.

Das Problem an solchen Premieren: Sie bleiben im Fall der AfD eben keine Einzelheit. Die demokratiefeindliche Partei feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen und erfreut sich an blendenden Umfragewerten zur Europawahl im nächsten Jahr und zu den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Und während Antifaschist*innen wie wir jetzt erst recht aktiv werden müssen, verfolgen Konservative einen radikalen Weg der Anbiederung an rechte und rassistische Narrative.

Nicht nur bei den eigenen Leuten: Merz enttäuscht.

Jetzt könnte man natürlich sagen: Was erwarten wir schon von Konservativen wie Friedrich Merz oder Peter Ramsauer, der zuletzt noch mit rassistischen Vergleichen migrantisierter Menschen mit „Ungeziefer“ Schlagzeilen machte? Die richtige, aber zu kurze Antwort wäre: Nicht viel.

Die lange und notwendige Antwort muss jedoch lauten: Wir erwarten die konsequente Brandmauer gegen rechte Kräfte. Nicht mehr und nicht weniger. Doch was bekommen wir? Ein Schaulaufen radikalisierter Konservativer, die nicht zufällig rechte Narrative bedienen, sondern Schritt für Schritt das Paktieren mit der AfD auf parlamentarischer Ebene vorbereiten. Ein Paktieren, das wir nicht nur auf machttaktische Beweggründe reduzieren sollten, sondern das als das benannt werden muss, was es ist: Der Bruch des demokratischen Konsens und Ausdruck von strukturellem Rassismus, Queerfeindlichkeit, Antisemitismus und Sexismus, der nicht erst jetzt bei einigen Konservativen der CDU/CSU Anklang findet.

Opfermentalität und rechter Kulturkampf statt Oppositionsarbeit

Die „das wird man wohl noch sagen dürfen!“-Attitüde hat Eingang gefunden in den hochgestochenen politischen Sprech des Herrn Merz, der eine (kommunale) Zusammenarbeit mit der AfD neuerdings nicht mehr kategorisch ausschließt, sondern offen nach rechts blinkt. Dazu passt dann auch ins Bild, dass sich die CDU/CSU und Friedrich Merz nun im Kampf gegen „die Eliten“ und „den Mainstream“ wähnen und keine Gelegenheit auslassen, rechte Kulturkämpfe erster Güte zu befeuern. Da ist keine Diskussion um Gendersprache zu abwegig, keine Positionierung gegen die Grünen als „Hauptgegner“ zu billig. Fun Fact: fast die Hälfte der Menschen in Deutschland wird aktuell schwarz-grün regiert. Das Kanzler*innenamt war von 2005-2021 in konservativer Hand.

Hinzu kommt, dass die Konservativen binnen Sekunden jedes politische Thema oder jeden Vorstoß als „Angriff“, entweder auf die eigene Lebensweise oder „unsere Kultur“ umdeuten. Gleiche Rechte für trans Personen? Ein Angriff auf die Familie! Tempolimit oder ein Auslaufen des Verbrenners? Ein Angriff auf die heimische Autoindustrie, wenn nicht gar auf die Freiheit – Grüße gehen raus an Christian Lindner. Sogar das Thema „Wärmepumpen“, an sich so emotional wie die notwendige aber eher sachliche Frage nach Bordsteinabsenkungen, wird zum Kulturkampf umgemünzt.

Statt Konzepte zu den dringenden Krisen unserer Zeit – Inflation, steigende Armut, Pandemien, Klimakrise, die Liste ist lang und wird nur noch länger – zu erarbeiten, beschäftigen sich Merz und seine Horde Machomänner und Alphatierchen mit Law und Order-Fantasien wie Sofortgerichten für Freibäder, unabhängig davon, wie unsinnig ein solcher Vorschlag z.B. vom Deutschen Richterbund eingeschätzt wird. Eine solche Verve im Einsatz für Frauen bei Merz würde man sich wünschen, wenn es zum Beispiel um eine Ausfinanzierung von Frauenhäusern oder aber, wohlgemerkt 1997, um die Frage nach der Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe geht.

Weiterhin erschreckt, wie schnell „anständig-konservative“ Werte und Verhaltensweisen unter Merz abgelegt werden. Dass eine wirre parteipolitische Rede in Polizeiuniform bei einem Parteikonvent von Merz als brillant betitelt statt als grober Fehltritt identifiziert wurde, irritierte auch innerhalb der eigenen Reihen. Wichtiger als ein nerviges Neutralitätsgebot war nämlich, dass Pechstein genau den populistischen Rundumschlag (Z-Wort, mehr Abschieben, Gendern etc.) lieferte, den Merz wohl als inhaltlichen Orientierungspunkt für seine Partei sieht. Es wirkt so, als würde die Merz-CDU sich die Themen nach dem Gesichtspunkt aussuchen, wie man am ehesten der AfD und ihren Wähler*innen nach dem Mund reden kann. Eine bedenkliche Hyperfixierung.

Die Debattenarmut in der CDU rächt sich.

Darin zeigt sich nicht zuletzt die ideologische Leere der Konservativen, offenbaren sie doch mit solchen Äußerungen und Strategien, dass sich ihr politisches Angebot in letzter Zeit fast ausnahmslos auf „Wut“ beschränkt. Gleichzeitig schreibt Merz aber (auf Twitter, nun X?) auch Sätze wie diesen hier: „Mit der #AfD können die Bürgerinnen und Bürger heftige Denkzettel verpassen.“ Überraschung: die von der CDU aufgepeitschten Bürger*innen füllen ihre Denkzettel beim AfD-blauen Wahlkampfstand, nicht bei der Union aus.

Aber Schluss mit lustig, dieses Kalkül muss uns in höchste Alarmbereitschaft versetzen. Denn Merz und Konsorten hüllen sich in den Deckmantel des „braven christlichen Konservatismus“ und verschleiern dabei ihre eigentliche Absicht: Die kontinuierliche Annäherung eines radikalisierten Konservatismus an die Neue Rechte. Das passiert nicht eben mal so, sondern planmäßig und über einen langen Zeitraum. Aber eben weil ein demokratischer Konservatismus auch zum legitimen Meinungsspektrum einer liberalen Demokratie gehört, manche sagen sogar notwendigerweise, ist dieser Kurs so gefährlich. Von einem solchen demokratischen Konservatismus wendet sich die aktuelle CDU/CSU durch ihren Parteivorsitzenden Merz aber Schritt für Schritt ab. Und das bringt unsere Demokratie, unsere freiheitliche Grundlage unserer Gesellschaft ins Wanken. Deshalb ist es nun mehr denn je an der Zeit für uns Antifaschist*innen, Flagge zu zeigen. Und es ist mehr denn je an der Zeit, dass sich alle CDU/CSU-Mitglieder und Wähler*innen, die sich als anständige Demokrat*innen verstehen, hinschauen, einschreiten und diesem unwürdigen Treiben an der Spitze der Union Einhalt gebieten. Denn eines sollte klar sein: Mit Rechten paktiert und liebäugelt man nicht und man kopiert nicht ihre Themen und Talking Points. Man isoliert sie, macht soziale Politik für die Menschen und lässt sich nicht auf ihren Kulturkampf ein.


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