NRW Jusos – Beitrag
“Ein Jahr nach Hanau” – Deutschland hat sich nicht verändert… aber wir.
Co-Autor*innen: Dilara Yaman, Audrey Dilangu und Berat Arici
Vor einem Jahr erschoss ein Rassist neun Menschen mit Migrationsgeschichte in Hanau. Immer noch töten Rassist*innen in Deutschland, immer noch geben sich danach Sicherheitsbehörden überrascht, immer noch dieselben leeren Versprechungen aus der Politik von Aufarbeitung und Konsequenzen. Immer noch liegt es an den Angehörigen der Opfer Gerechtigkeit einzufordern, dafür zu sorgen, dass weder die Opfer noch die ausstehende Aufklärung in Vergessenheit geraten. Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, NSU, Keupstraße Köln, München, Halle. Und auch ein Jahr nach Hanau sehen wir, dass die weiße Dominanzgesellschaft ihr Problem Rassismus immer noch nicht angehen und bekämpfen will. Als wir dieses Jahr endlich über den Rassismus in der deutschen Polizei sprechen wollten, reagierten weiße Deutsche wütend und aufgebracht: „Blue Lives Matter!“. Egal wie viele rechtsextreme Chatgruppen bei der Polizei aufgedeckt werden, egal wie viele Videoaufnahmen es von rassistischer Polizeigewalt gibt, von diesem böswilligem „Generalverdacht“ wollen Alman Horst und Boris nichts wissen. Weiße beklagen sich in den Medien darüber, wie gemein die Welt zu ihnen ist, weil sie keine rassistische Sprache mehr benutzen sollen. Die weiße Dominanzgesellschaft will weiter Minderheiten abwerten dürfen ohne, dass man sie dafür kritisiert. Deutschland hat sich immer noch nicht verändert. Doch BPoC sind zunehmend nicht mehr bereit das hinzunehmen. Sie politisieren sich immer mehr und fordern ihre Rechte ein. Für viele Deutsche ist Hanau ein tragischer, aber kein besonderer Tag. Uns, BPoC in Deutschland, hat Hanau jedoch verändert:
»Ein Jahr nach Hanau fühle ich immer noch Schmerz, Verzweiflung, Wut. Als ich mich mit dem NSU beschäftigte, habe ich mich gefragt, wie viele Menschen sterben müssen, damit sich was verändert. Nach Hanau habe ich mich das nicht gefragt. Ich hatte verstanden. Das Leben von BPoC, mein Leben, ist nicht genauso wertvoll wie das der Weißen. Sie werden niemals dafür sorgen, dass ich gleichberechtigt in diesem Land leben kann: Ohne die Demütigungen, den Hass und dem Ausgeschlossen sein. Ich wollte diese Trennung nie wahrhaben, aber jetzt will ich nicht mehr wegsehen und euren Rassismus ignorieren. Ich werde die rassistische Gewalt von Lehrer*innen, Ärzt*innen, Familie, Weißen Jusos, die mir angetan wurde nie vergessen. Ich will nicht mehr darüber schweigen und werde dafür kämpfen, was mir und meinen Schwestern und Brüdern zusteht! Einen Kampf, den einige Weiße auch mitkämpfen und die hoffentlich mehr werden.« – Sarah Mohamed
»Ich wusste zunächst nicht, was in mir brodelte. Ich versuchte über eine längere Zeit meine Gefühle zu sortieren und irgendwann kam der Moment, an dem ich verstand. Ich merkte: „Dilara, das was passiert ist, hätte deinen Freund*innen und deiner Familie passieren – es hätte dir passieren können. Rassist*innen haben ein Problem mit uns.“ Und ich verstand, dass die Gefahr immer da ist, solange Rassismus systemimmanent ist. Solange das System rassistisch ist, werden BPoC darunter leiden und sogar sterben. Solange immer noch die Rede von Clankriminalität und kriminellen Hotspots ist, desto länger muss man damit rechnen, dass Rassist*innen und ihrer Ideologie genug Zündstoff geliefert wird. Umso wichtiger ist es mit aller Kraft, Schulter an Schulter, das gesellschaftliche Klima zu korrigieren und gegen jedes Anzeichen von rassistischen Denkweisen zu kämpfen. Kein Vergeben, kein Vergessen.« – Dilara Yaman
»Seit dem rassistischen Anschlag von Hanau trage ich sehr viel Angst und Wut in mir. Das was meine Eltern mir stets beibrachten – die Angst mit der sie mich stets konfrontierten, wurde real. Wenn ich an den 19.02.2020 denke, dann erinnere ich mich an den tiefen Schmerz, den ich empfand und die Leere, die entstand. Ich denke aber auch an die Wut, die ich in Stärke transformierte – Stärke, die ich durch den Austausch zu Schwestern und Brüdern schöpfte – Stärke, die mich antreibt, das rassistische Deutschland zu dekonstruieren. Hanau hat nicht erst mit Hanau begonnen. Hanau wurde vorbereitet, von dem jahrelangen Klima der Gesellschaft, der Medien, der Politik und des Schweigens der sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Wir BPoC befinden uns seit Hanau im Kampf – es ist ein Kampf gegen das Vergessen, für die Veränderung und für ein würdevolles Leben, welches uns zusteht. Dafür möchte ich meinen Brüdern und Schwestern danken.« – Audrey Dilangu
»Als Mann habe ich das Privileg nachts nach Hause gehen zu können, ohne Angst zu spüren und mich dabei regelmäßig umdrehen zu müssen. Das hat sich jedoch mit dem 19.02. schlagartig verändert, denn seitdem sitzt die Angst in meinem Nacken. Die Angst davor, dass jemand mich aufgrund meines Aussehens angreifen könnte. Die Angst davor, von besoffenen Fremden angepöbelt zu werden. Der Terroranschlag von Hanau hat mein persönliches Sicherheitsempfinden zerstört und die Monate danach haben nicht dafür gesorgt, dass ich mich sicherer und wohler fühle. Im Gegenteil. Abdullah Unvar sagte in unserem Insta Live: „Wenn man aus der Vergangenheit nichts lernt, kann man die Zukunft nicht verändern.“ Daher liegt es an uns allen, und vor allem an der weißen Mehrheitsgesellschaft, aus der Vergangenheit zu lernen, für eine lückenlose Aufklärung und politische Konsequenzen zu sorgen und so die Zukunft zu verändern. Zu einer angstfreien, friedlichen Zukunft.« – Berat Arici