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NRW Jusos – Blog

24. Januar 2023

Keine unverhältnismäßigen Repressionen gegen Klimaprotest!

Wenige Auszeichnungen sagen wahrscheinlich so viel über unsere Gegenwart aus wie die Auswahl des Unwortes des Jahres 2022. „Klimaterroristen“ treten nun in die Reihe der Preisträger vergangener Jahre wie etwa „Gutmensch“, „Gender-Wahn“ und die leider auch innerhalb der SPD noch nicht aus der Mode gekommene Bezeichnung „Integrationsverweigerer“. Ziel der Jury hinter der Entscheidung ist es, auf irreführenden und stigmatisierenden Sprachgebrauch hinzuweisen. Man hätte wohl kaum ein besseres Beispiel finden können, um die im Herbst entfachte Debatte rund um die Legalität und Legitimität von Klimaprotesten so sehr ihrem Wahnsinn zu überführen.  Mit welchen Mitteln der Rechtsstaat zurzeit gegen Klimaaktivist*innen vorgeht, steht im Kontext eben dieses Diskurses.

Die Verunglimpfung von Klimaprotesten als „Terrorismus“ ist politisches Kalkül

Terrorismus beschreibt die aggressivste Form von politischem Extremismus. Was letzteren ausmacht, ist die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaats und seiner Grundpfeiler. In Form des Terrorismus bezweckt er, mittels systematischer Gewaltanwendung Einschüchterung, Angst und Schrecken zu verbreiten, die dann – mittelbar – zur Erreichung der eigenen politischen Ziele beitragen sollen. Versucht man die Aktionen von Gruppen wie „Fridays for Future“ oder die „Letzte Generation“ mit dieser Definition abzugleichen, sollte eigentlich allen sehr schnell klar werden, wie absurd der Vergleich ist. Stattdessen handelt es sich bei ihren Aktionen um zivilen Ungehorsam, also das bewusste und gewaltfreie Verstoßen gegen geltendes Recht, um ein bestehendes Unrecht zu beseitigen. Die Ausübung zivilen Ungehorsams zur Rettung des Klimas ist etwa so weit weg von Terrorismus wie die Bundesrepublik von der Einhaltung des 1,5 Grad Ziels.

Ein Versehen ist dieses falsche Label und dessen pauschalisierender Gebrauch wohl kaum. Es ist Teil einer politisch beabsichtigten Kommunikationslinie und die nächste Eskalationsstufe einer ohnehin schon überhitzten Debatte. Die Markierung von Klimaaktivist*innen als Extreme oder Terrorist*innen verfolgt in populistischer Manier das Ziel ihrer Dämonisierung und der Delegitimierung ihrer Forderungen und Aktionen. Es geht darum, sie und ihre Anliegen von einer rechtstreuen Gesellschaft auszugrenzen, deren Grundrechte schützenswert sind. Dies trägt wiederum dazu bei, Menschen davon zu überzeugen, dass es jetzt besonders harter Maßnahmen gegenüber den Leuten bedarf, die sich für das Klima auf die Straße kleben. Das zeigt sich etwa dann, wenn ein ehemaliger CSU-Verkehrsminister in der Bild am Sonntag vor der „Klima-RAF“ warnt und im gleichen Atemzug „Knast statt Geldstrafen“ für die Aktivist*innen fordert.[1]

Die volle Härte des Rechtsstaats?

Genau das war für Betroffene Realität, die in Bayern nach der Blockade des Münchener Altstadtrings Anfang November 2022 in Präventivhaft verbracht wurden. Die Verfassungsmäßigkeit der bayerischen Rechtsgrundlage hierfür ist allerdings umstritten. Die Anordnung einer Haft ist typischerweise das Ergebnis eines Strafverfahrens. Weniger üblich ist hingegen die präventive Inhaftierung von Personen, um etwaige künftige Rechtsbrüche im Voraus zu verhindern. Eine solche Präventivhaft ermöglichen zwar alle Landespolizeigesetze. 15 von ihnen enthalten jedoch eine Höchstdauer, die sich irgendwo zwischen 48 Stunden (Berlin) und 14 Tagen (z.B. Baden-Württemberg) bewegt. In Bayern sind es satte 30 Tage, die eine Präventivhaft andauern darf – mit Option auf Verlängerung um einen weiteren Monat. Dabei muss man sich vor Augen führen, dass ein Freiheitsentzug durch Inhaftierung einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt.[2] Vor dem Hintergrund, dass hinsichtlich der Straßenblockaden der „Klimakleber“ noch nicht einmal Konsens über die Bewertung ihrer Einordnung als strafbare Nötigung herrscht, entbehrt die Anordnung einer 30-tägigen Präventivhaft einer ausreichenden Grundlage.[3]

Mitte Dezember durchsuchte die Polizei außerdem bundesweit Wohnungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“. Der Verdacht: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Beispiele für solche Vereinigungen sind Drogenkartelle, mafiöse Gruppen oder rechtsradikale Rockbands. Im frappierenden Unterschied dazu bedroht die „Letzte Generation“ keine Menschenleben, sondern will sie gerade schützen und zu diesem Zweck auf Ihre Forderung stärkerer Klimaschutzmaßnahmen hinweisen. Dem begegnete der Staat in den letzten Wochen mit drakonischen Maßnahmen und stellte sein breites Instrumentarium zur Schau. Mit der „vollen Härte des Rechtsstaates“ (noch so eine Floskel aus der Hölle) wird nun offenbar gegen Klimaaktivist*innen vorgegangen. Doch was den Rechtsstaat auszeichnet ist nicht seine „volle Härte“, sondern seine Verhältnismäßigkeit. Und die lassen einige Akteur*innen gerade vermissen.

Die wahre Gefahr für die Demokratie kommt von rechts – und sie ist bewaffnet.

Fleißig werden Einschätzungen darüber veröffentlicht, wie weit Autofahrer*innen sich gegen Blockaden wehren dürfen und darüber vergessen, wo die Gefahr für unsere Demokratie wirklich steht: nämlich rechts. Im Dezember wurde ein rechtsextremes Netzwerk aus aktuellen und ehemaligen Elitesoldaten der Bundeswehr und weiteren Staatsbediensteten hochgenommen, bevor die Gruppe ihren geplanten Angriff auf den Bundestag umsetzen konnte. Unter ihnen zahlreiche Menschen, die über Einfluss und Ressourcen verfügen, etwa ein KSK-Soldat, ein LKA-Beamter aus Niedersachsen oder die Juristin Birgit Malsack-Winkemann, die zeitweilig auch als Bundestagsabgeordnete für die AfD fungierte. Und mal wieder will niemand etwas mitbekommen haben. Die verfassungsfeindliche Richterin bekam noch wenige Wochen zuvor bescheinigt, dass sie keine Nähe zu Parteimitgliedern suche, die rechtsextremistische Ansichten vertreten und daher weiterhin Urteile im Namen des Staates sprechen dürfe. Wieso sind diese Leute eigentlich so schnell aus dem medialen Fokus geraten, während sich die Klimaprotest-Debatte derart zuspitzt? Der Aktionsplan gegen Rechts – darunter auch die aktuell von der FDP blockierte Verschärfung des Waffenrechts – muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Extremist*innen aus Reihen der AfD oder dem „Reichsbürger-Milieu“ haben nichts im Staatsdienst zu suchen. Das ist die wahre Gefahr für unsere Demokratie. Mag das zuletzt aufgeflogene Netzwerk nur eine einzelne Aktionsgruppe sein, so dürfen wir nicht vergessen, wie viele Reichsbürger*innen, Verschwörungsideolog*innen und andere Rechte dort draußen auf einen Staatsstreich warten. Genau für diese Menschen sollte man sich Begriffe wie Terrorismus und Extremismus vorbehalten. Und genau für diese Menschen sollte man sich auch entsprechende Maßnahmen vorbehalten.

Der Kampf für Klimagerechtigkeit steht auf dem Boden der Demokratie!

Die Aktionen des Klimaprotests wie zuletzt in und um Lützerath und auch Aktionen des zivilen Ungehorsams richten sich nicht gegen die Grundpfeiler des demokratischen Verfassungsstaats. Das Grundgesetz selbst beinhaltet den Umweltschutz als Staatszielbestimmung und benennt ihn damit als Anliegen von Verfassungsrang. Unter die sprachliche Verunglimpfung und versuchte Delegitimierung von Klimaprotesten gehört ein Schlussstrich gezogen und unverhältnismäßigen Maßnahmen gegen Protestierende Einhalt geboten. Hierzu bedarf es auch einer kritischen Aufarbeitung des Polizeieinsatzes rund um Lützerath durch unabhängige Stellen. Wer Klimaaktivismus derart unangenehm findet, könnte ihm mit einer effektiveren Klimapolitik begegnen. Die Protestaktionen, derer es bis dahin bedarf, dürfen die politischen Freiheitsrechte ausreizen.


[1] Borgers, Michael/Maroldt, Lorenz, Berichterstattung zur „Letzten Generation“, 07.11.2022,

[2] Weitere Infos zum Präventivgewahrsam gibt es zum Beispiel hier: Bauer, Max, Warum Bayerns Präventivhaft strittig ist, 17.11.2022, https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/praeventivhaft-klima-protest-bayern-101.html.

[3] Nötigung erfordert eine Drohung oder Gewaltanwendung, die das Opfer gegen seinen Willen zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen zwingt und die im Verhältnis zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.


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