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NRW Jusos – Blog

23. September 2022

Elizabeth II. und die Kolonialismus-Debatte

Die Auswirkungen der Kolonialzeit ist bis heute in den kolonialisierten Ländern zu spüren. Ausbeutung, ethnische Segregation und daraus resultierende Konflikte, Abhängigkeitsverhältnisse und die Enteignung eigener Ressourcen und Kunstwerke – all das sind nur wenige Aspekte, die im Kontext der Auswirkungen zu nennen sind. Für viele Menschen in den ehemaligen Kolonien ist vor allem Queen Elizabeth II. ein Symbolbild für die genannten Auswirkungen.“ Audrey aus dem Landesvorstand und Narin von den Jusos aus der Städteregion Aachen stellen in diesem Blogbeitrag heraus, warum nicht alle um die Queen trauern – und das durchaus berechtigt ist.

Mit dem Tod der Monarchin entflammten unterschiedliche Debatten um ihre Person und ihre Rolle während der britischen Kolonialzeit. Inmitten der Debatten lassen sich zwei größere Lager identifizieren. Die einen, die der Arbeit der Monarchin unkritisch gegenüberstehen, sie glorifizieren und jegliche Kritik an ihr als pietätlos bezeichnen. Und die andere Seite, die hinter der verstorbenen Monarchin – zu Recht – eine lange Ära des britischen Kolonialismus sieht, inmitten dieser Queen Elizabeth eine relevante Rolle spielte und für die rassistische Ausbeutung kolonialisierter Länder Mitverantwortung trägt. Es ist gut, dass Stimmen aus ehemals kolonialisierten Ländern und weitere progressive Stimmen mit dem Tod der Monarchin kritische Perspektiven in die Debatten einbringen und Kolonialitäten, wie immer noch bestehende wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse, sichtbar machen.

Eine antirassistische Gesellschaft muss auch antikolonial denken – warum nicht alle um die Queen trauern

Die Kolonialzeit wurde durch die Kolonialmächte nicht ansatzweise ausreichend aufgearbeitet, auch wurden ehemals kolonialisierte Länder nicht mit ausreichenden Reparationszahlungen entschädigt. Dabei sollte die europäische Kolonialzeit gerade im Kontext der Thematisierung und Bekämpfung des strukturellen und institutionellen Rassismus eine größere Gewichtung bekommen, denn die pseudowissenschaftliche Verbreitung von sogenannten „Rassentheorien“ und darin implizierten rassistischen Praktiken dienten der kolonialpolitischen Agenda europäischer Kolonialherren und sind heute noch allgegenwärtig.

Der zur Kolonialzeit praktizierte Rassismus galt so gesehen als Legitimationskonstrukt und diente dem Dominanzerhalt europäischer Kolonialherr*innen, um Unterdrückungen – in Form von Versklavung – zu legitimieren. Die Auswirkungen der Kolonialzeit sind bis heute in den kolonialisierten Ländern zu spüren. Ausbeutung, ethnische Segregation und daraus resultierende Konflikte, Abhängigkeitsverhältnisse und die Enteignung eigener Ressourcen und Kunstwerke – all das sind nur wenige Aspekte, die im Kontext der Auswirkungen zu nennen sind.

Für viele Menschen in den ehemaligen Kolonien ist vor allem Queen Elizabeth II. ein Symbolbild für die genannten Auswirkungen. Diese Haltung spiegelten beispielsweise diverse afrikanische Initiativen und Aktivist*innen wider, wie die Professorin Uja Anya, die unmittelbar nach dem Tod der Queen twitterte, dass man nicht erwarten könne, keine Verachtung für die Monarchin auszudrücken, die eine Regierung beaufsichtigte, die Völkermorde unterstützte und damit Familien auseinanderriss. In einem Interview erweiterte sie ihre Perspektive und erklärte, dass ihre Familie bis heute an den Folgen der britischen Kolonialpolitik leide und sie „ein Kind der Kolonialisierung sei“. Es ist nur eine Perspektive von vielen, die aber deutlich macht, dass die traumatischen Auswirkungen der britischen Kolonialpolitik bis heute individuell und institutionell spürbar sind und bis heute das Leben nachfolgender Generationen negativ beeinflusst.

An dieser Stelle ist auch anzuführen, dass nicht nur weite Teile des afrikanischen Kontinents durch Großbritannien kolonialisiert wurden – dazuzuzählen ist ebenfalls die Kolonialisierung der Karibik, Asiens und Australiens.

Für britische Gräueltaten gab es nie eine angemessene Entschuldigung der königlichen Majestät

Wer glaubt, Queen Elizabeth II. hätte sich jemals für die britischen Gräueltaten entschuldigt, irrt sich. Nicht erst mit dem Tod der Queen wird darüber diskutiert, in welchem Ausmaß die Queen und ihre Familie vom Kolonialismus profitierten. Klar ist aber, dass Teile des Vermögens des Königshauses aus ausbeuterischen Geschäften aus der Kolonialzeit entsprungen sind und entwendete Kunst und Ressourcen immer noch im Besitz der königlichen Familie sind. So forderten Indien und Südafrika mit dem Tod der Queen beispielsweise die sofortige Rückgabe entwendeter Diamanten. Die Queen ignorierte bis zu ihrem Tod, dass die königliche Familie und Großbritannien im Besitz von Raubkunst, Diamanten und anderen Ressourcen sind, weil sie wissentlich davon profitierte.

Von wegen Pietätlosigkeit – Debatten um die Dekolonialisierung müssen fortbestehen

Es ist nicht nur die Queen und Großbritannien, die im großen Stil kolonialisierte Länder ausbeuten, davon profitieren und Krisen und Konflikte in den kolonialisierten Ländern entspringen ließen. Nicht nur Großbritannien und die Königsfamilie kaschieren seit Jahrzehnten ihre Kolonialhistorie – ebenso Deutschland und viele weitere europäische Staaten. Dabei fällt bei der Thematisierung um die Aufarbeitung der kolonialen Verhältnisse immer wieder auf, dass diese von Positionen überlagert wird, die der Aufarbeitung nicht dienen.

Es sind vor allem Nicht-Betroffene – also eine eurozentrische Einheit –, die auch in diesem Falle meinen zu wissen, mit welcher Intensität sich Betroffene kritisch zum Tod der Queen äußern dürfen und Betroffenen bei der Äußerung jeglicher Kritik Pietätlosigkeit vorwerfen. Der Vorwurf allein ist ein Absprechen vieler kollektiver Traumata, die durch Kolonialpolitiken entstanden sind und demonstriert den Dominanzanspruch Nicht-Betroffener, wenn es um aufkommende Rassismusdebatten geht. Auch unreflektierte Positionen und die Unwissenheit darüber, wer in der Kolonialzeit profitierte und wie diese institutionell ausgelegt war, machen deutlich, dass wir mehr Bildungs- und Aufklärungsarbeit brauchen.

Unser aller Auftrag muss sein, dass wir mit der Kontinuität weißer kollektiver Ignoranz brechen und endlich konsequent aufarbeiten, was es aufzuarbeiten gilt. Die Kolonialzeit und ihre Auswirkungen müssen ebenso eine verstärkte Platzierung auf der politischen Agenda bekommen.


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